v.l.n.r. Jesper Saxgren, Eco-Berater; Claire Chenu, INRAE-Director-of-Research; Paul Luu, »4 per 1000«-Initiative; Nigel Greening, Felton Road Wines; verdeckt: Moderatorin Pauline Vicard, Areni Think Tank

Living Soils Forum in Arles (Tag 2)

Moët Hennessy veranstaltet einen großen Kongress zum Thema Bodenleben, Nachhaltigkeit und Klimaschutz (Teil 2).

Auch am Tag zwei des von Moët Hennessy veranstalteten Kongresses strömten wieder rund 200 Wissenschaftler, Winzer, Politiker und Führungskräfte aus dem Management großer Unternehmen in die Veranstaltungshalle auf dem Gelände des »Luma Park« Arles. Ein Gelände übrigens, das gerade eben erst im vergangenen Jahr durch die Luma-Stiftung der Hoffmann-La Roche-Erbin Maja Hoffmann eröffnet werden konnte. Der weitläufige, als vielfältiges Ökosystem angelegte Park integriert renovierte ältere Gebäudeteile eines ehemaligen Eisenbahnwerks und hat als zentralen Bezugspunkt den von Frank Gehry entworfenen, ebenfalls 2021 eingeweihten »Tower«. Der aus der Ferne wie ein Felsen wirkende Tower ist vor allem als Kulturzentrum konzipiert, und als Museum für moderne Kunst und avantgardistische Installationen.

Im – wenn man so will – Forum Romanum der großen Halle aber ging es weiter bei der Bearbeitung der Themenfelder. Dabei erfuhr man zu Beginn, dass am ersten Kongresstag 1300 Gäste online an den Sitzungen teilgenommen hatten. Alle Plenarsitzungen und ebenso die Workshops waren für registrierte Nutzer live gestreamt worden, und die Resonanz war offenbar gewaltig.

Es geht nicht um einen einfachen Weg von A nach B

Im Eröffnungsplenum über die »gute fachliche Praxis« wurde der Pariser Biologieprofessor und Leiter des französischen Nationalmuseums für Naturgeschichte von Moderatorin Lovelda Vicenzi gefragt, warum es überhaupt nötig sei, Landwirte oder Manager zu beraten oder zu unterrichten, es sei doch ohnehin in den verschiedensten Medien so viel Information verfügbar. Selosse musste keinen Augenblick nachdenken: Es sei gut, dass so viel Information verfügbar sei, aber sie alleine schaffe doch keinen Austausch und keinen Dialog! Er finde auch die Redeweise von der »Transition«, also vom Übergang zu einer neuen Art des Wirtschaftens, nicht glücklich: Das höre sich so an, als gebe es einen schlechten Zustand, den man verlässt, und einen guten, zu dem man gelangt. Aber so einfach sei es nicht: Im Licht der Geschwindigkeit, mit der sich der Klimawandel vollziehe, bräuchten wir die dauerhafte Bereitschaft, alles neu zu überdenken. Der einfache Übergang von der einen Routine zur nächsten sei keine Option: »Was uns heute wie gute fachliche Praxis erscheint, kann schon morgen die Hölle sein.« Und dann zieht Selosse seine Kreditkarte aus der Geldbörse und hält sie in die Höhe: »Und für alle, die nicht selbst am Produktionsprozess in der Landwirtschaft beteiligt sind, halte ich dies hier für das wichtigste Mittel, um darüber mitzuentscheiden, wie unsere Böden in Zukunft aussehen. Was wir kaufen, entscheidet.«

»Agroforesterie«: Der Wert von Bäumen

Einer der Workshops des Tages widmete sich dem Thema »Agroforesterie«. Alain Canet vom Beratungsunternehmen »Arbre et Paysage 32« schilderte die Vorteile, die Bäume im Weinberg bringen: Zum einen verändern sie das Mikroklima, und zum zweiten auch die Struktur des Bodens und seine Eignung für das Wurzelsystem der Rebe: Da sich in der Nähe von Bäumen Mykorrhizen bilden, unterirdische Myzele von Pilzen, verbessert sich der Zugang der Rebwurzeln zu Nährstoffen. Mykorrhizen nämlich führen den Rebwurzeln Mineralsalze zu und verbessern die Aufnahmefähigkeit der Wurzeln für Wasser: »Die Mykorrhiza besorgt den Einkauf für den Rebstock«, bringt es Canet auf den Punkt.

