Der Kürbis, vielseitiger Küchenbegleiter und seit Jahrtausenden auf der ganzen Welt beliebt.

Der Kürbis, vielseitiger Küchenbegleiter und seit Jahrtausenden auf der ganzen Welt beliebt.
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Kürbis: Vielgesichtige Giganten

Kürbis wächst auf allen fünf Kontinenten und ist seit Jahrtausenden fester Bestandteil der Kulinarik ebenso wie der Kultur – und das nicht erst seit Halloween.

Nur noch wenige Wochen, dann ist es wieder so weit: Kürbisköpfe überall! Rund um Halloween erleben Kürbisse in verschiedensten Formen und Farben den Höhepunkt ihres jährlichen Einsatzzyklus, danach verschwinden sie wieder aus den Köpfen – und meist auch aus den Küchen. Nur von Zeit zu Zeit geraten sie in die Schlagzeilen, wenn verrückte Gärtner wieder Dimensionen sprengen – den bis heute gültigen Weltrekord für einen Riesenkürbis hält ein Mathias Willemijns aus Belgien, dessen Exemplar im Jahr 2016 1190,49 Kilo auf die Waage brachte, ziemlich genau das Gewicht eines VW Polo. Essen kann man solche Giganten Experten zufolge übrigens nicht, zu wässrig, geschmacklich enttäuschend. Aber zum Genuss-Part kommen wir ohnehin etwas später.

Ganz grundsätzlich besteht aber jedenfalls ein immenser Nachholbedarf, wenn es darum geht, dieses so vielseitige Gemüse angemessen zu würdigen. Apropos, hier lässt sich gleich das erste Vorurteil aus dem Weg räumen. Denn Kürbis ist eigentlich kein Gemüse, weil er – wie Obst – aus einer bestäubten Blüte entsteht. Er wächst allerdings an einjährigen Pflanzen, was üblicherweise für Gemüse zutrifft. Um dieses Dilemma zu lösen, wurde die Kategorie »Fruchtgemüse« erfunden. Botanisch gelten Kürbisse als Beeren, wegen ihrer dicken Schale heißen sie Panzerbeeren.

Der größte Kürbis der Welt wog 1190 Kilogramm, gezüchtet hat ihn der Belgier Mathias Willemijns.
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Der größte Kürbis der Welt wog 1190 Kilogramm, gezüchtet hat ihn der Belgier Mathias Willemijns.

Feuer, Rad, Strom – Kürbis

Nur wenige Eingeweihte wissen, dass Kürbisse im Grunde neben die Entdeckung des Feuers, die Erfindung des Rads und der Elektrizität gestellt werden müssten – sie spielen nämlich eine entscheidende Rolle für den menschlichen Fortschritt. Tatsächlich zählt der Kürbis zu den frühesten Zeugnissen menschlicher Agrargeschichte. Vorgänger des Cucurbita pepo, wie der Gartenkürbis mit botanischem Namen heißt, waren möglicherweise die ersten Pflanzen überhaupt, die von Menschen domestiziert, also aus der Wildnis geholt und gezielt angebaut wurden.

Die Pflanzung von Kürbissen markiere den Übergang von der menschlichen Nomadenzeit hin zur Sesshaftigkeit und der damit verbundenen Landwirtschaft, schreibt etwa die US-Professorin Cindy Ott in ihrem 323 Seiten starken Kompendium »Pumpkin. The Curious History of an American Icon«.  Die frühesten Funde von Kürbissamen datieren auf einen Zeitraum von ca. 8000 bis 6000 vor Christus, gefunden wurden sie im Oaxaca-Tal in Mexiko.

Mithin ist der Kürbis einer der ältesten kulinarischen Begleiter des Menschen. Fritz-Gerald Schröder, Professor für Gemüsebau und Gewächshausmanagement an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, begründet diese frühe Popularität mit den Eigenschaften, die wir noch heute schätzen: »Kürbis ist reich an Vitaminen und bei Raumtemperatur lange haltbar, viele Sorten haben zudem eine Wachsschicht außen, die sie noch besser schützt.«

Auf 1200 schätzt Schröder die Zahl der Sorten weltweit, und: Kürbis ist ein Kosmopolit. Bis auf die Antarktis wächst er auf jedem Kontinent, selbst im australischen Outback kann man welche finden. In Afghanistan und im Iran wird er ebenso geschätzt wie in den USA, in Südamerika ist er genauso beliebt wie in Japan – wenn Sie jetzt an den Hokkaido-Kürbis mit der essbaren Schale denken, liegen Sie richtig. Allerdings kommt der nicht von der gleichnamigen Insel, sondern wurde 1933 vom japanischen Züchter Saichiro Matsumoto in der Stadt Kanazawa gezogen, was rund anderthalb Flugstunden von Hokkaido entfernt ist. Wie der Name zustande kam, ist ein bis heute ungelöstes Rätsel.

