London Calling

London trotzt allen Krisen. ­Junge Wirte kreieren frische Konzepte. Alte Haudegen ­kehren mit neuen Ideen zurück. Lifestyle-Hotels bieten Design und gute Preise. Und das Pfund ist so viel wert wie nie zuvor.

Die Brüder Richard und Peter Harden machen in der aktuellen Ausgabe ihres Gastro-Guides eine bemerkenswerte Aussage: »Londons Restaurants trotzen der Krise.« Als vor zwei Jahren die Finanz­bombe die Londoner City ganz besonders heftig traf, erwarteten Beobachter der Gastronomie ein Blutbad. Doch die Hardens haben nachgerechnet. 2009 wurden um acht Prozent mehr Lokale eröffnet als im Jahr davor, während die Zahl der Schließungen so niedrig war wie zuletzt im Jahr 2000.

Geradezu als Segen für Londons Wirte erwies sich die Pfundschwäche, die das Preisniveau auf kontinentale Werte sinken ließ und ungeahnte Mengen an Genusstouristen ins Land spülte. Zudem zwang die Krise zum Umdenken, Top-Köche investieren nun in erschwingliche Konzepte, und die für ihre stratosphärischen Preise berüchtigte Hotellerie macht es nun möglich, auch zentral leistbar und sehr schön zu wohnen.

St. James Hotel
St. James HotelDer von der deutschen Althoff-Gruppe übernommene »St. James’s Club« bot einst ausschließlich Mitgliedern Unterkunft. Nun wird das zwischen Hotel Ritz und dem Palast von Prince Charles gelegene Haus als feines Boutique-Hotel geführt, der ehrwürdige Members Club blieb bestehen. Für das Restaurant »Seven Park Place« zeichnet seit September 2009 der Top-Koch William Drabble verantwortlich.

Sanctum Soho Hotel
Sanctum Soho Hotel Deutlich trendiger gestylt ist das neue Sanctum Soho Hotel. Dieses Mitglied der Design Hotels liegt mitten im Ausgehviertel Soho; eines der Atouts des Hauses ist ein privates Kino im Keller. Das Ehepaar Kate und Kim Kemp ist Kennern der Londoner Szene spätestens seit der Eröffnung des Soho Hotel ein Begriff. Nur zwei Blöcke südlich des Piccadilly Circus betreiben die beiden Gründer der Firmdale-Gruppe ihr Haymarket Hotel (siehe Bild ganz unten). Das Haus wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vom legendären Meisterarchitekten John Nash gebaut, innen sorgte Kim Kemp für poppige Farben und spannende Kunst.

Brown's Hotel
Wer hingegen ein Haus sucht, das die Würde des Empire mit zeitgenössischen Elementen verbindet, trifft mit dem Brown's Hotel von Sir Rocco Forte die beste Wahl. Der English Tea Room ist eine der beliebtesten und stets ausgebuchten Adressen zum stilvollen Zelebrieren das Afternoon-Tea-Rituals.

Rückkehr der »alten Meister«
Das bemerkenswerteste aktuelle Phänomen der Restaurantszene ist die Rückkehr der »alten Meister«. Im engsten Wortsinn trifft das auf den Design-Guru und vielfachen Restaurantgründer Sir Terence Conran zu. In den Achtzigern baute Conran mit viel Gespür ein Imperium von Lokalen auf, viele von ihnen wie »Bibendum« oder »Le Pont de la Tour« sind noch immer erfolgreich, wiewohl Conran sie allesamt schon vor Langem abstieß. Während die meisten ihn nur mehr in den Liegestühlen seiner prächtigen Landsitze wähnten, fing der heute 79-Jährige vor zwei Jahren im Geheimen an, noch einmal voll in die Gastronomie einzusteigen.

Boundary Project
Brasserie Luyten'sUnd wieder setzte der Mann mit dem unfehlbaren kulinarischen Spürsinn Maßstäbe, zunächst mit dem komplexen Boundary Project im gerade erst erwachenden Viertel Shoreditch in Ostlondon. The Boundary ist ein Komplex mit Hotel, zwei mediterranen Restaurants, Deli und Bar. Die Dachterrasse war im letzten Sommer »the place to be seen«. Kaum lief die Sache, sperrte Conran im ehemaligen Reuters Building in der Fleet Street die Brasserie »Lutyens« (Bild) auf. Und wer sich angesichts der französischen Karte und der Optik des Lokals an Conrans »Bibendum« in South Kensington erinnert – richtig, dessen einstiger Küchenchef David Burke ist hier wieder am Ruder.

