Historische Produktionsanlage von Zwack. »Unicum« als Likör-Unikat.

Historische Produktionsanlage von Zwack. »Unicum« als Likör-Unikat.
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Kräuter­bitter im Trend

Kräuterliköre und Kräuterbitter stammen aus der Zeit uralter Klosterapotheken. Einige von ihnen wurden weltberühmt und zu Klassikern. Jetzt sind sie in vielen Bars wieder modern.

Nach dem Essen den Verdauungsschluck nicht vergessen. Diese Weisheit der Großeltern wird heute noch gerne befolgt, auch wenn die verdauungsfördernde Wirkung von Alkohol medizinisch überhaupt nicht nachvollziehbar ist und eher in das Reich der unausrottbaren Legenden gehört.

Eine beruhigende Wirkung durch Kräuter auf den Magen-Darm-Trakt ist hingegen allgemein bekannt, und so ist es nicht verwunderlich, dass schon früh in der Geschichte Kräuterbitter und Kräuterliköre entstanden sind. Etwa im Hospital von Salerno, der Urstätte des selbstständigen Apothekergewerbes. Aber auch die Benediktinermönche des Klosters Monte Cassino verstanden sich schon vor Urzeiten darauf, Kräuter für Tinkturen und Liköre einzusetzen.

Viele heute noch hergestellte und beliebte Liköre haben tatsächlich ihre Wurzeln in Klosterapotheken. Bénédictine und Chartreuse aus Frankreich, genauso wie Averna aus Ita­lien und die Elixiere der Klosterbrennerei Andechs in Deutschland. Aber auch später waren es oftmals Apotheker, die besonders in Oberitalien zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen regelrechten Kräuter-Boom unter den Getränkemachern auslösten. Es sind Namen wie Ausano Ramazzotti, Gaspare Campari, Maria Branca, Francesco Peloni (Bràulio), aber auch Benedetto Carpano, der allerdings mit seiner Idee, Wein mit Gewürzen zu verfeinern, den Wermut erfunden hat.

Kräuterbitter haben eine beruhigende Wirkung auf den Magen-Darm-Trakt. Das wusste man schon vor 200 Jahren.
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Kräuterbitter haben eine beruhigende Wirkung auf den Magen-Darm-Trakt. Das wusste man schon vor 200 Jahren.

Auch Johann Becher und József Max Zwack begannen damals in Österreich-Ungarn mit der Vermarktung von Rezep­­ten ihrer Familien, und noch heute gelten Becherovka und Unicum in Tschechien und Ungarn als landestypische Getränke.
Die Welt der Kräuterbitter einzuteilen ist bisweilen ein schwieriges Unterfangen. Liest man sich die einschlägigen Verordnungen durch, stellt man fest, dass der bittere Geschmack für die Klassifizierung als Bitter­spirituose ausschlaggebend ist. Weiters ist ein Mindestalkoholgehalt von 15 Vol.-% erforderlich, eine Grenze, die auch für Liköre gilt.
Einige Marken, wie Mariazeller Kräuterbitter oder Fernet-Branca, weisen wenig bis gar keinen Zucker auf, werden aber im Allgemeinen auch gerne mal als Liköre bezeichnet. Da viele Vertreter einen Zuckeranteil von 100 Gramm oder mehr pro Liter aufweisen, fallen sie eindeutig unter die Definition eines Likörs.

Der von Curt Mast 1934 entwickelte Jägermeister gilt ebenfalls als Beispiel dafür, wie eine gute Idee eine Marke zu einem weltweiten Verkaufsschlager macht.

Auch die Abgrenzung zu anderen Spirituosen, die mit Kräutern aromatisiert werden, ist nicht immer ­einfach. Viele Marken haben es jedenfalls zu Kultstatus gebracht und sind tief im Alltagsleben verwurzelt.
Dass Kräuterbitterliköre keineswegs ein Thema der Vergangenheit sind, sondern in den letzten Jahren einen fixen Platz in der Jugend- und Popkultur erlangt haben, zeigt sich sowohl im Bereich der Aperitif- als auch der Digestifliköre. 2004 begann etwa die Gruppo Campari für ihre Marke Aperol in Deutschland ein ausgefeiltes Marketing-Konzept umzusetzen. Basierend auf der nordita­lienischen Lebensart, sich nach der Arbeit in Bars zu treffen und sich einen leichten Drink zu genehmigen, ehe man zum Abendessen nach Hause geht, hat man einen Aperitivo geschaffen, der als Weinmischgetränk mit Spritz und Bitterlikör, als Aperol Spritz, beworben wurde. Der Erfolg war überwältigend, denn seit einigen Jahren gibt es, besonders in der warmen Jahreszeit, kaum einen Gastgarten, aus dem nicht Weingläser mit dem typisch orangen Inhalt optisch herausstechen.

Destillateurmeister bei Jägermeister: vom Altherrenimage gelöst.
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Destillateurmeister bei Jägermeister: vom Altherrenimage gelöst.

