Nikos Kazantzakis, geboren 1883 auf Kreta, zählt zu den bedeutendsten griechischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Sein Roman »Alexis Sorbas« wurde als Buch und Film ein Welterfolg.

Nikos Kazantzakis, geboren 1883 auf Kreta, zählt zu den bedeutendsten griechischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Sein Roman »Alexis Sorbas« wurde als Buch und Film ein Welterfolg.
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Kunst & Kulinarik: »Stopfen wir uns erst einmal den Magen voll...«

Das sagt die Romanfigur Alexis Sorbas zu ihrem »Chef«, einem allem Sinnlichen abgeneigten Engländer. Und das sagte auch der echte Sorbas, der eigentlich Georgios hieß, zu dem Schriftsteller Nikos Kazantzakis. Daraus entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft – und ein literarischer Welterfolg.

An einem Strand auf Kreta tanzen zwei Männer im Anzug Sirtaki zur weltbekannten Musik von Mikis Theodorakis. Die Arme haben Sie einander um die Schultern gelegt, sie lachen, wirken glücklich und befreit, dabei haben sie gerade alles verloren. Wochenlang haben sie an einer Materialseilbahn gebaut, doch gleich bei der Einweihung krachte diese in sich zusammen. Diese Schlussszene aus dem 1964 gedrehten Film »Alexis Sorbas« hat Filmgeschichte geschrieben. Seitdem ist Sirtaki der Volkstanz der Griechen schlechthin und »Alexis Sorbas« untrennbar mit dem Schauspieler Anthony Quinn verbunden. »Ich bin Sorbas«, betonte dieser noch Jahre später immer wieder – verkörperte er doch den ungestümen Griechen, dem nichts wichtiger ist als seine Freiheit, so leidenschaftlich, als wäre dieser tatsächlich ein Teil von ihm. Bereits als er das erste Mal den gleichnamigen Roman von Nikos Kazantzakis gelesen habe, so Quinn, hätte »Sorbas die Macht ergriffen« und ihn fasziniert wie keine andere Figur davor oder danach.

Sorbas gab es wirklich

Viele Jahrzehnte zuvor hatte dieser Georgios Sorbas, wie der im Buch beschriebene Grieche im wahren Leben hieß, schon einmal jemanden so sehr beeindruckt: Den Autor Nikos Kazantzakis: »Müsste ich einen seelischen Führer für diese Welt wählen, dann würde ich Sorbas wählen. Er besaß alles, was einem Tintenkleckser wie mir abgeht«, erinnerte sich dieser später. »Sorbas hat mir gezeigt, dass es im Leben darum geht, tapfer zu leben und zu sterben. Egal, wie aussichtlos eine Lage auch sein mochte, er wies mir den Weg, das Schicksal mit Freude, Stolz und Würde hinzunehmen. Er lehrte mich, das Leben zu lieben und den Tod nicht zu fürchten. Ich hatte immer nach Freiheit gesucht, und er hat mir gezeigt, wie und wo sie zu finden war.«

Kreta, Schauplatz von Nikos Kazantzakis’ Roman »Alexis Sorbas«: So karg die Landschaft, so prall und lebensfroh die Lebensphilosophie der Hauptfigur.
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Kreta, Schauplatz von Nikos Kazantzakis’ Roman »Alexis Sorbas«: So karg die Landschaft, so prall und lebensfroh die Lebensphilosophie der Hauptfigur.

Im Jahr 1915 begegneten sich der griechische Schriftsteller und der temperamentvolle Bergmann am Heiligen Berg Athos das erste Mal. Der damals 31-jährige Kazantzakis wollte sich dort ins Kloster zurückziehen, nachdem der studierte Jurist seinen Alltag in Athen und an der Seite seiner Ehefrau Galateia Alexiou, einer Intellektuellen, nicht mehr ertrug: »Ich werde der Welt entsagen, weil ich ihrem Verfall nicht länger zuschauen kann«, notierte er damals. »Ich werde hinter dicken Mauern versinken (…) Keinen Ehestreit, keine anwaltliche Post mehr. Stattdessen Reinigung und Askese.« Aber es kam ganz anders. Zum Glück – hätte Kazantzakis doch sonst weder »Alexis Sorbas« noch seine anderen großen Werke geschrieben. Als er sich der Klosterpforte näherte, stürmte ihm schimpfend und schnaubend ein großer, hagerer Mann mit funkelnden Augen entgegen. Was Kazantzakis an diesem Ort wolle, wo man Gott weinen höre, herrschte ihn der Unbekannte an. Er wolle im Kloster gegen die Finsternis ankämpfen, antwortete ihm der Feingeist, und wer er denn eigentlich sei, der das fragte. »Raucher, Vagabund, Suppenkoch, Bergmann, Witwer, Schwarzhändler, Holzfäller und unehrenhaft entlassener Mönch – Georgios Sorbas mein Name«, lautete dessen Antwort. Und er überredete den »Tintenkleckser«, statt ins Kloster mit ihm zu gehen und in eine Taverne einzukehren. So begann ihre Freundschaft.

