Rollkragenpullover von Vitelli (vitelli.eu). Sakko von Z Zegna (bei Peek & Cloppenburg).

Rollkragenpullover von Vitelli (vitelli.eu). Sakko von Z Zegna (bei Peek & Cloppenburg).
© Rafaela Pröll

Juergen Maurer: »Die Zeit meines Lebens ist immer«

Exklusiv-Interview: Seit 30 Jahren ist er eine fixe Größe am österreichischen Schauspiel-Himmel. Für MAN’S WORLD präsentierte Juergen Maurer erstmals aktuelle Männermode.

Die magische Zahl ist sieben. So viele Paar Schuhe hat Juergen Maurer im Schrank. Das Herzstück der Sammlung bilden dabei Bergschuhe, die er »von Mai bis September quasi durchgehend« trägt und die seine Persönlichkeit sehr gut repräsentieren. Maurer, der mit Lebensgefährtin Maria Köstlinger, ebenfalls Schauspielerin, und zwei Töchtern in der Nähe von Wien lebt, liebt die Berge, die Natur. Seine Leidenschaft für Mode hingegen liegt im überschaubaren Bereich: »Ich verstehe das bei Frauen sehr gut, aber ich selbst verspüre kein großes Bedürfnis, meine Persönlichkeit mit Textilien nach außen hin zu verlängern.« Funktioniert ja auch so, und das schon von Anfang an. Entdeckt wurde der heute 52-Jährige, der zwischen 1997 und 2012 auch am Wiener Burgtheater engagiert war, dereinst in Klagenfurt auf eher unkonventionelle Weise. »Es gab gerade ein Casting und ich habe beim Caterer im Service gearbeitet und Tische abgewischt. Plötzlich wurde ich gefragt, ob ich nicht auch vorsingen will.« Gesagt, getan, überzeugt. Heute ist Maurer dankbar dafür, dass alles gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Wobei er im Interview verrät, was seine Träume sind und was seine Ängste. Und warum er ein großer Glückskeks ist.

»Sex-Appeal spiegelt sich nicht auf der Waage wider. Ausstrahlung, Können, Erotik und Schönheit auch nicht.« Juergen Maurer über das falsche Denken über Frauen in Casting-Fragen

Mantel von Wilfried Mayer (wilfriedmayer.net). Blaues Leinenhemd und Hose von Z Zegna (bei Peek & Cloppenburg).
© Rafaela Pröll
Mantel von Wilfried Mayer (wilfriedmayer.net). Blaues Leinenhemd und Hose von Z Zegna (bei Peek & Cloppenburg).