Bistrot Loubet
Bistrot Loubet / Foto beigestelltEin weiterer, noch nicht ganz so alter Zampano ist wieder da: Ebenfalls im immer schicker werdenden Ostlondon machte Bruno Loubet soeben sein »Bistrot Loubet« auf. Loubet war einer der Superstarköche der Neunziger, sein »L’Odeon« in der Regent Street ist Legende. Dann setzte er sich zwecks Familiengründung nach Australien ab, nun kehrte er überraschend zurück, und die gesamte Londoner Kritikergarde befahl ihren Lesern den unverzüglichen Besuch dieses legeren Lokals im schicken Zetter-Hotel in Clerkenwell.

Hix
HixAuch Mark Hix hat es geschafft, seinen einprägsamen Namen zur Trademark aufzubauen. Hix war einst Küchenchef in »The Ivy«, dem
legendären Dauerbrenner der Lokalszene. Sein neues Hix in Soho wird von zwei Faktoren bestimmt: exzellenten Produkten britischer Herkunft und Hix’ Affinität zur Szene der Young British Artists. Im Lokal finden sich Werke von Tracy Emin und Damien Hirst, die Küche bietet das in Perfektion, was zuvor die vielen tollen Gastropubs initiiert haben – britische Kost, befreit vom Image des Grauens aus der Friteuse.

Cadogan Arms
Cadogan ArmsEin mustergültiges Exemplar der Gastro-Pub-Idee ist das neue »Cadogan Arms«. Die Brüder Tom und Ed Martin haben schon Erfahrung mit der Transformation etwas heruntergekommener Pubs ins 21. Jahrhundert. Das »Cadogan Arms« von 1869 wurde mit viel Liebe zum Detail in eine Art Jagdstube verwandelt. Man speist unter Trophäen, zu gepflegten Ales und anständigen Weinen wird schlichte, aber hervorragende Kost serviert. Zudem liegt das Lokal in Sichtweite der schicksten Läden von Chelsea, darunter Manolo Blahniks Schuhtempel und der Flagshipstore der Stoffmeis­terin Tricia Guild.

Mosimann's
Mosimann'sUnweit von dort ist in einer ehemaligen Presbyterianerkirche eine der Institutionen der englischen Kulinarik zu Hause. Der exklusive Dinner-Club »Mosimann’s« gilt als eine der Säulen der zeitgenössischen Kulinarik Englands. Der Schweizer Anton Mosimann war einst Küchenchef im Dorchester Hotel und erfand dort die leichte »Cuisine Naturelle«, seit 22 Jahren bewirtet er in seinen Räumen die 2500 Mitglieder seines Clubs und
deren Gäste.

China White
Im »China White«, dem berühmtesten Nachtclub der Stadt, finden üblicherweise ebenfalls nur Mitglieder Einlass. Seit Herbst 2009 residiert er ult­raschick am neuen Standort in Marylebone; wer im Internet Event-Listen durchforstet, stößt immer wieder auf Partys mit Doorlist, auf die man sich eintragen kann. Für beide Clubs gilt: Man sollte die Liste seiner Londoner Freunde einmal gründlich durchgehen, vielleicht finden sich Members, und man darf als deren Tagesgast die exklusiven Freuden genießen.

Blumenthal im Mandarin Oriental
Zwei Ereignisse hat die Londoner Gastroszene bereits in der Agenda 2010 vermerkt. Am 20. Mai sperrt im Hotel Mandarin Oriental die Bar »Boulud« des New Yorker Altmeisters Daniel Boulud auf. Und im Herbst wird’s noch aufregender, da eröffnet Drei-Sterne-Molekularkoch Heston Blumenthal ebenfalls in diesem Top-Hotel am Hyde Park seine erste Filiale abseits des Stammhauses in Bray.
Krise? In London ist sie allenfalls noch Gesprächsthema bei einem gepflegten Essen.

von Alexander Bachl

aus Falstaff 03/10

Haymarket

Alexander Bachl
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