Lebenslange Freundschaft

Kurz darauf trafen sich die beiden wieder. Als Kazantzakis 1916 auf der Halbinsel Mani am Peloponnes eine stillgelegte Braunkohlemine wieder in Betrieb nehmen wollte, bat er Sorbas um Unterstützung. Dieser ließ alles stehen und liegen und eilte seinem Freund zu Hilfe. Die folgenden Monate wurden zu den glücklichsten seines Lebens, schrieb Kazantzakis später. Und das, obwohl die beiden mit ihrem Vorhaben scheiterten und Kazantzakis dabei sein gesamtes Vermögen verlor.

30 Jahre später schrieb er »Alexis Sorbas« und setze damit seinem Freund ein ­literarisches Denkmal. Und auch sich selbst. Denn der Roman über einen sensiblen englischen Schriftsteller und den kraftvollen Makedonier wurde Kazan­tzakis’ erfolgreichstes Buch und machte ihn bereits vor dessen Verfilmung weltberühmt.

»Lehre mich zu tanzen!« – die letzte Szene der Verfilmung von »Alexis Sorbas« und der Tanz von Anthony Quinn und Alan Bates gehört zu den berühmtesten Filmszenen der Welt.
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»Lehre mich zu tanzen!« – die letzte Szene der Verfilmung von »Alexis Sorbas« und der Tanz von Anthony Quinn und Alan Bates gehört zu den berühmtesten Filmszenen der Welt.

Sorbas, dieser einfache Mann, lehrt den stets suchenden Intellektuellen Basil mehr über das Leben als all dessen Bücher. Es gehe darum, den Moment zu leben – tanzend, lachend, essend, trinkend: »Mach dir das Herz nicht so schwer, Chef, man kennt sich da nicht aus«, sagt Sorbas zu seinem Arbeitgeber, als der wieder einmal über den Tod grübelt: »Reden wir von etwas anderem. Ich hatte gerade das Mittagessen im Sinn, die Henne und den Pilaw mit dem Zimt obendrauf. Mein ganzes Gehirn dampft wie Pilaw. Stopfen wir uns erst einmal den Magen voll und dann wollen wir sehen. Alles der Reihe nach. Jetzt haben wir Pilaw vor uns, also denken wir nur an Pilaw. Morgen sind die Braunkohlen dran, da kümmern wir uns nur um die Braunkohlen. Keine halbe Arbeit. Verstanden?«

Halbheiten, das muss »der Chef«, der meist Salbeitee trinkt, schnell begreifen, duldet Sorbas nie. Schuften werde er für ihn wie ein Sklave, verspricht er ihm. Aber seine Santuri (eine Art Hackbrett, Anm.) werde er nur spielen, wenn er dazu aufgelegt sei: »Dieses Instrument ist ein Raubtier, es will Freiheit. (…) Du darfst mich nicht zwingen. Dann hast du mich verloren.« – »Wirt, noch einen Rum«, ordert der Chef als Zeichen seines Einverständnisses. »Zwei Rum!«, fährt Sorbas dazwischen. »Du musst auch einen trinken zum Anstoßen. Salbeitee und Rum passen nicht zusammen. Auch du musst Rum trinken. Damit die Abmachung hält.«

Die Abmachung der beiden so unterschiedlichen Männer hält, und der englische Schriftsteller wendet sich dem Leben zu – und dem Essen. Verrät es doch so viel über einen Menschen, wie Sorbas ihm beibringt: »Sag mir, was du aus den Speisen machst, welche du isst, und ich werde dir sagen, wer du bist. Die einen verwandeln sie in Fett und Kot, die anderen in Arbeit und gute Laune. Wieder andere, habe ich gehört, verwandeln sie in Gott. Also gibt es drei Sorten von Menschen. Ich, Chef, gehöre weder zu den Schlimmsten noch zu den Besten, ich stehe in der Mitte. Was ich esse, verwandle ich in Arbeit und gute Laune. Das ist nicht das Schlechteste.«

Zeit seines Lebens bereiste Nikos Kazantzakis (l.) die Welt. Hier ist er im Jahr 1933 mit dem französischen Schriftsteller Renaud de Jouvenel  im Gespräch.
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Zeit seines Lebens bereiste Nikos Kazantzakis (l.) die Welt. Hier ist er im Jahr 1933 mit dem französischen Schriftsteller Renaud de Jouvenel  im Gespräch.

