Laguiole: Die Falsche Klinge

Die berühmtesten Messer der Welt werden inzwischen millionenfach ­gefälscht und nachgebaut. Falstaff besuchte die legendäre Schmiede von Laguiole.

In Frankreich zählt Laguiole zu den berühmtesten Ortsnamen des Landes – und spielt in ein und derselben Liga wie etwa Camembert und Roquefort oder auch Saint-Émilion und Nuits-Saint-Georges. Nur dass in Laguiole kein Käse oder Wein erzeugt wird, sondern ein elegant geschwungenes Messer, das dem Ort seinen Namen verdankt. »Und genau da liegt das Problem«, sagt Karine Mayran, die in der lokalen Messermanufaktur »Forge de Laguiole« (Schmiede von Laguiole) für den Export zuständig ist. »Während nämlich für Lebensmittel schon vor Langem eine geschützte Herkunftsbezeichnung eingeführt wurde, gibt es so etwas für Handwerk nicht.« Was zur Folge hat, dass den Namen Laguiole heutzutage jedes Messer tragen darf, ganz egal, wo es erzeugt oder geschmiedet wurde. »Sogar in Laguiole selbst verkaufen viele Händler Messer, die nicht im Ort, sondern ganz woanders hergestellt werden. Zum Teil ist es minderwertige Billigware aus Indien, Pakistan oder China«, ärgert sich Mayran.

Impressionen aus der Messermanufaktur »Forge de Laguiole« in der Bilderstrecke

Biene oder Fliege?
Laguiole-Messer zählen längst – ähnlich wie Handtaschen von Louis Vuitton – zu den meistgefälschten Edelprodukten Frankreichs. Dabei ist gar nicht klar, ob diese Nachbauten illegal sind oder nicht. Denn für Messer, so Mayran, unterliege der Name Laguiole der Gemeindefreiheit und sei als solcher nicht zu schützen. So hätten auch alle Bezeichnungen wie »echtes« Laguiole oder »original« Laguiole in Wahrheit keinerlei Bedeutung, manche Messer trügen sogar die Aufschrift »geschmiedet in Laguiole«, was im Regelfall aber lediglich bedeutet, dass die Feder am Rücken des Messers in Laguiole geschmiedet wurde – nicht aber die Klinge. Und was ist mit dem Markenzeichen, der berühmten Biene auf dem Messerrücken? Gilt das Tier nicht als Garantie für ein echtes Laguiole? »Das denken viele, doch auch die Biene kann verwenden, wer will«, erklärt Mayran. Dabei wisse man auch gar nicht, ob es sich überhaupt um eine Biene handelt, genauso gut könne es nämlich eine Fliege sein. Mayran: »Dazu gibt es mehrere Theorien, manche glauben, dass es eine Fliege ist, weil wir hier in einer Rinderzucht-Gegend leben und die Rinder so viele Fliegen anziehen. Andere wiederum meinen, es sei eine Biene und damit das Symbol der kaiserlichen Macht, das Napoleon den Bürgern der Stadt einst zu verwenden genehmigte.« Mayran zeigt dabei auf ein paar teurere Messer in einem Schaukasten, wo jedes mit einer unterschiedlichen Biene versehen ist. »Sehen Sie: Das hier sind Messer mit individuell gestalteten Bienen, sie werden einzeln und liebevoll per Hand eingraviert.« Es gäbe, so Mayran, aber auch Messer ohne Bienen, dafür mit ganz anderen Motiven auf dem Rücken. So prangt auf manchen Laguiole-Messern eine Muschel, das kommt daher, dass früher viele Pilger das berühmte Schneidewerkzeug gerne auf den Jakobsweg mitgenommen haben, der legendäre Wanderpfad führt seit Jahrhunderten hier vorbei.

Gibt es denn überhaupt irgendeine Möglichkeit, ein echtes Laguiole zu erkennen? »Na ja, wenn Sie Messer wollen, die hier im Ort geschmiedet wurden, dann müssen Sie auf unser Logo achten«, antwortet Mayran, »wir verkaufen in die ganze Welt, einer unserer wichtigsten Kunden und Wiederverkäufer in Österreich ist die Firma ›Deckenbacher und Blümner‹ in der Wiener Kärntner Straße.«

Spanische Wurzeln
Das erste echte Laguiole-Messer wurde in dem zentralfranzösischen Ort im Jahre 1829 geschmiedet. »Davor gab es hier eine andere Sorte Messer, die sich Capuchadou nannte und nicht klappbar war«, erzählt Mayran. Zu der Zeit war das Hochplateau namens Aubrac, auf dem Laguiole liegt, eine sehr ärmliche Gegend. Im Winter zogen die Männer los, um irgendwo als Hilfsarbeiter etwas dazuzuverdienen. Dabei gelangten manche bis nach Spanien und brachten von dort klappbare Taschenmesser – sogenannte Navajas – mit in ihre Heimat, wo sie dem Messerschmied Pierre-Jean Calmels als Vorlage für das erste Laguiole-Messer dienten – eine Kombination aus Capuchadou und Navaja.