Ungeahnte Einflüsse

Geklärt ist hingegen, weshalb der Kürbis in Europa populär wurde. Sein Erfolg geht laut Professor Schröder auf Karl den Großen zurück, der um das Jahr 812 eine Landgüterverordnung erließ, mit der Vorschriften zum Anbau von Gemüse, Obst und Wein definiert wurden. Das »Capitulare de villis« schrieb Geschichte und prägt die Gourmetwelt bis heute, etliche Gemüse- und Obstsorten wurden dadurch heimisch – auch der Flaschenkürbis ist in der langen Liste zu finden.

Feldmitarbeiter bringen die orangefarbige Ernte ein: In den Vereinigten Staaten spielt Kürbis seit Jahrhunderten eine große Rolle.
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Feldmitarbeiter bringen die orangefarbige Ernte ein: In den Vereinigten Staaten spielt Kürbis seit Jahrhunderten eine große Rolle.

Anders als andere Lebensmittel sind Kürbisse auch außerhalb der Küche vielseitig einsetzbar. Die indische Stadt Miraj im Bundesstaat Maharashtra ist innerhalb des Landes berühmt für die Tanpura – ein Saiteninstrument, ähnlich einer Sitar. Als Ausgangsmaterial verwenden die Instrumentenbauer einen Zierkürbis, der schnell verholzt und somit härter ist, höhlen ihn aus und lassen ihn mehrere Monate in der Sonne trocknen. Danach verarbeiten sie ihn kunstvoll zum traditionellen Instrument weiter, für das hohe Preise gezahlt werden. In Mexiko macht man Perkussionsinstrumente aus ihm, ähnlich wie Rasseln. Kürbisse sind als Trinkgefäße und als Lampenschirme im Einsatz – und einmal im Jahr in vielen westlichen Ländern natürlich als Laterne, populär gemacht durch Halloween.

Kein Jahr ohne Pumpkin Pie

Trotz der riesigen Popularität, die Kürbisse durch Halloween in den USA erfahren, kommt er jenseits des Atlantiks meist nur einmal im Jahr auf den Tisch: und zwar als süße Nachspeise zu Thanksgiving, manchmal auch zu Weihnachten. »Pumpkin Pie« taucht der Forscherin Cindy Ott zufolge erstmals kurz nach der Unabhängigkeitserklärung 1776 in einem amerikanischen Kochbuch auf, und es sollte noch bis zum 19. Jahrhundert dauern, bis er sich als Tradition beim Erntedankfest etablierte. Die Herstellung gelingt übrigens auch unerfahrenen Bäckern: Eine Mürbteigtarte wird mit einer Füllung aus Kürbisfleisch, Crème fraÎche, Eiern und Zucker belegt, als Gewürze nutzt man traditionell Nelke, Zimt und Ingwer. In den USA kommt das Kürbisfleisch üblicherweise aus der Dose, besser schmeckt es mit frischem Kürbis.

Viele andere Nationen essen das ganze Jahr über Kürbis, in afrikanischen Ländern, in Zentralasien oder in Mittel- und Südamerika stehen insbesondere Eintöpfe aus diversen Kürbisarten schon lange auf dem Speisezettel. Bei uns machte er lange vor allem Tiere satt: In kleinen bäuerlichen Betrieben bekamen Rinder und Schweine das Fruchtfleisch vorgesetzt.
Für die Haute Cuisine spielte er bis vor rund 20 Jahren keine große Rolle, er war – zumindest hierzulande – weitgehend unbekannt als Zutat fürs Essen.

Christoph Rüffer, Küchenchef des mit zwei Sternen prämierten Restaurants »Haerlin« in Hamburg, erinnert sich, als Kind niemals Kürbis gesehen zu haben. »Auch in meiner Kochlehre spielte Kürbis keine Rolle. Erst 1994 bekam ich ihn erstmals zu Gesicht«, sagt Rüffer – das wiederum spricht dafür, dass der zu der Zeit beginnende Halloween-Boom auch die kulinarische Beschäftigung mit dem Kürbis beförderte. 