Aus Wein entsteht Geist

Und Sorbas isst und kocht für sein Leben gerne. Nachdem Kazantzakis den Roman in seiner Heimat, auf der Insel Kreta, spielen lässt, gibt es all die Köstlichkeiten, die diese Insel zu bieten hat: Oliven, mit Sesam bestreute Brezel, Ziegenkäse, Nüsse, Tomaten, Bohnen, über dem offenen Feuer gebratene Hammelkeulen, Wein, Raki und Halvas. Der sonst so appetitlose Dichter wandelt sich zum Feinschmecker: »In dieser Landschaft hatte ich zum ersten Mal Freude am Essen. Wenn Sorbas zwischen zwei großen Ziegelsteinen Feuer anmachte, wenn wir uns dann an den gedeckten Tisch setzten, aßen und tranken wir, und wenn dann unsere Gespräche ihren Höhepunkt erreicht hatten, merkte ich, dass Essen eine seelische Verrichtung ist, Brot und Wein Urstoffe sind, aus denen der Geist entsteht.«

Im Roman wie im Leben trennten sich die Wege von Nikos Kazantzakis und Sorbas, nachdem ihr Bergwerksprojekt 1917 gescheitert war. Doch die beiden trafen sich mehrfach wieder und blieben stets in Kontakt. Sorbas erkundigte sich bei »seinem Chef« immer wieder, ob es ihm gelungen sei, endlich »seine Leine abzuschneiden«. Und tatsächlich gelang Kazantzakis ein Befreiungsschlag. Er verliebte sich Hals über Kopf in die junge Eleni Samiou und ließ sich von seiner langjährigen Ehefrau Galateia scheiden. Mit Eleni reiste er in der Folge um die Welt, war als Schriftsteller höchst produktiv und verbrachte den Rest seines Lebens mit ihr.

Sorbas hingegen verschlug es in das heutige Mazedonien, in ein kleines Dorf in der Nähe von Skopje und er heiratete eine Frau namens Luiba, die ihm »einen kleinen Sorbas« schenkte.  Einige Jahre später telegrafierte Sorbas an Kazantzakis nach Berlin: »Prächtigen grünen Stein gefunden. Sofort kommen. Sorbas.« Das tat der Schriftsteller nicht – und sollte es bereuen. Die nächste Nachricht erhielt er erst 1941 von einem Dorflehrer. Er teilt ihm mit, dass Sorbas gestorben sei. Am Sterbebett hätte Sorbas gebeten, dem »guten Freund in Griechenland« zu schreiben, dass »ich bis zur letzten Minute meine Sinne beisammenhatte und an ihn dachte. Dass ich nichts bereue und dass es ihm gut gehen möge«.  Und er vermachte Kazantzakis seine Santuri – damit dieser ihn nicht vergessen möge.



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Nikos Kazantzakis

Viel mehr als nur »Alexis Sorbas«.

  • Nikos Kazantzakis wurde 1883 in Heraklion auf Kreta geboren, das damals noch in türkischer Hand war. Die Aufstände der Kreter gegen die Herrschaft der Türken prägten Kazantzakis’ literarisches Werk.
  • Er studierte Rechtswissenschaften und ging 1906 nach Paris, wo er Philosophie studierte.
  • In den folgenden Jahren bereiste der Rastlose Deutschland, Österreich, die Schweiz, Russland, China, Japan, Italien, Ägypten, Palästina und Spanien. Auch in Griechenland war er viel unterwegs. Am Berg Athos lernte er 1916 den Bergmann Georgios Sorbas kennen, dem er 30 Jahre später mit seinem Roman »Alexis Sorbas« ein Denkmal setzte.
  • Ab 1919 war er Direktor für das Ministerium für Soziales und kümmerte sich um die Repatriierung von 150.000 Griechen, die aus dem Kaukasus vertrieben wurden. Darüber schrieb er später in »Griechische Passion«.
  • Geplagt von gesundheitlichen Problemen ließ sich Kazantzakis 1936 auf der Insel Ägina nieder. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er vor allem in Antibes in Frankreich und widmete sich dem Schreiben. Nach »Alexis Sorbas« waren auch seine Romane »Freiheit oder Tod« und »Die letzte Versuchung Christi« erfolgreich. Insgesamt war er sechsmal für den Nobelpreis nominiert, erhielt ihn aber nie.
  • Am 26. Oktober 1957 starb Nikos Kazantzakis in einer Klinik in Freiburg. Begraben wurde er in seiner Geburtsstadt Heraklion. Auf seinem Grab findet sich folgende Inschrift: »Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.«

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2022

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Judith Hecht
Autor
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