MAN’S WORLD: Herr Maurer, wir haben gerade Fotos von Ihnen gemacht, die Ihr Spiegelbild zeigen. Mögen Sie Ihr Spiegelbild?
JUERGEN MAURER: Um ehrlich zu sein, bin ich kein so begeisterter Selbstbetrachter …
Gar nicht eitel?
Natürlich, alle Schauspieler sind eitel. Ich würde das sogar generalisieren – alle Männer sind eitel. Punkt. Manche Schauspieler sind vielleicht eine Kategorie darüber, es gibt auch völlig selbstbesoffene Narzissten und weniger selbstbesoffene. Ich hoffe, dass ich mich zu den Letzteren zählen kann. Ich glaube nämlich, dass übersteuerte Eitelkeit den Charakter deformiert.
Was ist denn das Eitelste an Ihnen?
Wenn Sie wissen wollen, worauf ich am meisten Wert lege, dann ist das vermutlich Haltung. Was aber mit Äußerlichkeiten nichts zu tun hat, und man kann sich darauf ja auch nicht wirklich etwas einbilden – man hat sie, oder man hat sie nicht. Ansonsten mag ich ein Foto, auf dem ich fesch bin, sicher lieber als eines, auf dem ich ausschaue wie ein ausgf’ressenes Karnickel, wie jeder Mensch.
Achten Sie auf Ihre Figur?
In regelmäßigen Wellenbewegungen. Der Genuss, den man lebt, wirkt sich ja leider mitunter sehr nachteilig auf das Bild aus, das man im Spiegel oder auf der Leinwand abgibt. Wenn man dem inneren Schweinehund den freien Auslauf gibt, sieht man irgendwann einmal etwas, das einem nicht mehr gefällt.
Und zieht die Notbremse?
Die Bremse. Nach einer gewissen Zeit des Wegschauens und wenn der Knopf der Hose platzt. Aber damit bin ich ja auch nicht allein.
Christian Bale beispielsweise geht für seine Rollen oft ins Extreme – von dürr bis sehr dick, vom Muskelprotz bis hin zum Magersüchtigen. Können Sie sich so was vorstellen?
Es kommt immer drauf an, wofür, was gefordert ist. Christian Bale ist in seinen Rollen von halbtot abgemagert in »Der Maschinist« bis ziemlich fett in »Vice« sicher ein extremes Beispiel für diese spezifische Form von Method Acting.
Gibt es das nur in Hollywood?
Nein, das geht individuell von der Künstlerpersönlichkeit aus. Wie weit geht man? Was ist man bereit einzusetzen? Wie lange ist man bereit zu üben, zu trainieren, zu fasten, zu fressen, zu boxen – was ist man bereit vor der oder für die Kamera zu tun?
Besprechen Sie anstehende Rollen daheim? Wer entscheidet, was Sie annehmen und was nicht? Nur Sie selbst?
Wir sprechen daheim natürlich darüber, aber entscheiden tu ich selbst. Meine Kompass­nadel in diesen Dingen ist meine Agentin Carola Studlar, eine großartige Frau und ein wundervoller Mensch, die zu jedem Projekt auch eine Haltung hat. Das ist sehr wichtig und maßgebend für mich.
Ihre bedeutendste Rolle – welche war das?
Wenn es um die schiere Leistung geht, kann es da sicher nur um eine Bühnenrolle gehen. Die Artistik, die Komplexität der geistigen Anforderung, das im Moment verhaftete Live-Erlebnis zusammen mit Kollegen und Publikum – schon etwas sehr besonderes. »Richard III.« in Leipzig 1995 war wahrscheinlich der gewagteste Sprung … 

»Das neue Haus ist ein Abbild unseres Lebens: Dinge, die verschieden sind, aber trotzdem sehr gut aneinander zusammengewachsen sein können.« Juergen Maurer über sein aktuelles Projekt

