Andreas Döllerer in »Döllerers Genießerrestaurant«.

Andreas Döllerer in »Döllerers Genießerrestaurant«.
© Döllers Genusswelten

Kochlegenden und Signature-Gerichte

Ob durch ein Missgeschick oder eine Eingebung, plötzlich ist es da: das alles verändernde Signature-Gericht, die Küchenrichtung, die ihre Zeit prägt und in ein »davor« und »danach« teilt.

Es wird getestet und es wird probiert. Manchmal Tage und Wochen an nur einer Kreation. So passierte es keinem Geringeren als Massimo Bottura, der versehentlich einen Nachtisch in seiner »Osteria Francescana« zu Boden fallen ließ. Das Ergebnis, sein berühmtestes Gericht: »Oops! I dropped the lemon tarte«. Kulinarisches Storytelling war geboren. Aus Missgeschickenund Fehlgriffen können Neuausrichtungen werden, die die kulinarische Welt beeinflussen. Anders bei Andreas Döllerer, der aus einer bewussten Entscheidung mit seiner »Alpine Cuisine« die Gastronomie prägte. Nachdem Döllerer nach Jahren in der französischen Küche in Deutschlands Sternegastronomie nach Österreich zurückkehrte, brachte er im beschaulichen Golling, knapp 20 Kilometer von Salzburg entfernt, internationale Küche auf die Teller. 2007 folgte der erste Schritt aufgrund eines besonderen Fischzüchters, direkt im Ort. »Die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigem Meeresfisch war dürftig, daher setzte ich auf die heimischen Süßwasserfische«, sinniert Döllerer und setzt fort: »Es war ungewöhnlich, in einem gehobenen Restaurant keinen Steinbutt oder Seezunge auf der Karte zu haben. Wir wussten nicht, wie unsere Gäste reagieren würden.« Positiv. Denn insbesondere die internationalen Gäste erfreuten sich, andere Produkte kennen zu lernen. »Wir waren in unserem Handeln bestätigt.« Die erste Stunde der »Alpine Cuisine« war geboren. »Themen wie Nachhaltigkeit und CO2-Fußabdruck erledigten sich für uns somit quasi von selbst. Durch den Fokus auf regionale Produkte.« Und so wie Andreas Döllerer Stück für Stück weiter seinen Weg ging, zeigt KARRIERE auf, welche Menschen und Visionen die Gastronomie nachhaltig prägten und veränderten. 

Der Traditionalist

Andreas Döllerer begab sich auf die Suche nach dem authentischen Geschmack seiner Heimat, den Alpen rund um Golling. Und so landet in Döllerers Küche zum Beispiel uralter Gletscherschliff, für den Haubenkoch die Quintessenz der Berge. Der herben Enzianwurzel und den für die damalige Küche noch unentdeckten Wildkräutern entlockt er neue Geschmackserlebnisse und Milch ist für ihn ein zentrales Produkt der Salzburger Berge. Das Neue, das den Weg in Döllerers Kochtöpfe findet, ist eigentlich das Traditionelle und Gutbekannte. Wie die Hollerstrauben aus der Küche seiner Großmutter. Denn überlieferte Rezepte,die er gerne an die nächste Generation weitergibt, sind die Grundlage seiner Innovationen.

»Alpine Jakobsmuscheln«, Optische Täuschung: Erst der Geschmack enttarnt das Ochsenmark vom Angusrind.
© Döllerers Genusswelten/Jörg Lehmann
»Alpine Jakobsmuscheln«, Optische Täuschung: Erst der Geschmack enttarnt das Ochsenmark vom Angusrind.

Der Umschwung

Seit den 2000er-Jahren hat sich die »New Nordic Cuisine« in Skandinavien entwickelt und löste einen regelrechten weltweiten Hype aus. Dieser wurde von Ideen und einem Manifest inspiriert, das der Lebensmittelaktivist und Unternehmer Claus Meyer zusammen mit René Redzepi und einigen skandinavischen Köchen 2004 in Kopenhagen verfasste. Das gemeinsame Ziel war und ist es, alte Zutaten und Konservierungstechniken wiederzuentdecken und neu zu interpretieren. Die alten nordischen Aromen werden heute durch eine Mischung aus konservierten und frischen Aromen neu interpretiert. Sie beweisen, dass unsere Esskultur eine dynamische Entwicklung ist, die in Verbindung mit den Menschen steht, die in diesen schwierigen Breitengraden lebten und leben. Restaurants auf der ganzen Welt haben die neue nordische Küche eingeführt, was die Gastronomieszene in den Food-Destinationen der Welt verändert hat.

»Meeresschnecken« aus »Redzepis« Menü: Salat mit Meeresschnecken, Rosen und Schneckenrogen.
© Jason Loucas
»Meeresschnecken« aus »Redzepis« Menü: Salat mit Meeresschnecken, Rosen und Schneckenrogen.

Gamechanger

Heston Blumenthal gehört zu den ersten Köchen, die die Grundsätze der Molekularküche nutzten und hat sich als Posterchild der Bewegung stilisiert. Auch wenn der Begriff umstritten ist, setzt sich die Molekularküche mit der Änderung von Texturen einzelner Produkte auseinander, den biochemischen und physikalisch-chemischen Prozessen bei der Zubereitung und beim Genuss von Speisen und Getränken. International werden auch die Begriffe »modernist cuisine«, »culinary physics« oder »experimental cuisine« verwendet.

