En Primeur in der Krise
Dieser hohe Verschuldungsgrad des Handels bei gleichzeitig verlängerter Lagerdauer der Weine lässt vor allem einen Schluss zu: Der Handel möchte es um alles in der Welt verhindern, den Markt mit Preissenkungen in Gang bringen zu müssen. Denn offenbar schätzt er die Gefahr von Domino-Effekten und einer Abwärtsspirale bei den Preisen als höher ein, als die Gefahr, an der Obstruktion des Marktgeschehens zugrunde zu gehen.
Ein Blick auf die Primeur-Verkäufe der letzten Jahre lässt Skepsis aufkommen, ob diese Einschätzung dauerhaft Bestand haben wird. Denn während beispielsweise die Liv-Ex-Mitglieder aus UK noch beim 2010er Jahrgang rund 230 Millionen Pfund Sterling an Primeurkäufen umsetzten, muss man die Umsätze der drei ebenfalls guten bis großen Jahre 2015, 2016 und 2018 zusammenrechnen, um auf eine ähnliche Summe zu kommen.
Und während man bei diesen Zahlen noch entgegnen kann, dass die Primeur-Bilanz in anderen Teilen der Welt – etwa in China – nicht ganz so drastisch ausfällt, sollte eine andere Zahl in Bordeaux endgültig die Alarm-Glocken zum Schrillen bringen: Noch im Jahr 2010 entfielen im Handelssystem von Liv-Ex 95 Prozent des – weltweiten – Umsatzes auf Bordeaux-Weine. Anfang 2020 war dieser Anteil auf 50 Prozent gesunken. Und in der Woche von 10. bis 16. April markierte der Bordeaux-Anteil in der Statistik der Liv-Ex-Umsätze einen neuen Tiefststand: bei sage und schreibe 33,1 Prozent.
Liv-Ex jedenfalls hat einen eindringlichen Appell an die Akteure in Bordeaux bereit: »Diejenigen, die ihre En Primeur-Verkaufszahlen steigern wollen, sollten dieses Jahr vielleicht einen dramatischeren Zug in Betracht ziehen, wenn sie Investoren zu einer Kaufentscheidung überzeugen wollen. Die Antwort wird wie immer im Preis liegen.«
Ob die Châteaux diesmal weniger beratungsresistent sind als in der Vergangenheit, wird sich zeigen müssen, wenn die 2019er Primeur-Kampagne dann tatsächlich irgendwann losgeht.