Frédéric Gallois vom Champagnerhaus Ruinart – einem der zu Moët Hennessy gehörenden Unternehmen – berichtet, dass Ruinart im März 2021 in einer 40 Hektar großen Rebfläche nahe Reims angefangen habe, Bäume und Hecken zu pflanzen, Pflanzen wie Weißdorn, Buchen und Ebereschen. Die Weinbergsarbeiter würden sich zwar schon Sorgen machen: »O Gott, können wir überhaupt noch arbeiten?« Aber noch in den 50er und 60er Jahren sei ein Mosaik von Weinbergen und Wäldern ganz normal gewesen in der Champagne. Inzwischen habe Ruinart die Pflanzungen fortgesetzt, auf einer Länge von fünf Kilometern. An ein paar hundert Metern seien sogar drei Reihen Reben geopfert worden, damit die Landwirtschaftswege nicht zu schmal würden. Erstaunlicherweise hätten die Behörden und Branchenverbände, die in vielen Fällen bei Baumaßnahmen eher Probleme machen würden, das gut gefunden und unterstützt. Sein Fazit: »Alles in allem hat das schon jetzt viel Energie freigesetzt.«

Kann man Bodengesundheit messen?

Ein weiterer Workshop widmete sich der Frage, ob und wie sich die Gesundheit des Bodens messen lasse. Sébastien Roumegous von der Gruppe Biosphères, die Projekte betreut und entwickelt, legte zunächst dar, dass für ihn die wichtigste Frage sei, wie gut Wasser in einem Boden zirkuliere. Wenn der Boden kaum noch wasserdurchlässig sei, dann wisse man schon, dass er ein Problem habe. Dann komme der physikalische Aspekt der Porosität hinzu, und der biologische Aspekt der Menge an im Boden enthaltener Biomasse.

Claire Chenu, Forschungsdirektorin beim Pariser »Institut national de la recherche agronomique« fügt an, dass man Bodenqualität und Bodengesundheit unterscheiden müsse. Ein Boden könne hohe Qualität aufweisen und trotzdem nicht gesund sein. Die Qualität eines Bodens sage etwas über sein Potenzial aus, die Gesundheit über seinen aktuellen Zustand. Der wichtigste Indikator sei ihrer Meinung nach die Menge an organischer Masse.

Thibault Déplanche, Direktor des Analyselabors Celesta-Lab fügt an, dass die Probleme sehr häufig mit der Verdichtung des Bodens zu tun haben. Er stehe zwar einem Analyselabor vor, aber er sei kein Verkäufer von Analysen, er wisse sehr gut, dass es manchmal auch ohne aufwändige Untersuchungen gehen müsse. Ein wichtiger und selbst für den Kleinbetrieb mit geringem Aufwand durchführbarer Test sei, einfach mit dem Spaten eine Art Bodenprofil aus dem Boden herauszuheben. »Das sieht man sehr schnell, wie Luft und Wasser zirkulieren, und wie das Wurzelwachstum aussieht. Um das zu interpretieren, braucht es keinen Fachmann.«

Auf die Frage von Claudia Olazabal, Referatsleiterin Bodennutzung und -verwaltung bei der EU-Kommission, ob es bei der Bodengesundheit so etwas wie ein zentrales einzelnes Kriterium gebe, das alle anderen dominiere und zur rechtlichen Definition der Bodengesundheit dienen könne, schüttelt Déplanche den Kopf: »Bei den Böden gibt es nicht schwarz und weiß, wir machen in unserem Labor jedes Jahr 60.000 Analysen und bekommen die unterschiedlichsten Messwerte zurück, sandige, lehmige und mergelige Böden zeigen große Unterschiede, und selbst bei einem weitgehend identischen Bodentyp hängen die Referenzwerte, die wir als positiv interpretieren, davon ab, ob die Analyse aus Bordeaux oder aus Cognac stammt.« Ähnlich individuell seien auch die Maßnahmen, die man ergreifen müsse, um die Böden zu verbessern. Olazabal sieht diese Antwort mit besorgter Miene, denn dieses Faktum dürfte die Formulierung (und Durchsetzung) des am Vortag für 2023 angekündigten »Soil Health Law« der Europäischen Union nicht gerade vereinfachen.

