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Klima-Kollaps: Insekten als Zukunfts-Food

Die Angst vor dem Klima-Kollaps ist einer der wichtigsten Gründe dafür, immer öfter auf den Genuss von Fleisch zu verzichten. Andererseits benötigt der menschliche Organismus Eiweiß. Können Insekten die Lücke füllen?

Im Mai wurden die Larven des Mehlkäfers von der EU als Lebensmittel zugelassen. Ein weiterer Schritt dahin, unseren Speisezettel um Produkte aus Insekten und ähnlichem Getier zu erweitern. Doch selbst die Angst vor einer Klima-Katastrophe genügt für die meisten Menschen nicht, um in den kleinen Krabblern eine realistische Ernährungs-Alternative zu Schnitzel und Burger zu erkennen. Dabei verdient die Idee zumindest eine eingehendere Betrachtung.

Delikatess-Insekten?

Der Verzehr von Insekten pendelt für die meisten Menschen zwischen Ekel und Abenteuerlust. Auch die Reaktion »Als Gourmet kann ich so etwas nicht essen« hört man gelegentlich. Dabei ist gerade diese Einstellung für Feinschmecker bedenklich. Sie müsste in ihr Gegenteil verkehr werden: »Als Feinschmecker muss ich das essen. Oder zumindest probiert haben.« Das gebietet die kulinarische Neugier, die ein wesentlicher Antrieb für Gourmets und Feinschmecker sein sollte. Insekten als Nahrung haben in unseren Breiten noch immer den faden Beigeschmack vorpubertärer Mutproben und sensationslüsterner »Dschungelcamp«-Episoden. Doch das große Bild sieht anders aus. Weltweit gibt es 2111 essbarte Insektenarten, und in einigen Kulturen sind daraus köstliche Delikatessen entstanden. Wer Gelegenheit hatte, einen frittierten Tausendfüßler im »Bugs Café« in Angkor Wat zu probieren, wird lange davon schwärmen. Die kleinen Skorpione, die auf den Märkten in Peking angeboten werden, schmecken zwar hauptsächlich nach dem Sesamöl, in dem sie geröstet wurden, sind aber auch crunchy und ein großartiger Snack. Bei den ebenfalls gerösteten und mit Pfeffer servierten Taranteln und Vogelspinnen, die auf denselben Märkten angeboten werden, sind nur die Beine knusprig. Der Körper behält seine weiche Textur und auch seinen ausgesprochen gewöhnungsbedürftigen Geschmack.

Für zwei der acht Milliarden Menschen gehören Insekten jedenfalls zum täglichen Speiseplan. Europa steht dabei noch in den Startlöchern. Dabei sind die Gründe, die für den Verzehr von Insekten sprechen, vernünftig und überzeugend. Denn die Kombination von übermäßigem Fleischkonsum und industrieller Tierzucht wird sich zu einem massiven Problem entwickeln.

Schokolade mit Würmern und andere neue Rezeptideen dienen eher der kulinarischen Abenteuerlust als dem Klimaschutz. 
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Schokolade mit Würmern und andere neue Rezeptideen dienen eher der kulinarischen Abenteuerlust als dem Klimaschutz. 

Amtliches »Novel Food«

Der Vorteil der kriechenden und fliegenden Proteinquellen in ein paar Zahlen gefasst:

  • Der essbare Anteil am gesamten Organismus beträgt beim Rind etwa 40 Prozent, bei Schwein und Geflügel jeweils circa 55 Prozent. Insekten weisen dagegen einen Anteil von 80 Prozent auf.
  • Der Wasserverbrauch ist bei der Reinfleisch-Produktion ungefähr 15.000-mal so hoch wie bei der Zucht von Larven.
  • Ebenfalls (deutlich) geringer: der Flächen- und Futtermittelverbrauch und letztlich auch die klimaschädlichen Treibhausgasse.

In Europa fallen die Produktion und das Angebot von Insekten und ihrer Brut in die Kategorie »Novel Food«. Definitionsgemäß sind das »nicht-traditionelle Lebensmittel, die vor dem Stichtag 15. Mai 1997 keine relevante Marktpräsenz hatten«. Konkret sind es die Larven des Getreideschimmelkäfers (auch als Buffalo-Wurm bekannt), getrocknete Grillen und Wanderheuschrecken, die (verpuppte) Drohnenbrut der Honigbienen oder die Larven der Schwarzen Soldatenfliege. Diese genauen Bezeichnungen sind auch psychologisch und emotional wichtig, da sie klarstellen, dass es großteils nicht die Insekten selbst sind, die zu Lebensmitteln verarbeitet werden, sondern ihre Larven. Die haben einen wesentlich höheren Proteinanteil und außerdem auch kein vollständig entwickeltes Nervensystem, was wiederum aus tierethischer und tierrechtlicher Sicht von Bedeutung ist.

Vortrefliche Maikäfer

Es gibt also einen deutlichen Mehrwert bei den Aspekten Ökologie, Nachhaltigkeit und Tierethik. Gibt es aber auch kulinarische Argumente? Ja, und zwar schon lange. 1844 publizierte der deutsche Gelehrte Johann Joseph Schneider sein Rezept für Maikäfersuppe. Diese werde »bereitet, wie jene der Krebse. Die Käfer, von welchen man 30 Stück auf eine Person rechnet, werden, so wie sie gefangen sind, gewaschen, dann ganz in einem Mörser gestossen, in heisser Butter hart geröstet und in Fleischbrühe aufgekocht, fein durchgeseiht und über geröstete Semmelabschnitte angerichtet. (...) Eine Maikäfersuppe ist, gut bereitet, schmackhafter, besser und kräftiger als eine Krebssuppe.« Und weiter unten im Text: »Alle Gäste, welche bei mir, ohne es zu wissen und ohne es zu erfahren, Maikäfersuppen genossen haben, verlangten doppelte, ja dreifache Portionen!«

Eine unbequeme Wahrheit

Dafür, dass der Verzehr von Insekten das Klima schützt, sprechen sämtliche Studien. Allerdings nur, wenn die Entomophagie (so der Fachbegriff fürs Insektenessen) dem Carnivorismus (Fleischverzehr) den Rang abläuft. Relevant in Sachen Klimaschutz ist also nicht der Genuss von Insekten, sondern die nötige Reduktion unseres Fleischkonsums und der damit verbundenen industriellen Massentierhaltung. Den Bedarf an Protein durch Verzehr von Insekten zu decken, ist eine mögliche Strategie, die uns dabei unterstützen kann. Dafür ist es allerdings auch notwendig, dass das Thema den Nimbus des Exotischen verliert. Hin und wieder eine »Mutprobe« oder ein paar lustige Larven am Salat ändern gar nichts.

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2021

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Jürgen Schmücking
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