Trotzdem haben Sie 2012 dem Burgtheater den Rücken gekehrt. Freiwillig. Weil Sie – ich zitiere – »in einem Jahr Beamter« gewesen wären, »eine Horrorvorstellung«.
Das war faktisch so, weil ich der letzte Schauspieler am Burgtheater war, der BVA-versichert war. Und da wäre nach 18 Jahren eine Pragmatisierung ins Haus gestanden. Ich wollte nicht, dass die dem damaligen Intendanten (Matthias Hartmann, Anm.) mit mir passiert. Aus Unachtsamkeit. Deshalb habe ich ihn darauf aufmerksam gemacht, dass sich meine automatische Verlängerung nähert, und was die Konsequenzen wären. Daraufhin hat er meinen Erwartungen entsprechend gesagt: »Aha, na dann lieber nicht.« Das habe ich dankend angenommen.
Fehlt Ihnen die Burg-Bühne nicht?
Mir fehlt das Theater grundsätzlich sehr, die Bühne! Mir fehlt das Spielen sehr. Ich war 16 Jahre an der Burg, davor fünf in Leipzig. Ich habe zwanzig Jahre lang fast ausschließlich Theater gespielt. Mit großer Leidenschaft.
Kein Weg zurück?
Es gab unlängst den Plan von Herbert Föttinger, mit meiner Liebsten und mir ein Zwei-Personen-Stück zu machen, das hat sich aber leider wieder zerschlagen. Summa summarum: Ich vermisse die Bühne sehr! Ich bin aber auch wahnsinnig privilegiert, vor der Kamera inzwischen so schöne Projekte angeboten zu bekommen, und sowieso der Meinung, dass Theater und Filmschauspielen zwei völlig unterschiedliche Berufe sind. Ich habe das Glück, beide ausgeübt zu haben oder auszuüben. Ich würde nie einen gegen den anderen stellen. 
Ihre Partnerin ist auch Schauspielerin. Beziehung am Arbeitsplatz, also gemeinsame Projekte – ist das etwas, was Sie mögen?
Maria und ich arbeiten aktuell nur bei einem Projekt zusammen, bei den »Vorstadtweibern«. Und da haben wir relativ wenig miteinanderzu tun, weil wir ja unterschiedliche Stränge bespielen. Es ist schön, ein gemeinsames Projekt zu haben. Ich würde extrem gern mehr mit meiner Liebsten drehen, weil sie eine hervor­ragende Schauspielerin ist. Ich würde gern viel mehr mit ihr zusammen drehen, wenn die gängigen Produktionsbedingungen das zuließen.
Wie meinen Sie das?
Wenn es zum Beispiel darum geht, Frauen an die Seite von Männern zu casten. Das ist durchaus etwas, was mir bis Oberkante Unterlippe steht. Ich bin jetzt 52, und wenn es darum geht, die Rolle meiner Frau zu besetzen, hören die Casting-Vorschläge meistens bei 40 auf. Älter wird’s nicht. Da frag ich mich dann: Was ist los mit euch? Ich finde das elendiglich.
Und was sagen Sie den Produzenten dann?
Ich habe bei meinem letzten Film darauf gedrängt, dass es keine 35-Jährige wird. Es wurde dann Gott sei Dank die Kollegin, die in dem Casting die Älteste war. Aber warum wird keine Frau, die 45, 47 oder 50 ist, zu dem Casting eingeladen? Warum ist das so? Richtig ist, dass das Business mir lieber eine 35-Jährige an die Seite gestellt hätte. Es ist ja bekannt, dass dem älteren Mann die jüngere Frau automatisch zugeordnet wird, was ein völliger Blödsinn ist und ein komplett falsches System darstellt. Was dazu führt, dass 60-jährige Frauen an sich herumschnippeln lassen, bis sie ausschauen wie 80-Jährige, die 35 sein wollen.
Mit der Figur verhält es sich doch ähnlich, nicht?
Das ist das zweite Extrem, mal abgesehen davon, dass mich das tatsächlich abstößt, weil es an allem, was Bedeutung hat, vorbeimanövriert. Sex-Appeal spiegelt sich nicht auf der Waage wider. Ausstrahlung, Können, Erotik und Schönheit auch nicht.
Wann ist eine Frau für Sie schön?
Wenn sie meine ist. Dann ist sie schön für mich.
Und wenn Sie Liebe erklären müssten?
Liebe ist für mich Nähe, die nicht mehr verhandelbar ist. Liebe ist etwas, das sich jeder Option verweigert. Liebe ist etwas, das sein muss.
»Ich liebe dich« – sagen Sie das gerne?
Meine Liebste und ich, wir sagen uns das dauernd. Ich sage auch meinen Töchtern immer wieder, dass ich sie liebe. Wichtig! Wenn man sich die Situation in unserem Land anschaut, diese Negativität und diese Feind­bilder – die Liebe ist das Gegenargument dazu. Das Positive ist das Gute, das ist sehr simpel. Das Gemein­same, Gestaltende, Zugewandte. Es ist nicht der Kampf gegen irgendetwas, die Angst vor oder die Vermeidung von irgend­etwas – das Restriktive und Verhindernde, Angst, Mauern und Zäune, das ist das Negative. Und das Negative ist das Schlechte.

»Liebe ist für mich Nähe, die nicht mehr verhandelbar ist. Liebe ist etwas, das sich jeder Option verweigert. Liebe ist etwas, das sein muss.« Juergen Maurer über die Liebe

