Die Reifung in Felsenkellern verleiht den Käselaiben eine besondere Harmonie.

Die Reifung in Felsenkellern verleiht den Käselaiben eine besondere Harmonie.
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In Würde altern: Geliebte Käse-Reife

Bei kaum einem anderen Produkt ist die Reife von derart zentraler Bedeutung wie beim Käse.
Experten sehen das empfohlene Verbrauchsdatum problematisch und überschreiten dieses für den eigenen Genuss zum Teil um viele Monate.

Käse ist ein sensibles Naturprodukt, dessen Genusshöhepunkt erst durch richtige Lagerung und richtige Pflege erreicht werden kann. Experten sehen schon einen wesentlichen Unterschied bei der Reife in künstlich klimatisierten Lagerräumen im Vergleich mit jener in Höhlen- bzw. Felsenkellern. Es sind ehemalige Bergbaustollen, unterirdische Kellergewölbe oder sogar natürlich entstandene Höhlen, in denen Käse bevorzugt gelagert wird. Die Vorteile derartiger Reiferäume kennt der österreichische Käseprofi Rudolf Steiner, der die unterschiedlichen Reifebedingungen jahrelang studiert hat: »Ich habe den gleichen Käse in einem Stollen und in einem klimatisierten Reifelager reifen lassen. Es gab einen signifikanten Unterschied! Man meint, man hat zwei verschiedene Käse vor sich!« Auch bei der besten Klimaanlage gibt es minimale Temperaturschwankungen, die die empfindlichen Käselaibe wahrnehmen. Die Temperatur unter Tag hingegen ist das ganze Jahr über konstant. Höhlenkäse hat einen eigenen Charakter und eine typische Geschmeidigkeit des Teiges. Experten erkennen den Unterschied blind. Steiner ist für den Kitzbühler Felsenkeller der TirolMilch verantwortlich, in dem tausende Laibe Käse reifen.
Bergkäse beispielsweise erreichen erst nach einer mehrmonatigen Reifedauer eine geschmacklich harmonische Ausprägung. Wahre Käse-Aficionados geben ihrem Käse aber noch viel mehr Zeit. Dabei ist aber die Erfahrung und das Gespür der Käsemacher Grundvoraussetzung, denn nicht jeder Laib eignet sich für extrem lange Lagerung von fünf Jahren und länger. 

Zahnkapfel Haltbarkeitsdatum

Bei Hartkäse ist die Reife auf der Herstellerseite bereits ein entscheidendes Kriterium für den Verkaufserfolg. Bei allen anderen Käsearten ist der Geschmack und das Selbstmanagement der Kunden gefragt. Dass das empfohlene Verbrauchsdatum (man sollte niemals- Ablaufdatum sagen, denn Lebensmittel verderben ja nicht zum Stichtag) dabei wenig förderlich ist, konnte bei einer groß angelegten Falstaff-Verkostung nachgewiesen werden. 31 Produkte von Weich- bis Hartkäse wurden zweimal von einer hochrangigen Expertenjury verkostet: ein erstes Mal gleich nach dem Einkauf und ein zweites Mal, nachdem das Mindeshaltbarkeitsdatum (MHD) bereits deutlich überschritten war. Etwa zwei Drittel wurden beim zweiten Test signifikant besser bewertet als die vermeintlich frischen Käse. Der bekannte österreichische Käse-Sommelier Herbert Schmid beklagt, dass Käse in Österreich und in Deutschland im Allgemeinen viel zu jung verkauft wird. Er warnt zwar zur Vorsicht bei Rohmilchkäsen, da die Anzahl der Bakterien sehr schnell in immense Höhen steigen kann, bei Hart- oder Blauschimmelkäsen sieht er aber überhaupt kein Problem. Warum es überhaupt ein Mindesthaltbarkeitsdatum gibt, ist aus Herstellersicht schnell erklärt, denn so können sie das Haftungsrisiko für ihre Produkte in überschaubarem Rahmen halten.