»Meat fruit« Blumenthals legendäres Gericht: Hühnerleberparfait, verkleidet als Mandarine.
© Ashley Palmer-Watts
»Meat fruit« Blumenthals legendäres Gericht: Hühnerleberparfait, verkleidet als Mandarine.

Archaische Küche

Alles zu verwenden, was die Erde bereitstellt, ist das Motto von Esben Holmboe Bang. In seinem Restaurant »Maaemo«, zu Deutsch »Mutter Erde«, setzt er bei seinen Kreationen den Schwerpunkt auf die sich ändernden Jahreszeiten und die raue Natur Norwegens. Dabei kommen auch die dazugehörenden Techniken wie das Fermentieren, welches eine Renaissance insbesondere in den nordischen Ländern erfahren hat, zum Einsatz. Das Zufügen von Bakterien und Pilzen zu Lebensmitteln steht mittlerweile an der Tagesordnung. 

Mahagoni-Muscheln, roh, serviert mit einem Dashi norwegischer Shiitake-Pilze aus Telemark und Seetang.
© Tuuka Koski
Mahagoni-Muscheln, roh, serviert mit einem Dashi norwegischer Shiitake-Pilze aus Telemark und Seetang.

Mix it up!

Der österreichische Koch Wolfgang Puck ist einer der Köche, die den Begriff »fusion cuisine«, auch »fusion cooking«, in Europa populär machten. Der Begriff entwickelte sich in den USA der 1980er-Jahre aus der California Cuisine, die Puck ins Leben rief, wobei es vor allem darum ging, Ost und West zusammenzubringen, Europa und Asien. Die Fusion regionaler Küchen im Sinne von »Verschmelzung« oder »Kombination«, insbesondere von klassischen Gerichten, die für ein Land oder eine Region als typisch gelten und mit ungewöhnlichen Zutaten aus anderen Regionen zusammengebracht werden. Die Fusionsküche ist die Küche zur Globalisierung. Ende der 80er-Jahre, Anfang der 90er trat die Fusionsküche ihren Siegeszug in Europa an: In London, wo asiatische Restaurants immer schon die interessantere Alternative zur alteingesessenen englischen Küche waren, genau wie in Barcelona oder Bilbao, wo eine Generation von jungen Experimentierfreudigen kulinarische Einflüsse mischte wie DJs die Musikstile. Aber es funktioniert auch in die andere Richtung: Nobuyuki Matsuhisa peppt Sushi oder Shiitake-Pilze mit Zutaten aus Peru auf, wo er viele Jahre verbracht hat.

Pizza mit Räucherlachs und Kaviar, alljährlich serviert von Wolfgang Puck bei der Oscar Verleihung in Hollywood.
© beigestellt
Pizza mit Räucherlachs und Kaviar, alljährlich serviert von Wolfgang Puck bei der Oscar Verleihung in Hollywood.

Green Glamour

Der Vegetarismus hat eine lange Geschichte. Die vegan-vegetarische Bewegung ist kein ausschließlich modernes Phänomen, sondern begleitet die Menschen schon seit mehreren Jahrhunderten. Das erste Kochbuch, welches das Wort »vegan« im Titel trug, war das 1946 veröffentlichte Werk »Vegan Recipes« (»Vegane Rezepte«) von Fay K. Henderson. Mittlerweile überzeugen Köche wie Paul Ivic in seinem »Tian«, welches als einziges vegetarisches Restaurant in Österreich seit 2014 einen Michelin-Stern hält, ihre Gäste. Er zeigt auf und beweist, dass bei einer veganen/vegetarischen Ernährung der Genuss nicht 
zu kurz kommt.

»Prinzessin auf der Erbse« – Bunter Rettich mit Verjus.
© Ingo Pertramer
»Prinzessin auf der Erbse« – Bunter Rettich mit Verjus.

Der Allesverwerter

Der Nose-to-Tail-Papst Fergus Henderson predigt seit knapp 25 Jahren, was Verantwortung-übernehmen gegenüber dem ganzen Tier bedeutet. Mit der Eröffnung des ersten Restaurants »St. John« in London 1994 und seinem ersten Buch »Nose to Tail Eating: A Kind of British Cooking«, in dem er die Grundlagen seiner Küche beschrieb, wurde er zum Pionier der nachhaltigen Tierverwertung. Vom Scheitel bis zur Sohle, anstatt der Griff auf Edelteile.

Gebratenes Knochenmark und Petersiliensalat, ein Klassiker den Hederson von Beginn an im »St. John« serviert.
© Elliott Shepard
Gebratenes Knochenmark und Petersiliensalat, ein Klassiker den Hederson von Beginn an im »St. John« serviert.

Der Avantgarde-Koch

Einer der einflussreichsten Köche der Gegenwart wurde durch seine experimentelle Lebensmittelvorbereitung, -zubereitung und -präsentation zum Mitbegründer der Molekularküche. Er selbst bezeichnet seine Küche als Avantgarde-Küche (cocina de vanguardia), da die Molekularküche nur einen sehr kleinen Teil davon ausmache. Er war der Erste, der mit Stickstoff gekocht, Airs zubereitet und seine Zutaten mittels Sphärifikationin kleine Kügelchen zerlegt hat. Fern jeder Dogmatik spielt man mit Konsistenzen, Farben und Formen.

Gemüseeintopf in unterschiedlichen Texturen, Wahrzeichen des Restaurants »El Bulli«.
© Beigestellt
Gemüseeintopf in unterschiedlichen Texturen, Wahrzeichen des Restaurants »El Bulli«.

Artikel aus Falstaff Karriere 05/2018.

Alexandra Gorsche
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