Gute Böden als Mittel gegen den Klimawandel

Zum Beginn der Nachmittagssitzung ergreift Paul Luu, Geschäftsführer der »4-Promill-Initiative« das Wort: Wenn es uns gelänge, den Kohlenstoffgehalt aller Böden auf diesem Planeten jedes Jahr um nur 4 Promill zu steigern, dann würde dadurch alles vom Menschen erzeugte Kohlendioxid gebunden. Momentan sei es jedoch so, dass unsere Böden Kohlenstoff verlören. Statt einen Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten, vergrößerten sie es. Luu plädiert: »Wir benötigen alle Arten von Projekten und Akteuren, nicht nur Landwirte. Auch Politiker, Geschäftsleute, Wissenschaftler. Wir benötigen Projekte, mit denen sich die Betroffenen selbst wohl fühlen. Und die »4-Promill-Initiative« muss dabei gar nicht beteiligt sein, »wir sehen uns mehr als die kleine Mücke an, die mal hier und dort einen Stich setzt.«

Dann spricht Nigel Greening von Felton Road Wines in Neuseeland. Der Pinot noir-Winzer von Weltruhm ist ganz offenkundig nicht nach Europa gereist, um leisezutreten: Zunächst nimmt er Zertifikate und Bio-Labels unter Beschuss: »Ich bin selbst auch zertifiziert, aber ich befürchte, dass viele Leute glauben, wenn sie zertifiziert sind, machen sie schon genug.« Dann schießt er sich auf den Begriff »Nachhaltigkeit« ein: »Nachhaltigkeit-Labels bedeuten doch gar nichts. Das klingt alles gut, hat aber keinen Inhalt. Mir kommt der Klimawandel vor wie ein Herzanfall, und die Idee der Nachhaltigkeit ist in diesem Moment wie ein Arzt, der dann zu einer großen Rede ausholt, dass man doch gesünder hätte leben sollen. Ich selbst suche nur noch nach Notfallplänen.«

Dann nimmt Greening Bezug auf die Maori, Neuseelands Ureinwohner, die zwar keine genuinen Bauern seien, aber wenn sie in Landwirtschaft involviert seien, dann geschehe das nicht auf der Ebene von Individuen oder Familien, sondern auf der Ebene eines Stammes. Stämme seien dauerhafter als Familien, man spreche dann gleich über Zeiträume von hunderten von Jahren, die eine starke Verbundenheit mit dem Land hervorbrächten, ohne dass der Aspekt des Besitzes dabei eine allzu große Rolle spiele.

Das Nachmittagsplenum endet mit einem Grußwort von »Sadhguru«, dem indischen Yogi, Mystiker und Bestsellerautor Jaggi Vasudev, der die Initiative »savesoil.org« gegründet hat. Der eingespielte Film zeigt den älteren Herrn mit weißem Rauschebart auf einem schwankenden Kutter bei schwerer See, bekleidet mit einer gelben Regenjacke, eine Sonnenbrille gegen das immer wieder auf Deck spitzende Wasser auf der Nase. Man fühlt sich schon alleine durchs Zuschauen fast durchnässt. »Der Boden ist das wichtigste überhaupt,«, sagt Sadhguru in die Kamera, »lasst uns Lösungen finden, um ihn zu bewahren. Diese Lösungen finden wir nicht oben im Himmel, und sie sind auch keine »rocket science«. Packen wir die Probleme einfach an!« Und das Schiff, der Boden, von dem aus dieser Appell ins Forum nach Arles gelangt, er schwankt, auf und ab, auf und ab, auf und ab, bis der Einspieler ausblendet und in den großen Applaus der Anwesenden mündet.

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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Von Redaktion