Stefano Patelli und Francesca De Rossi

Stefano Patelli und Francesca De Rossi
© Falstaff/Hacker

Materia: Endlich kein Italo-Klassiker

Die vielversprechende Neueröffnung hebt sich erfreulich von den bekannten italienischen Restaurants in Wien ab.

Der verstorbene, deutsche Restaurantkritiker Wolfram Siebeck, ein Mann mit auslangender Esserfahrung, pflegte zu Lebzeiten immer wieder lustvoll über die italienische Küche herzuziehen. Sie sei eine »Mama-Küche«, gewiss reich an erfreulichen Gerichten, aber im Grunde genommen langweilig, da sie sich nie wirklich weiterentwickelt habe. Damit hatte er lange Zeit durchaus recht, inzwischen aber ist das anders. Die Küche in der »Osteria Francescana« in Modena, immerhin zum zweiten Mal schon zum besten Restaurant der Welt gekürt, hat alles andere als eine langweilige »Mama-Küche«. Ganz im Gegenteil.
Während sich in Italien eine ganz neue Koch-Szene entwickelt hat und es inzwischen selbst im kulinarisch unerschütterlich konservativen Rom spannende Restaurants wie das »Marzapane« gibt, wo eine Köchin zeigt, was man aus schlichten Spaghetti Carbonara machen kann wenn man sie gekonnt neu interpretiert, während also da und dort in Italien wesentlich frecher und unkonventioneller gekocht wird, sind die italienischen Ristorante in Österreich eher noch von vorgestern. Sieht man vom »Fabios« ab, aber dort will man ja gar nicht so italienisch sein, wie manche glauben. Jetzt gibt es endlich einen Vertreter der neueren Art.

Alte Kuh & Co

Im achten Bezirk in Wien, im ehemaligen Souterrain-Lokal »Speisekammer«, hat sich das italienische Paar Stefano Patelli und Francesca De Rossi eingenistet. Stefano kocht, Francesca steht im Service. Es gibt nur Menüs, keine à la carte-Gerichte. Die Menüs beginnen bei vier Gängen, doch wenn jemand nur drei Gänge will, geht das auch. Nein, der junge Stefano Patelli, ein gebürtiger Römer, der aber in Salzburg aufgewachsen ist, kocht nicht die üblichen Italo-Gassenhauer auf klassische Art, er interpretiert sie nach seinen persönlichen Vorstellungen.
Ein Tatar vom Fassona Rind mit Thunfischsauce ist da noch vergleichsweise harmlos, eine rote Pasta mit Garnelen hingegen kommt so ganz anders daher, wie sonst üblich. Intensiver Krustentiergeschmack in der Sauce, so weit, so gut. Dann aber noch unter die hausgemachten Spaghetti eine leicht zerschmolzene Burrata gelegt – das ganze genial und mit Suchtgiftgefahr. Aus einem Bollito Misto macht Patelli ein Gericht, das optisch an alles erinnert, nur nicht an einen Bollito Misto. Und auch das Gericht »Vacca Vecchia nel Bosco« (Alte Kuh geräuchert mit Pilzen und Blaubeeren) stammt nicht gerade aus dem Kochbuch »Die klassische italienische Küche«.

Konkurrenzlos

Kabeljau in einer irren Paprikasauce – ebenfalls reichlich ungewöhnlich. Das alles ist auch noch richtig gut, könnte da und dort vielleicht noch bisschen an Schärfe vertragen, aber insgesamt ist diese Küche momentan in Wien konkurrenzlos. Die Weinkarte ist klein aber auch mit »unüblichen« Weinen durchsetzt. Und auch da geht noch mehr, aber immerhin. Nicht zuletzt ist auch das Ambiente stimmig, modern und passt zu der Küche. Na also, warum nicht schon früher? Man wünscht den beiden viel Glück. Und damit uns auch.

INFO

Materia
Tigergasse 31
1080 Wien
T: (01) 402 69 16
Mi-So 18-24 Uhr
Menüs: von 45.- (4-Gang) bis 65.- (6-Gang)
http://materia.restaurant

Herbert Hacker
Herbert Hacker
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