Kürbis kam zwar erst spät in unsere Küche – dafür dann aber richtig. Zahlreiche Meister am Herd haben sich ihm gewidmet, von Massimo Bottura bis Antonio Santini, von Gordon Ramsey bis Alain Passard. Was ihn auszeichnet, ist die Wandlungsfähigkeit. Kürbis schmeckt als Suppe genauso wie im Risotto, als Füllung in Tortelli wie im Drei-Sterne-Restaurant »Dal Pescatore« oder als deliziöse Zugabe zu Spaghetti, wie es Daniel Humm in New York vormacht.

In der Küche sind Kürbisse aufgrund ihrer vielseitigen Einsatzmöglichkeiten gern gesehen.
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In der Küche sind Kürbisse aufgrund ihrer vielseitigen Einsatzmöglichkeiten gern gesehen.

Spektakulär wird es, wenn der Kürbis als essbare Umhüllung mit ins Gericht eingebunden wird, so wie der New Yorker Starkoch Daniel Boulud es zelebriert. Der Rote Zentner-Kürbis bildet die Basis für das Rezept, das laut Boulud auf seine Großmutter zurückgeht. Dafür öffnet er den Kürbis und höhlt ihn aus. Die Schale füllt er mit Sauerteig-Croûtons, gebratenem Bacon, Pilzen, Schnittlauch und verschiedenen Gewürzen, bedeckt alles mit Gruyère und gießt Obers an. Nach rund zwei Stunden bei etwa 175 Grad Umluft im Ofen ist der Kürbis fertig zum Genuss – ein besonderes Vergnügen wird das Gericht übrigens, wenn man der Füllung zusätzlich gegartes Fruchtfleisch vom Kabocha-Kürbis beifügt, der süßer schmeckt als andere Sorten.

Eine beherzte Würzung tut dem Kürbis generell gut, rät auch Küchenchef Rüffer aus Hamburg. Er setzt gern frische Kräuter wie Sauerampfer, Kapuzinerkresse, Oxalis und Wiesenkerbel ein, Thymian und Rosmarin fügen sich ebenfalls gut ein. Sehr gut harmoniert Orange. Rüffer sagt außerdem: »Kürbis verträgt viel Säure, sonst schmeckt er fad.« Schärfe, etwa durch Chili oder Ingwer, sei ebenfalls willkommen. Er selbst nutzt das Fruchtgemüse sowohl für herzhafte Speisen wie auch als Grundlage für glutenfreies Brot (Mehl aus Kürbiskernen) und für aufwändige Desserts.

Etwa für die Crêpes mit Kürbispüree oder Eis aus Kürbis und Kokosmilch mit Orangenschale und Orangenfilets. Als besondere Delikatesse und für eine knusprige Textur verwendet Rüffer auch frittierte Kürbisblüten. Unterm Strich lässt sich sagen: Kaum eine Pflanze verbindet Genuss und Nachhaltigkeit so schön wie der Kürbis.


Kürbis als Tierfutter?

Früher wurden vor allem Rinder und Schweine mit Kürbis gefüttert – und heute?
In der modernen Schweinezucht wird Kürbis nicht mehr für die Ernährung eingesetzt, zum Einsatz kommt, wenn überhaupt, der Kürbiskernpresskuchen – also das, was beim Pressen der Kürbiskerne zu Öl übrig bleibt. »Eine wichtige Eiweißquelle« sei das, bestätigt etwa Franz Habel, der in der Steiermark auf dem Vulkanhof Schinken erzeugt.


Halloween

Wie wurde der Kürbis zur Laterne?
Alte Irische Traditionen: Der Name Halloween geht auf den Feiertag All Hallows Eve zurück, der am 31. Oktober in Irland begangen wurde. Der wiederum gilt als Mischung aus einem Fest keltischen Ursprungs, dem Samhain, mit den christlichen Feiertagen Allerheiligen und Allerseelen. Allen ist gemein, dass sie auf eine Art das Jenseits betonen. Nach keltischem Glauben war an diesem Tag ein Übergang in eine andere Welt möglich. Einer irischen Legende zufolge durfte ein Mann namens Jack nach dem Tod weder in die Hölle noch in den Himmel. Er wurde von Gott dazu verurteilt, ewig auf der Erde zu wandern, mit einer glühenden Kohle in einer ausgehöhlten Rübe als Laterne. Im Volksmund wurde daraus »Jack-o-Lantern« und die irischen Auswanderer ersetzten die Rüben in den USA schließlich durch Kürbisse.


Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2021

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Philipp Elsbrock
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