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Interview: »Wir wollen uns nicht auf Auszeichnungen ausruhen!«

Was macht Wien so besonders? Diese Frage stellten wir Bürgermeister Michael Ludwig und Wiener Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck. Herausgekommen ist – eine Liebeserklärung an »ihre« Stadt.

FALSTAFF: Wien ist heuer einmal mehr zur  lebenswertesten Stadt der Welt gewählt worden. Was macht Wien denn für Sie so besonders?
MICHAEL LUDWIG: In Abwandlung des Zitats von Friedrich Torberg – »Alle Städte sind gleich, nur Wien ist anders« – lässt sich die Besonderheit vielleicht am besten ausdrücken. Wien ist lebenswert, aufstrebend, weltoffen, modern – gleichzeitig aber auch bodenständig und gemütlich. Dieser Mix macht Wien so einmalig. Und auch wenn wir eine Vielzahl an internationalen Rankings anführen, so müssen wir täglich da­ran arbeiten, dass wir die hohe Qualität auch weiter bewahren und auch ausbauen. Wir wollen uns nicht auf Auszeichnungen ausruhen. Mir ist wichtig, dass von der hohen Lebensqualität Wiens auch alle Wienerinnen und Wiener profitieren.
WALTER RUCK: Wenn ich im Ausland unterwegs bin, auf Wien angesprochen werde und dann über unsere Bundeshauptstadt rede, habe ich immer die berühmten Operetten-Klänge »Wien, Wien, nur du allein« im Ohr. Wien ist wirklich eine Traumstadt, die für alle etwas zu bieten hat: urban, innovativ, pulsierend und gleichzeitig historisch, traditionell, urig. Abgesehen von dieser Vielfalt punkten wir mit einem attraktiven Standort und guten Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensbedingungen. Viele Wienerinnen und Wiener sehen gewisse Dinge als Selbstverständlichkeiten an: Wien ist eine der sichersten Städte der Welt zum Beispiel. Das fällt einem nicht so auf, wenn der direkte Vergleich fehlt.

Wien steht auch für Kulinarik. Was ist das Besondere an der österreichischen Küche?
LUDWIG: Ich persönlich würde das so beurteilen: Die österreichische Küche ist im Grunde eine sehr einfache und bodenständige Küche, ohne Spielereien und Extravaganzen. Einfach, was die Zutaten angeht. Wir waren es gewohnt, mit dem, was uns zur Verfügung stand, hervorragende Gerichte zuzubereiten. Und wenn man etwas mit Leidenschaft und Herz macht, dann perfektioniert man seine Leistungen auch im Laufe der Zeit. Das gilt auch für die österreichische Küche.
RUCK: Das Besondere ist auch hier die Vielfalt. In der Wiener Hausmannskost finden sich kulinarische Einflüsse aus dem Sammelsurium der ehemaligen k. u. k. Kronländer. Parallel zu diesen traditionellen Gerichten ist aber auch die moderne Wiener Küche gut unterwegs, die einen Touch Internationalität integriert, ohne dabei die Bodenständigkeit zu verlieren. Es ist also für jeden Geschmack etwas dabei – aber aufpassen: Die Wiener Küche ist ebenso vielfältig wie köstlich, das macht sich dann meistens auf der Waage bemerkbar.

Ein gelungener Tag erfordert einen gelungenen Ausklang – was wäre da »Ihr« Menü?
LUDWIG: Ich bin in der Hinsicht sehr leicht zufriedenzustellen. Da ich tagsüber oft nicht zum Essen komme, freue ich mich ganz besonders auf eine gute Mahlzeit. Als leidenschaftlicher Esser nehme ich mir dann auch die Zeit. Am wichtigsten ist mir dann, dass ich die Ruhe habe und ungestört genießen kann. Am liebsten in Gesellschaft von lieben Menschen.
RUCK: Mein Geheimrezept für einen gelungenen Tagesausklang besteht aus einem leichten Essen mit meiner Familie oder im Freundeskreis. Das mit dem leichten Essen gelingt mir leider nicht immer. Ich verbinde Essen nicht nur mit Nahrungsaufnahme, sondern mit einer starken sozialen Komponente. Nicht umsonst ist die Küche oft der Mittelpunkt in einem Zuhause oder bei Feiern.

