Klare Perspektive für trübes Bier

Noch vor drei Jahrzehnten hielt man Trübungen im Bier für einen Fehler. Nur in den Brauereien ging man gelegentlich »einen Hund schießen«, also ein Bier frisch aus dem Lagerfass zapfen und unfiltriert trinken. Heute wird solches Zwicklbier als Spezialität vermarktet.

Unter Brauern des 19. Jahrhunderts hätte das Zwicklbier, wie wir es heute kennen, allenfalls ärgerliches Kopfschütteln erzeugt. Ein trübes Bier, das der Braumeister aus dem Lagerfass gezwicklt hätte, hätte einfach bedeutet: Dieses Bier ist noch nicht reif, die Hefe muss sich erst absetzen. Denn die Zwicklprobe diente bis in die Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts vor allem der Überprüfung der Trinkreife: Damals gab es einen rasanten Wandel im Publikumsgeschmack und in der Technologie, die die Biere diesen neuen Erwartungen der Biertrinker anpassen musste.

Begonnen hat alles damit, dass im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts Trinkgläser in industriellem Maßstab billig hergestellt werden konnten: Plötzlich konnte man sehen, was in den Gläsern war! Und hier setzte das Biermarketing ein. Weil sich nun jeder ein Bierglas leisten konnte, lag es nahe, eher helle und klare Biere auszuschenken – all die modernen hellen Biere sind Kinder dieser Zeit. Das Pale Ale aus Burton machte um 1830 wahrscheinlich den Anfang, Wiener Lager folgte 1841, Pilsner 1842 und Dortmunder Export 1842 (auch wenn es die Bezeichnung »Versandbier« oder »Export« erst in den 1870er-Jahren erhielt). Die hellen Biere unterschieden sich markant von den damals gängigen Stouts und Porters im englischen und den bayerisch-dunk­len Bieren des deutschen Sprachraums – helles Bier erscheint klarer und daher »reiner«, auch wenn es längst nicht so klar war, wie wir das heute annehmen.

Je reiner ein Bier aussehen sollte, desto länger musste es der Braumeister im Keller liegen lassen, da konnte sich die untergärige Hefe am Ende der Nachgärung an der tiefsten Stelle des (damals noch durchwegs hölzernen) Lagerfasses absetzen.Nach mehreren Wochen konnte man dann probieren, ob das Bier schon ausreichend geklärt war. Delbrücks »Brauerei-Lexikon« von 1910 beschreibt das so: »Zwickel, Vorrichtung zur Entnahme einer Bierprobe aus dem Lagerfaß; besteht in der einfachsten Ausführung aus einem Loch im Faßboden von etwa 5 mm Durchmesser, welches durch einen Holzstöpsel oder mit Talg verschlossen wird.«Daher auch die geheimnisvollen Begriffe der Brauersprache: Man »schoss einen Hund«, indem man eines der mehrere Hundert Liter eis­kalten Bieres fassenden Lager­gefäße anbohrte, und »zwickte« dann den Holzstöpsel ins entstandene Loch. Später hat man dann statt des Holzstöpsels einen metallenen Hahn angebracht, durch den man bequemer und wenn nötig auch wiederholt Proben ziehen konnte.

Wie gesagt: Für den Ausschank sollte das Bier schön geklärt sein – wer damals ein Zwicklbier zapfte, wollte es, anders als heute, besonders klar haben. Aber die Brauer hatten natürlich auch andere Erfahrungen gemacht. Unfiltriertes Bier, je nach Region als Hefebier, Kellerbier, Kräusenbier, Zwicklbier oder Zwickl bezeichnet, schmeckt intensiver, weil die Hefe eine gewisse Eigenbittere aufweist – und die Trubstoffe unterstützen auch das Mundgefühl, die Biere schmecken daher vollmundiger. Manchmal wurde also der »Hund«, der Gemeinschaftskrug, auch ganz einfach zum ­Vergnügen gefüllt und in einem Kübel mit heißem Wasser angewärmt, um Trinktemperatur zu erreichen. Und dann kam Lorenz Adalbert Enzinger mit seinem 1878 patentierten Bierfilter auf den Markt. Allein zwischen 1880 und 1886 wurden 1000 Stück der Enzinger-Bierfilter verkauft, glanzfein filtrierte Biere ­kamen in Mode.