Der von Curt Mast 1934 entwickelte Jägermeister gilt ebenfalls als Beispiel dafür, wie eine gute Idee eine Marke zu einem Verkaufsschlager macht. Mast war selbst ­leidenschaftlicher Jäger und dafür bekannt, dass er gerne Proben seines Likörs zu Jagd­gesellschaften mitnahm. Als es darum ging, seinem Likör einen Namen zu geben, war ein jagdlicher Bezug somit selbstverständlich. Seit den frühen 1960er-Jahren wird Jägermeister exportiert und ist derzeit in über 110 Ländern der Welt erhältlich. In den 1990er-Jahren konnte sich die Marke auch vom „Altherren-Image“ lösen und setzt seither mit wohlüberlegten Strategien darauf, in vielen Publikumsschichten zu punkten.
Ein beispielhafter Coup gelang der Marke mit der Gründung des Barkeeperzirkels »Hubertus Rat«, dessen Ziel es ist, aus der Perspektive der Barprofis heraus zu handeln. Aber nicht nur Profis können diese Erkenntnisse nutzen, auch die Gäste werden über die Homepage des Rates über Rezepte, Events und andere Projekte informiert.
Vor allem Auftritte bei Festivals sind ein fixer Bestandteil der Aktivitäten der Kultmarke. Zahlreiche Aktivitäten verbindet dabei stets eines: der verantwortungsvolle Genuss des traditionsreichen Getränks. »Einer unserer obersten Grundsätze ist, dass wir uns bei Jägermeister für einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol einsetzen«, erklärt Anna Zenz, Brand Managerin bei Jägermeister, »die Marke steht für Gemeinschaft und das Erleben positiver Momente mit Freunden – und das spiegelt sich auch in unseren Aktionen wider.«

Basilikum, Rosmarin, ­Oregano – wer Kräuter hat, hat auch Likör.
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Basilikum, Rosmarin, ­Oregano – wer Kräuter hat, hat auch Likör.

Aber nicht nur in Europa erfreuen sich die Kräuterelixiere großer Beliebtheit. Vom heutigen Venezuela aus verbreitete sich schon früh eine Bitterspirituose in die Bars und Küchen der ganzen Welt. 1824 entwickelte der deutsche Arzt Johann Gottlieb Siegert, der mit den Truppen Simon Bolivárs gegen die Spanier kämpfte, ein Kräutertonikum, das gegen Tropenkrankheiten wirken sollte.
Dies gelang nicht, allerdings entstand dabei das Rezept für den Angostura Würzbitter, der ein unverzichtbarer Bestandteil vieler klassischer Cocktails wurde. Heute befindet sich das Stammhaus von Angostura auf Trinidad.
Aber auch klassische Kräuterbitter werden in Südamerika hergestellt. Paul Underberg etwa, der Enkel des Firmengründers, bereiste gerne die Welt und fand in Brasilien die Chance, den Absatzmarkt für den Likör seines Großvaters Hubert zu erweitern.
1933 wurde »Underberg do Brasil« gegründet und später das ursprüngliche Rezept an den südamerikanischen Geschmack angepasst. Ergebnis: DieKräuterspirituose gilt heute als ­verkaufs­­stärkste Brasiliens. In Europa zeigt sich die Vielfalt der Kräuterspirituosen derzeit vor allem in Österreich, wo sich eine durchaus lebendige Szene entwickelt hat. Neben traditionellen Klassikern, wie dem Gurktaler Alpenkräuter, dem Rossbacher und Gautier-Mücksteins ­Kräuterbitter versuchen auch immer mehr junge Start-ups, auf diesem Gebiet zu reüssieren. Bestes Beispiel: Motorøl, ein kleiner ­Produzent aus dem Waldviertel, wo man auf die Feststellung Wert legt, dass die Marke schon einmal in den 1920er-Jahren ­existierte.
Damals kaschierte ein geschickter Mechaniker seinen Likör aus Anis, Süßholz und Kräutern als Motoröl, um seine Frau zu ­täuschen. Rund 80 Jahre später fanden sein Enkel und ein Freund das handgeschriebene Originalrezept und brachten so das »Öl« ­wieder zum Fließen.

Der gesunde Verdauungsschnaps – nur ein Mythos?

Nach einem üppigen Essen hat bei vielen das Verdauungsschnapserl Tradition. Das ist gesellig und fördert die Stimmung, der Magen kommt damit aber nicht mehr auf Touren. Es scheint sogar umgekehrt zu sein. Hochprozentiges entschleunigt die Verdauungsarbeit.
Dass man trotzdem ein Gefühl der Entspannung erlebt, liegt an der grundsätzlichen Wirkung des Alkohols. Er erweitert die Blutgefäße und wirkt relaxierend auf die Muskeln, so auch auf den Magen. Das Völlegefühl weicht, und ein trügerisches Gefühl der Erleichterung macht sich breit. Dabei konzentriert sich der Körper nun vor allem auf den Abbau des Alkohols, anstatt das Gegessene zu verarbeiten. Die Verdauung im Magen ist verzögert und der Weitertransport der Nahrung in den Dünndarm gehemmt.
Diesen Effekt haben Schweizer Forscher mit einem kleinen Experiment demonstriert: Von zwanzig Testpersonen trank die Hälfte zum Käsefondue ein Glas Weißwein und danach einen Schnaps, die andere eine Tasse Schwarztee und als »Digestif« ein Glas Wasser. Um die Verdauungsgeschwindigkeit zu erfassen, markierten die Wissenschaftler den Käse mit speziellen Marker-Molekülen (C13-Isotope) und verfolgten deren Abbau im Magen und Darm mit Atemtests. Bei den Wein-/Schnapstrinkern war die Verdauung deutlich langsamer als bei den Tee-/Wassertrinkern.
Alkohol kurbelt die Verdauung nur in geringen Konzentrationen (< 5 Vol.-%) an. Dann regt er die Schleimhautzellen im Magen an, mehr Magensäure zu produzieren. Bier und Wein (mit einem Glas Wasser oder gespritzt) fördern daher durchaus die Verdauung. Ebenso wirken Kaffee oder Kräutertee als Magen­säure-Kitzler. (Marlies Gruber)
Anschließend finden Sie drei Cocktails mit Kräuterbitter. Im aktuellen Falstaff Magazin finden Sie zudem das »Best of Kräuterbitter«.
Aus dem Falstaff Magazin 07/16

Erhard Ruthner
Erhard Ruthner
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