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Liv-Ex: Primeurkampagne 2019 ein unerwarteter Erfolg

In einem neuen Research-Bericht zieht die Londoner Fine Wine Börse ein weitgehend positives Fazit der diesjährigen Primeurkamapgne.

Dabei war der Start der diesjährigen en-Primeur-Verkäufe mehr als nur holprig. Durch Corona wurde es Händlern und Journalisten unmöglich, Anfang April wie geplant zur Verkostung der Fassmuster nach Bordeaux zu reisen. Während des Shutdowns sah es sogar einen Moment lang so aus, als würde die gesamte Kampagne um ein Jahr verschoben.

Doch dann kam Ende Mai doch noch Bewegung in den Markt. Mit einem beherzten Preisnachlass von 31 Prozent auf den Preis des 2018er Jahrgang setzte Alfred Tesseron von Château Pontet Canet ein erstes Ausrufezeichen. Château Palmer folgte unmittelbar mit einem identischen Abschlag. Angesichts positiver Kritikerstimmen für den Jahrgang stellte sich schnell Nachfrage auch bei jenen Händlern ein, die die Weine zu diesem Zeitpunkt noch nicht selbst verkostet hatten.

Allerdings – so schränkt Liv-Ex-Analystin Desislava Lyapova ein, hätten manche Châteaux trotz der eher großzügigen 2019er-Erträge (häufig eher bei 50 hl/ha als bei 40 hl/ha) nur kleine Mengen Wein zum rabattierten en-Primeur-Preis auf den Markt gebracht (siehe Tabelle oben) – und sie fragt: »Might this strategy come back to haunt them?« Denn die spekulative Hoffnung, für die zurückgehaltenen Mengen zu einem späteren Zeitpunkt höhere Preise zu erzielen, könnte den Châteaux durchaus noch auf die Füße fallen.

Die gesuchtesten Weine

Aufgrund einer Umfrage unter den Liv-Ex-Mitgliedern benennt der Research-Bericht folgende Châteaux als die gesuchtesten Weine:

Auf Liv-Ex habe sich zudem – anders als in den Vorjahren – schon kurz nach Beginn der Primeurkampagne ein Sekundärmarkt für die 2019er Weine entwickelt. Bei diesen Geschäften kaufen und verkaufen Bordeaux-Händler ihre Primeur-Kontingente wie Optionen, wobei die zukünftige physische Lieferung der Weine durch Bankbürgschaften garantiert wird.

Das Entstehen eines Sekundärmarkts gilt als Anzeichen dafür, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt. Die größten Preissteigerungen auf dem Sekundärmarkt erzielten die Châteaux Les Carmes Haut-Brion (+ 30,4 Prozent zum Release-Preis am Markt London), Clinet (+ 29,2 Prozent), La Mission Haut-Brion
(+ 21,4 Prozent) und Mouton-Rothschild (+ 18,3 Prozent).

Das große Aber

So unerwartet der flotte und erfolgreiche Verlauf der Primeurverkäufe war, so differenziert ist das Bild jedoch, wenn man etwas tiefer in die Zahlen eintaucht. Bemerkenswerterweise setzten zum Beispiel die Liv-Ex-Mitglieder aus UK bei den 2019er Weinen nur etwa ein Fünftel des Werts um, für den sie etwa 2009 Primeurweine verkauften (siehe Diagramm unten). Auch im Vergleich zu 2016 und 2018 blieben die Umsätze kleiner. Liv-Ex beschreibt den Bordeaux-Markt dann auch als »eng«: Es seien vor allem die bekannten 30 Etiketten gewesen, die Nachfrage erfuhren, und auch auf Käuferseite sei keine wesentliche Verbreiterung der Nachfrage festzustellen. Immerhin seien vereinzelt Bordeaux-Käufer auf den Markt zurückgekehrt, die sich die letzten Jahre vom Primeurkauf fern gehalten hätten.

Positives, wenn auch kritisches Fazit

Dennoch schließt der Report mit einer kritischen Note: »Despite the uptick in demand this year, many chateaux chose to ignore the opportunity to sell greater volumes by releasing decent amounts of their production onto a market with ›hungry buyers‹. It seems that there is a continued belief that by squeezing supply, prices will rise. The problem here becomes one of market perception. If the market knows (or simply feels) that the supply exists, but is not being offered, it views it as an overhang. Prices struggle to rise under such conditions.«

»Trotz der positiven Nachfrage entschlossen sich viele Châteaux, die Gelegenheit zum Verkauf größerer Volumina zu ignorieren. In einen Markt mit ›hungrigen Käufern‹ hätten sie ja auch eine anständige Menge ihrer Produktion bringen können. Scheinbar herrscht immer noch der Glaube vor, dass eine Verknappung des Angebots den Preis steigen lasse. Das Problem hierbei ist jedoch eines der Marktwahrnehmung. Wenn der Markt weiß (oder einfach den Eindruck hat), dass die Ware existiert, aber nicht angeboten wird, dann sieht er die Situation als Angebotsüberhang. Unter solchen Bedingungen haben es Preise nicht leicht zu steigen.« (Übersetzung U.S.)

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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