Niemand außer den Brauern selbst wollte noch die gezwickelten Biere trinken. Dazu kam das Wissen von Gastwirten und Bierfreunden, dass Trübung auch ein Anzeichen von Bierfehlern (Alterung oder bakterieller Verunreinigungen) sein kann – in den ehemaligen Ostblockstaaten ist Zwicklbier noch heute kaum verkäuflich, weil man dort »lange genug nur trübes Bier bekommen« hat, wie ältere Bierfreunde erzählen.

Die positiven Eigenschaften des Zwicklbieres sind aber auch nicht von schlechten Eltern: Neben dem schon erwähnten intensiveren Geschmack hat das Zwickl ja auch einen höheren Anteil an Eiweißen und den Vitaminen der Hefe. Und es ist relativ rar – im Braugasthof von Zipf kann man es seit jeher nur an Donnerstagen bekommen. Es war Karl Schwarz senior von der Zwettler Brauerei, der im Jahr 1984 als Erster das Zwicklbier als Gastronomiespezialität unter das biertrinkende Publikum Ostösterreichs brachte. Gerade zur rechten Zeit: Einerseits begann damals gerade die von den Fesseln des Bierkartells befreite Bierkultur aufzublühen – andererseits wurden die ersten Gasthausbrauereien gegründet, die (in Ermangelung von Bierfiltern) die Natürlichkeit ihrer unfiltrierten Biere anpriesen.

Die heute modernen Zwicklbiere sollten nun schön und möglichst gleichmäßig trüb sein – ebenso ein Modediktat wie seinerzeit das Verlangen nach glanz­-
feinen Bieren: Unfiltriert steht ja für unverfälscht. Deshalb helfen viele Brauer bei der Trübung durch die Mitverwendung von ­eiweißreichem Weizenmalz nach: Nicht alles, was hefetrüb wirkt, ist tatsächlich auf einen hohen Hefegehalt zurückzuführen, die Eiweißtrübung ist wesentlich ­stabiler. Und sie sieht besser aus. Gerade in Österreichs Brauereien, die nicht den Einschränkungen des Reinheitsgebots unterworfen sind, lässt sich durch das Weizenmalz ein toller Trübungseffekt in Lagerbieren erzielen, wobei sich aus dem weichen Mundgefühl des Weizens und einer kräftigen Hopfung interessante Kombinationen erzielen lassen. Obwohl Zwickl in der Bierstatistik nicht eigens ausgewiesen wird (es fällt in die breite »Lager- und Märzenbier«-Kategorie), bekunden alle Brauereien, dass sie beim trüben Bier einen klaren Aufwärtstrend verzeichnen.

Kellerfrische Biere

Zwettler Zwickl, Brauerei Zwettl
Braumeister: Heinz Wasner
Alkohol: 5,5 % ABV, Stil: unfiltriertes helles Lager
Sehr helles Bier mit kräftigem Schaum, deutlicher Trübung und leichtem Hefeduft. Lange Zeit das einzige breit ver­marktete Zwickl, hat es stets den hefigen Charakter in den Vordergrund und die ­damit asso­ziierte Bittere eher in den ­Hintergrund gestellt. Das erhöht die ­Trinkbarkeit und sorgt für einen runden Charakter.


Schwechater Zwickl, Brauerei Schwechat/BrauUnion

Braumeister: Andreas Urban
Alkohol: 5,4 % ABV, Stil: unfiltriertes Pils
Dieses Bier hat viel mit einem Pils gemeinsam, vor allem die Bittere und die inten­sive, heuartige Hopfennase. Andererseits ist diese Bittere so schön in eine fast cremige Trübung und einen weich an Zunge und Gaumen schmeichelnden Trunk gebunden, dass man vermuten kann, dass hier noch etwas anderes mitspielt. Tatsächlich: Hier wird nicht zu knapp (nämlich zu 60 Prozent der Schüttung) Weizenmalz mitverbraut – das ergibt nicht nur eine schöne Trübung, sondern auch einen einmalig weichen Charaker.

Rotes Zwickl, Ottakringer Brauerei
Braumeister: Andreas Rosa
Alkohol: 5,2 % ABV, Stil: unfiltriertes Wiener Lager
Dieses Bier kommt wohl am nächsten an jenes heran, das im 19. Jahrhundert den Ruhm des Wiener Bieres begründet hat: leicht rötliche Braunfärbung, nicht zu starke Trübung. Erfrischend im Antrunk mit fruchtigen, pfirsichartigen Aromen und einer kakaoartigen Bittere, in der sich Röstmalze und Hefen treffen. Ein wenig kara­mellige Süße im Trunk, aber der Nachtrunk ist balanciert und ziemlich trocken. 

von Conrad Seidl

aus Falstaff Nr. 2/2011

Conrad Seidl
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