Schinkenproduzent in Spanien: Manche Keulen reifen über Jahre.

Schinkenproduzent in Spanien: Manche Keulen reifen über Jahre.
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In Würde altern: Gereiftes Schwein

Dass gereifter Käse eine Delikatesse sein kann, ist nicht neu. Aber auch Fleisch von Schweinen wird inzwischen trocken gereift. Man nennt das Dry aged.

Wenn Schweineschenkel, Salz und jede Menge Zeit zusammenfinden, dann wird daraus eine der größten Köstlichkeiten, die menschlicher Erfindergeist hervorgebracht hat: luftgetrockneter Schinken. Harold McGee, einst Ess-Kolumnist der »New York Times«, schwärmte: »Mit ihrer lebendigen, rosigen Durchsichtigkeit, ihrer seidenen Konsistenz und einem Geschmack, der gleichzeitig fleischig und fruchtig ist, verhalten sich Schinken zu frischem Schwein wie frische Milch zu reifem Käse: eine Destillation, ein Ausdruck der verändernden Kraft von Salz, Enzymen und Zeit.« 
Die Technik des Einsalzens und Trocknens von Schinken ist über 2000 Jahre alt, die meisten großen Esskulturen haben ihre eigene Version hervorgebracht. Im östlichen Mittelmeerraum ist das Ergebnis als Prosciutto oder PrŠut bekannt, westlich von Italien wird es eher als Serrano oder Bayonne gehandelt, und die Chinesen nennen ihre Variante Jinhua Huotui, Schinken aus Jinhua – das Prinzip ist aber immer das gleiche: Frische Schweinebeine werden mit reichlich Salz eingerieben und mehrere Tage bis Wochen liegen gelassen, anschließend werden sie für Monate bis Jahre zum Trocknen aufgehängt. 
Das Salz sorgt dafür, dass sich ungewünschte Bakterien auf dem Fleisch nicht vermehren können, die Trocknung reduziert die Wassermenge und konzentriert den Geschmack. Die Zeit wiederum gibt Enzymen im Fleisch die Möglichkeit, geschmacksneutrales Protein in köstliche Aminosäuren und Peptide umzuwandeln – bei entsprechend langer Reifung wird ein Drittel des Fleischproteins in Aromastoffe verwandelt. Die ungesättigten Fettsäuren im Fleisch zerfallen ebenfalls in Geschmacksstoffe. Ein reifer Schinken enthält daher oft zwanzigmal so viele Geschmackskomponenten wie rohes Fleisch.
Noch wilder geht es in fermentierten Würsten, bei uns meist als »Salami« bekannt, zu: In ihrem Inneren werken sehr ähnliche Mikroorganismen, die auch Milch in manche Käse verwandeln, und geben dem Schweinefleisch (oder Rind oder Esel) mit der Zeit Geschmack und Säure. Ihr Äußeres wird mit edlen Schimmelkulturen bepflanzt, die ebenfalls das Ihre zur Köstlichkeit beitragen. 
Und auch frisches Schwein kann von Reifezeit profitieren: Ganz genau wie beim Rind entwickeln sich durch Dry-agen auch beim Schwein eine bessere Konsistenz und mehr Aroma. Während Würste aber bei uns eine sehr lange Tradition haben, ist trocken gereiftes Schwein ein vergleichsweise junges
Produkt.

INFO

Wer es ausprobieren will: Der Metzger Heiko Brath verkauft es in Deutschland als »Alte Wutz« (www.partyservice-brath.de), und in Österreich hat es die Firma Wiesbauer Gourmet (www.wiesbauer-gourmet.at) im Programm.

Aus dem Falstaff Magazin Nr. 03/2017

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