Im Vergleich zu anderen Großstädten verfügt Wien jedoch über relativ wenige High-End-Restaurants. Warum ist das so?
LUDWIG: Vielleicht liegt es einfach daran, dass sich Wien auf seinem Weg zur internationalen Metropole immer auch noch das »Dörfliche« bewahrt hat. Und vielleicht ist es auch das Spiegelbild unserer Gesellschaft. Was Wien ja auch auszeichnet, ist, dass es in Wien keine so enormen Gegensätze gibt. Keine Ghettobildung der Reichen und der Armen. Wir haben in Wien eine sehr gut funktionierende Durchmischung und in puncto Kulinarik eine große Vielfalt. Das aber in der ganzen Stadt – und nicht nur, wie in manch anderen Großstädten, in der Innenstadt oder in sogenannten Gourmetvierteln. Was mich persönlich am meisten freut, ist die Wiederbelebung der Beisl-Kultur. Hier wird hohe Qualität geboten, die auch sehr geschätzt wird.
RUCK: Ich würde sagen, dass hier nicht die Quantität, sondern die Qualität der entscheidende Faktor ist. Wir haben viele bekannte High-End-Restaurants in Wien, die sich sensationell entwickelt haben, und ich bin davon überzeugt, dass sich auf diesem Markt noch einiges tun wird.

Keine andere Millionenstadt verfügt über einen Weinbau, wie Wien ihn hat. Aktuell wird auf 700 Hektar angebaut.
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Keine andere Millionenstadt verfügt über einen Weinbau, wie Wien ihn hat. Aktuell wird auf 700 Hektar angebaut.

Generell: Wovon gibt es in Wien zu viel, wovon zu wenig?
LUDWIG: Da maße ich mir kein Urteil an. Rückblickend sehen wir, dass es hier immer wieder Wellenbewegungen gibt. Wir haben Zeiten erlebt, wo immer mehr Chinalokale eröffnet haben oder an jeder zweiten Ecke eine Pizzeria. Und welche Aufregung herrschte erst wegen der Kebab-Stände! Dann drohte plötzlich eine »Invasion« der »Coffee-to-go«-Shops. Letztlich entscheiden fast immer die Konsumenten. Das Wichtigste ist aus meiner Sicht, dass wir uns die Vielfalt bewahren und das typisch Wienerische.
RUCK: Aus der Wirtschaft kommend, glaube ich an die Marktgesetze: Angebot entsteht dort, wo es auch Nachfrage gibt. Und sollte es Überschuss geben, wird das ebenfalls früher oder später durch den Markt geregelt. Worauf wir aber achten sollten, ist, dass wir die Gasthaustradition schützen und Familienbetriebe nicht zusperren müssen, sondern Nachfolger finden. Oft sind das ja zentrale Kommunikationspunkte im Grätzel.

Welchen Wiener Bezirk kennen Sie am wenigsten und warum?

LUDWIG: Ich kenne alle sehr, sehr gut. Als Bürgermeister bin ich in der ganzen Stadt unterwegs. Vor allem aber auch durch meine zuvor mehr als zehnjährige Tätigkeit als Wohnbaustadtrat kenne ich die Grätzeln Wiens in besonderem Maße.
RUCK: Ich wurde zwar in Simmering geboren, muss aber gestehen, dass mich meine Wege seltener über die Donau führen. Ich arbeite noch immer daran, dieses Verhältnis aufzuholen, denn »Transdanubien« hat unglaublich viel zu bieten. Als Wirtschaftskammer-Wien-Präsident besuche ich natürlich Betriebe in allen Bezirken – in jedem Bezirk gibt es schöne Plätze.