Sie sprechen die politische Situation in unserem Land an.
Man muss kein sonderlich politischer Mensch sein, um die Gesellschaft und die Politik, wie sie sich aktuell entwickeln, als beängstigend zu empfinden. Das bereitet mir – und das sollte es jedem Menschen in Österreich – gerade die ganze Zeit Sorgen. Dieser Mummenschanz, der derzeit aufgeführt wird, die populistische Verängstigungspolitik, diese Negativität und Aggression, all das steht ja im krassen Gegensatz zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reali­tät in unserem Land, und die ist nun einmal: Es geht uns so gut wie noch nie.
Was ist Ihre größte Zukunftsangst?
Dass dieses Land einen Weg in den Autorit­a­rismus einschlägt, der, wenn er einmal installiert ist, wahnsinnig schwer wieder wegzubekommen sein wird. Und es ist tatsächlich nicht so, dass wir erst am Anfang dieses Prozesses stehen – wir sind mittendrin. Und welche Folgen das haben kann, sehen wir ja in Teilen Europas oder im nahen Asien, in Tschechien, Polen, Ungarn, der Türkei. Es gibt inzwischen sogar EU-Mitgliedstaaten in Skandinavien, die sich in diese Richtung bewegen. Das hätte ich nie für möglich gehalten.
Gehen Ihnen diese Dinge auch durch den Kopf, wenn Sie am Motorrad sitzen?
Aktuell natürlich, was sonst? Wobei das Unterwegssein am Motorrad auch nicht immer reflektierend ist, Motorradfahren ist oft eine unheimlich sinnliche, selbstvergessene Angelegenheit.
Lassen Sie da auch mal die Sau raus?
Ich fahre manchmal ganz gerne ambitioniert, wobei das Beherrschen des Fahrzeugs diesseits der Gefahr den größten Reiz ausmacht. In der Familie sind auch alle einspurig unterwegs, Maria macht gerade den großen Schein, die beiden Töchter haben Mopeds.
Sie bauen gerade ein gemeinsames Haus für die Familie. Ist man da immer einig, wie das werden soll?
Wir haben in einem Findungsprozess herausgefunden, was wir gemeinsam möchten, da wir unterschiedliche Affinitäten haben. Maria liebt alte Häuser, ich bin moderner Architektur gegenüber sehr aufgeschlossen. Wir haben daher ein sehr schön hergerichtetes, altes Gebäude aus den 1950ern mit einem neuen daneben kombiniert. Das neue Haus ist ein Abbild unseres Lebens: Dinge, die verschieden sind, aber trotzdem sehr gut aneinander zusammengewachsen sein können.
Sie leben ja mit drei Frauen unter einem Dach. Schwierig?
Es ist mitunter herausfordernd, aber nicht schwierig. Es ist genau das Leben, das ich mir wünsche. 
Sind Sie ein Hausmann?
Ich habe lange Zeit meines Lebens meinen Haushalt selbst geführt. Wir machen das, was wir gemeinsam machen können, und haben dabei auch eine Balance in der Familie. Und das, was wir durch Stress und Arbeit nicht schaffen, macht dann ganz unsozialdemokratisch unsere Haushaltshilfe, die einmal die Woche kommt.
Kochen Sie?
Ja, erst vor Kurzem habe ich eine richtige Kärntner Osterjause gemacht, mit allen Schikanen. Mein Reindling ist legendär, das Rezept kommt von meiner Mutter. 
Trennen Sie Müll?
Ja, selbstverständlich! Alles!
Sind Sie stolz auf Ihre Erziehungsarbeit? Oder sind Sie in manchen Punkten auch gescheitert?
Man tut, was man kann. Und Scheitern ist ein Teil der Erziehung. Das Einzige, das man Kindern meiner Meinung nach mitgeben kann, ist völliges Aufgehobensein in der elterlichen Liebe. Die Sicherheit, dass man geliebt wird, egal, was passiert. Alles andere sind Kleinigkeiten.
Das klingt, als wären Sie ein rundum glücklicher Mensch.
Ja, das bin ich. Sehr!
Ist jetzt die Zeit Ihres Lebens?
Nein, die Zeit meines Lebens ist immer. Ich bin wahnsinnig dankbar, dass es mir so gut geht.
War das immer so?
Im Großen und Ganzen ja. Ich bin ein großer Glückskeks, ein Hans im Glück. Ich habe begonnen, diesen Beruf auszuüben, bevor ich ihn erlernt hatte und habe ihn seitdem ohne Unterbrechung ausgekostet. Er ernährt mich also seit 30 Jahren durchgehend. Ich bin glücklich. Sehr.
Und wo sehen Sie sich in 20 Jahren?
Hoffentlich in unserem Haus auf der Terrasse, das nächste Drehbuch studierend. Auf jeden Fall produktiv. Und natürlich mit meiner wunderbaren Frau und hoffentlich mit ein paar Enkelkindern. Ich bin ein fürchterlicher Baby-Narr, das ist das Größte für mich!


Styling: Johanna Bouvier
Make up Artist: Ina Maurer

Erschienen in
Falstaff Man's World 01/2019

Zum Magazin

Ursula Macher
Ursula Macher
Chefredakteurin
Mehr zum Thema