Um vor der Armut zu fliehen, verschlug es auch in den darauffolgenden Jahren zahlreiche Bewohner des Départements Aveyron, zu dem diese Gegend gehört, nach Paris. Dabei hatten sie stets ein klappbares Laguiole in der Tasche, das man deswegen auch den »Aveyroner Reisepass« nannte. In der Hauptstadt arbeiteten sie häufig als Kellner und Weinhändler, was zur Folge hatte, dass das Klappmesser bald mit einem Korkenzieher versehen wurde. »Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das typische Laguiole dreiteilig«, sagt Mayran, »und enthielt neben der Klinge auch eine Ahle und den Korkenzieher.«

Laguiole-Boom
Zunehmend fanden die Hauptstädter Gefallen am Werkzeug der zentralfranzösischen Bauern, die Nachfrage explodierte und erreichte solche Ausmaße, dass sie allein in den Werkstätten des kleinen Dorfs nicht mehr befriedigt werden konnte. »So verlagerte sich die Produktion in die Stadt Thiers, die in Frankreich als Zentrum der industriellen Messerschmiede gilt, ähnlich wie Solingen in Deutschland«, erklärt Mayran. In Laguiole selbst verblieben nur einige wenige Schmieden, die eine kaum nennenswerte Menge an Messern erzeugten.

Bis dann im Jahr 1987 eine Gruppe von Freunden beschloss, die Tradition der Messererzeugung in dem kleinen Ort Laguiole wiederzubeleben und die »Forge de Laguiole« zu gründen. Einer von ihnen war JeanLouis Costes, ein Sohn dieser Gegend, der, wie so viele seiner Landsleute vor ihm, in Paris als Kellner begann und es im Anschluss bis zum erfolgreichen Gastronomie-Unternehmer brachte. Mit der Gestaltung seiner Lokale beauftragte Costes den damals gerade durchstartenden Designer Philippe Starck. Ihn konnte er dafür gewinnen, das modernistische Gebäude der Schmiede im Ort zu entwerfen, aus dem eine 15 Meter hohe Metallklinge in den Himmel über dem mittelalterlichen Steindorf ragt. Und er brachte ihn auch dazu, ein Messer zu gestalten, das zwar die klassische Form behielt, ansonsten aber aus verchromtem Aluminium bestand.

Ursprungsschutz
Es wurde rasch zu einem Kult-Messer und schaffte es sogar in die Design-Sammlung des Museum of Modern Art in New York. Der neu gegründeten Firma bescherte die Zusammenarbeit mit dem Stardesigner enor­me Aufmerksamkeit. »Der Erfolg des Messers war so groß«, erzählt Mayran, »dass sich bald unzählige weitere Firmen hier ansiedelten, von denen aber nur die wenigsten auch tatsächlich in Laguiole schmieden.« Nun wurde ein Gesetz verabschiedet, nach dem es auch für Handwerk so etwas wie eine Gebietsbezeichnung geben soll, ganz wie bei Lebensmitteln. »Der Name Laguiole für Messer unterliegt zwar weiterhin der Gemeinfreiheit, allerdings wird es in Zukunft auch eine Kennzeichnung geben, die nur die Messer aus Laguiole tragen dürfen«, freut sich Mayran.

Inzwischen ist das Gesetz zwar durch, doch was ein echtes Laguiole ist, in welchem Umkreis um das Dorf es hergestellt werden darf und wo es geschmiedet werden muss, über all das müssen sich die Messermacher erst noch einigen. Und bis es so weit ist, werden wohl noch unzählige Messer unter dem ­Namen Laguiole den Weltmarkt überschwemmen – egal, ob sie aus Laguiole, aus Thiers, aus China oder von wo auch immer stammen.

Text & Fotos von Georges Desrues
Aus Falstaff Nr. 08/2013

Georges Desrues
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