Als einzige Millionenstadt verfügt Wien über einen respektablen Weinanbau – wie sieht hier die Zukunftsvision aus?
LUDWIG: Was wäre Wien ohne seinen weltberühmten Wein? Er ist untrennbar mit der Stadt verbunden und wesentlicher Bestandteil des Lebensgefühls. Das Bekenntnis der Stadt Wien zum Weinbau drückt sich auch im städtischen Weingut Cobenzl aus. Wien ist mit einer Anbaufläche von rund 700 Hektar nicht umsonst die weltweit einzige Millionenmetropole mit wirtschaftlich bedeutendem Weinbau innerhalb der Stadtgrenzen. Damit das so bleibt, haben wir gesetzlich festgelegt, dass die Anbauflächen als solche erhalten bleiben. Viele Immobilien­entwickler würden diese Lagen mit traumhaftem Wienblick gerne verbauen und satte Gewinne einstreifen. Wir sagen aber ganz klar: Weinberge statt Villen.
RUCK: Ich bin unheimlich stolz darauf, dass unsere Wiener Winzer mit ihren Produkten international reüssieren. Der Wiener Wein hat eine lange Geschichte, und ich prognostiziere eine ebenso lange erfolgreiche Zukunft. Der Gemischte Satz wurde ja am Anfang nicht ernst genommen, aber ich hab ihn immer schon gern getrunken.

Die Schanigärten in Lokalen wie dem »Schwarzen Kameel« sind seit 2017 auch im Winter geöffnet.
Foto beigestellt
Die Schanigärten in Lokalen wie dem »Schwarzen Kameel« sind seit 2017 auch im Winter geöffnet.

Die Heurigen gehören zur Marke der Stadt, doch verlagern Sie sich immer mehr in den Süden ...
LUDWIG: Wien hat eine lebendige Heurigen-Szene, die sich über die ganze Stadt verteilt. Es freut mich, dass immer mehr junge Menschen beim Heurigen einkehren – egal ob in Floridsdorf, Liesing, Favoriten oder Döbling. Die Heurigen sind ein Wiener Kulturgut und Aushängeschild der Wiener Gemütlichkeit. Seitens der Stadt bieten wir hier deshalb unsere volle Unterstützung an. Genauso wichtig ist aber auch, dass auch die Betreiber diese Kultur weiterleben.
RUCK: Wien ohne die Heurigen ist wie ein Himmel ohne Sterne. Ich kann mich dem Bürgermeister nur anschließen: In der Heurigen-Kultur steckt das innerste Wesen der Wiener Gemütlichkeit. Es gibt nichts Urigeres, als bei Schmankerln, einem guten Glas Wein und Wienerliedern die Stimmung zu genießen. Es ist gut, dass sich dieses Angebot auf ganz Wien verbreitert hat. Die klassischen Heurigengebiete werden immer gefragt sein.

Was sind die spannendsten kulinarischen Projekte, die auf Ihrer Agenda stehen?

LUDWIG: Die Wiener Küche ist hervorragend und bietet weit mehr als das Wiener Schnitzel. Bei Kulinarik spielt Regionalität eine immer wichtigere Rolle – und hier hat Wien viel zu bieten. Auf unseren Märkten findet sich ein buntes Sortiment an frischen Wiener Produkten allererster Güte. Mit der neuen Marktordnung schützen wir diese und sichern gleichzeitig ein breites gastronomisches Angebot vor Ort. Mit dem neuen Schloss-Restaurant & Café Cobenzl entsteht in den kommenden Jahren eine tolle Gastro- und Veranstaltungslocation auf einem der beliebtesten Wiener Hausberge. Der CopaBeach an der Neuen Donau hat sich zu einer beliebten Freizeitoase mit wechselnder Gastronomie entwickelt. Auch am Donaukanal hat sich in den letzten Jahren viel getan, mit der transparenten Neuausschreibung wird es da einen attraktiven Gastro-Mix geben. Mit neuen Lokalen und Ideen wird der Donaukanal künftig nicht nur für die Wiener, sondern auch in jedem Reiseführer ein Fixpunkt sein.

Erschienen in
Falstaff Spezial »Kulinarisches Wien« 2018

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Ursula Macher
Ursula Macher
Chefredakteurin
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