Mut zum Experimentieren

Hohe Reife ist aber keinesfalls ein Dogma, sondern einerseits Geschmackssache und andererseits vom jeweiligen Käse abhängig. Viele lieben den rahmigen Kern eines jungen Camemberts ebenso wie die reifen Noten eines alten Parmesans. Der deutsche Käsesommelier Uwe Wiedenhöfer motiviert Konsumenten dazu, selbst und ohne Bevormundung herauszufinden, bei welchem Reifegrad ihnen der Käse am besten schmeckt. Das empfohlene Verbrauchsdatum sieht er aber auch als nicht förderlich:
Während sich Konsumenten, die sich in der SB-Käsetheke bedienen, oftmals vom Haltbarkeitsdatum beeinflussen lassen, vertrauen Kunden von Fachhändlern deren Expertenurteil: Der Käse wird offen verkauft, und niemand käme auf die Idee nach einem »Ablaufdatum« zu fragen. Sowohl unter Händlern als auch Gastronomen gibt es regelrecht Besessene, die ganze Laibe kaufen und diese über Monate und Jahre pflegen, bürsten und waschen, um extreme Reife von 100 Monaten und mehr zu erzielen. Wirtschaftlich ist das nicht. Aber wenn sich der Geschmack den Erwartungen und Hoffnungen entsprechend entwickelt hat, kann sich bei der ersten Kostprobe ein unglaubliches Glücksgefühl einstellen.

»Mit längerer Haltbarkeit verbindet der Verbraucher oft auch längere Frische, da darf aufgeklärt werden.«
Uwe Wiedenhöfer, Käsesommelier

Jeder Käse reift anders

«Den >Österkron< habe ich sechs Monate nach dem MHD am liebsten!»Herbert Schimd, Käsesommelier
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«Den >Österkron< habe ich sechs Monate nach dem MHD am liebsten!»Herbert Schimd, Käsesommelier

v.l.n.r:

  • Schimmelkäse: Unkompliziert in der Lagerung, profitiert er schon von wenigen Wochen zusätzlicher Reife.
  • Hartkäse: Bergkäse kommt normalerweise in gutem Reifezustand in den Handel. Für weitere Reife sollte man ganze Laibe verwenden.
  • Camembert: Weichkäse ändert seinen Geschmack mit jedem Tag zusätzlicher Reife. Jeder sollte selbst ausprobieren, was ihm schmeckt.

Es hängt stark vom jeweiligen Käsetypus ab, ob zusätzliche Reife zu empfehlen ist. Grundvoraussetzung ist die richtige Verpackung und Temperatur. Käse kann im Kühlschrank gut reifen, sollte aber immer mit Zimmertemperatur serviert werden.

Vacherin: Riskant oder nicht?

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Sie mögen Fisch, Butter, aber auch Schweinezungen in Aspik: Mikroben der Art Listeria monocytogenes. Es sind keine freundlichen Tierchen, zumindest dem Menschen können sie ordentlich zusetzen. Im schlimmsten Fall lösen sie bei ihm Listeriose, Hirn- und Hirnhautentzündungen aus. Das kann sogar zum Tod führen.
So wie in den 1980er-Jahren, als die Mikroben über eine schweizerisch-französische Käsespezialität hergefallen sind: über den Vacherin Mont d’Or. Dieser unter Feinschmeckern immer schon hoch geschätzte Käse reift innerhalb einer schimmeligen und harten Rinde. Und genau dort haben sich die unliebsamen Gäste eingenistet. Die Folge: mehr als 100 Tote.
Heute ist Vacherin, egal ob aus der Schweiz oder Frankreich, völlig unbedenklich. Die Hersteller haben alles unternommen, um Listeria-Mikroben von ihrem Käse fernzuhalten. Es hat seither keine Toten mehr gegeben. Nicht einmal leicht Verletzte.

Bernard Antony: Meister des Affinierens

Bernard Antony: Käse muss einfach perfekt gereift sein.
Foto beigestellt
Bernard Antony: Käse muss einfach perfekt gereift sein.

Es heißt, er habe Rohmilch im Blut. Jedenfalls gehört seine ganze Leidenschaft dem Rohmilchkäse. »Pasteurisierter Käse«, sagt er, »ist wie ein kastrierter Mann.« Und natürlich muss ein Käse perfekt gereift sein. Genau darum kümmert er sich tagein, tagaus. Es ist sein Beruf. Bernard Antony ist Käse-Affineur. Und zwar nicht irgendeiner, sondern der berühmteste Frankreichs, er beliefert die besten Restaurants der Welt. Der aus dem Elsass stammende Käseflüsterer lässt im Grunde genommen schon fertig produzierten Käse unter verschiedensten Bedingungen weiter reifen, er veredelt Käse sozusagen, steuert den Reifeprozess, macht aus ausgesuchten Basisprodukten kleine Kunstwerke, die auf der Zunge zergehen. Antony sucht seine Rohprodukte in ganz Frankreich, zumeist bei kleinen Bauern, deren Kühe eine ganz spezielle Milch geben. Daraus lässt er dann in seinen Kellern und Hallen Käsekreationen reifen, manchmal bis zu vier Jahre lang.

Aus dem Falstaff Magazin Nr. 03/2017

Bernhard Degen
Autor
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