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Lese 2022: Deutschlands Winzer sind schon in den Startblöcken

Der warme August hat die Reife trotz der trockenen Witterung beschleunigt – in den südlichen Anbaugebieten beginnt die Sektlese nächste Woche, die Lese für Stillwein wird sich unmittelbar anschließen.

»93 Oechsle – am 17. August!« – Winzer und Gastronom Fritz Keller aus Oberbergen macht am Telefon eine Kunstpause, um die Wirkung dieser Information abzuwarten. Und in der Tat ist dieser Wert, von Keller gemessen in einer Chardonnay-Parzelle im mittleren Kaiserstuhl, eine nachgerade beängstigende Sensation. Noch vor 20 Jahren waren die Winzer froh, wenn das Refraktometer Ende September oder Anfang Oktober solche Werte anzeigte: Werte, die nicht von Ungefähr dem Prädikat »Spätlese« zugeordnet sind.

Zum Glück sind solche Spätlese-Mostgewichte Mitte August auch dieses Jahr noch Ausreißer, allerdings am warmen Kaiserstuhl keine extrem raren: Joachim Heger aus Ihringen hat ebenfalls schon 88 Grad Oechsle gemessen, dämpft aber die Ungeduld der Lesemannschaft: »Man misst ja immer nur einzelne Beeren oder Trauben! Was dann von der Kelter läuft, ist oft eine andere Geschichte.«

Hauptlese ab den ersten Septembertagen

Da es in den letzten Tagen ein klein wenig geregnet und auch deutlich abgekühlt hat – »momentan haben wir 17 Grad, endlich hält mal es auch mal wieder im Büro aus« sagt Arne Bercher aus Burkheim, ebenfalls am Kaiserstuhl – hoffen die Winzer dieses Jahr auf einen Effekt, den sie in der Regel scheuen: Dass der Rebstock nämlich etwas Regenwasser in die kleinen, dieses Jahr besonders trockenen Beeren pumpt. Dadurch würden die Mostgewichte wieder etwas sinken, und in Verbindung mit dem kühleren Wetter würde die Reifekurve etwas abflachen – so jedenfalls die Hoffnung. So könnten die Reben noch etwas Zeit gewinnen, neben der Zuckerreife auch physiologische Reife und damit aromatische Komplexität zu erlangen.

»Es wird sicher September, bis wir ans Lesen gehen«, berichtet Ida Ziereisen aus Efringen-Kirchen im Markgräflerland. Der Gutedel, wichtigste Sorte der Region, liege derzeit noch bei etwa 60 Oechsle – was für diese weniger zuckerstarke Traube allerdings auch nicht mehr sehr weit vom Zielkorridor entfernt ist, der irgendwo zwischen 75 und 85 Oechsle liegt.

Auch die Winzer in der Südpfalz rechnen mit einem Lesebeginn Anfang September, Gerd Bernhart aus Schweigen etwa schätzt: »Wenn’s gut läuft und die Reife nicht weiter so schnell voranschreitet, 5. September. Sonst vielleicht auch 1. September. Wir liegen momentan eher gleichauf mit 2020 und nicht mit 2018.«

Sektlese beginnt in den nächsten Tagen

Den Vergleich mit 2020 zieht auch VDP-Präsident Steffen Christmann: »Im Sektgut beginnen wir nächsten Mittwoch (also am 24. August, Anmerkung U.S.) zu lesen, wollen dann in der zweiten Wochenhälfte schon viel Chardonnay und Spätburgunder wegholen und in der Woche darauf (also derjenigen, die am 2. September endet, U.S.) die Lese für den Sekt abschließen und die ersten Spätburgunder fürs Weingut holen.«

Christmann erzählt aber auch, dass sie ein Jungfeld mit dreijährigen Reben für Spätburgunder Stillwein hätten, bei denen nur zwei Trauben am Stock hängen. »Die laufen der Reife um 10 Grad Oechsle voraus, die müssen wir auch schon nächste Woche holen.«

Katharina Raumland aus Flörsheim-Dalsheim berichtet, dass das Team des namhaften Sektguts ebenfalls schon in den Startlöchern stehe: »Wir werden am Montag anfangen, ich bin sicher, dass wir noch nicht zu spät dran sind, aber irgendwie sind wir von den letzten Wochen schon etwas überrollt worden. Mitte August in die Lese zu gehen, da ist man einfach nicht drauf vorbereitet, und man will es eigentlich auch nicht.«

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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