Imagefaktor Weinkarte

Eine gepflegte Weinliste ist eine wichtige Visitenkarte für jeden gastronomischen Betrieb. Falstaff hat überprüft, was eine Getränkekarte von heute können sollte, und berichtet über neueste Trends aus der Welt der Sommellerie.

Immer wieder werden sie gesucht, die »besten Weinkarten des Landes«. Die Kriterien können bei einer derartigen Wahl ganz unterschiedlichen Ansätzen folgen, meist steht aber schlicht eine Marketingüberlegung dahinter: Wer hat das umfangreichste regionale Programm, wer kann Bordeaux breit und mit entsprechender Jahrgangstiefe anbieten, wer schenkt mehr als zehn Riojas glas­weise aus und so fort. Ob eine Weinkarte tatsächlich zum Gelingen eines Essens beitragen kann, hängt weniger von ihrem Umfang als von der Güte der Selektion ab. Daher: besser eine exzellent zusammengestellte Auswahl, die gut zum Typus des jeweiligen Restaurants passt, als eine Großparade von Weinen, die ­eigentlich keiner bestellen will. Woran der ­Profi eine vom Experten gestaltete Weinkarte ­erkennt? In einer Spitzenweinkarte werden ­immer einige wenige echte Schnäppchen eingebaut sein. Findet der kundige Gast diese, dann ist positive Mundpropaganda gesichert. Eines steht jedenfalls fest: Eine gepflegte Weinauswahl trägt viel zum Image einer kulinarischen Adresse bei, für Weinfreunde ist sie das Aushängeschild eines Lokals.

Weine lagern?
Dass Österreich ein Land der Jungweintrinker ist, spiegelt sich auch in unseren Weinkarten allzu oft wider. Im Prinzip ist gegen das eine oder andere Glas vom frischen Gelben Muskateller oder vom Federspiel nichts einzuwenden. Aber auch von den Reserve- und großen Rotweinen findet man häufig nur die jüngst ausgelieferten Jahrgänge auf den Karten. Während man in Ländern wie Frankreich oder Spanien über ein derartiges Überangebot von noch ­keineswegs trinkreifen Produkten den Kopf schütteln würde, scheinen die Gastronomen bei uns aus der Not eine Tugend machen zu wollen. »Haben die Konsumenten die Wahl zwischen einem jungen oder einem reiferen Jahrgang, so entscheidet sich der Gast fast immer für den jüngeren«, so ein Sommelier. Das liegt aber wohl auch daran, dass in der Vergangenheit viel zu oft Altweine angeboten wurden, die diesen Namen voll und ganz verdienen. Auch das »glasweise« Entsorgen von überreifen Weinen hat manchen Weinfreund nachhaltig abgeschreckt. »Bei den Winzern selbst bekommt man keine gereiften Weine«, ist ein weiteres immer wieder gehörtes Argument für die Absenz jeglichen Angebots in diese Richtung. Fakt ist, dass der Großteil der Gastronomie auf eine eigene Lagerbildung verzichtet – da wäre zu viel Kapital gebunden, so die Begründung. Die Wiener Getränkevertriebsfirma Del Fabro versucht, dieser Entwicklung jetzt gezielt ein Spezialprogramm entgegenzu­setzen, in dem sie von Experten ausgewählte, perfekt trinkreife Weine aus unterschiedlichen österreichischen Regionen anbietet. Damit ­bekommen die Gäste die Gelegenheit, diese ­Produkte wieder zu verkos­ten – oder können überhaupt einmal entdecken, wie viele Facetten ein optimal herangereifter Wein zu bieten hat. Der Gastronom kann bei Del Fabro aktuell aus 32 Weinlegenden wählen. Darunter waren in der ersten Tranche Bründlmayers Käferberg 2001, Knolls Veltliner Kreutles Smaragd aus 2004 und Pragers Riesling Wachstum Bodenstein aus 2000, aus der roten Abteilung Leberls Peccatum 1999, Prielers Blaufränkisch Goldberg 2000 und vieles mehr, was jeder Weinkarte zur Zierde gereicht. Wenn die Konsumenten diese vielschichtigen gereiften Weine mit all ihren ­Nuancen erst einmal erlebt haben, dann wird auch auf breiterer Front wieder mehr Nachfrage entstehen. Starwinzer Willi Bründlmayer sieht selbst bei seinen weißen Spitzenweinen erst nach sechs, sieben Jahren die erste Trinkreife erreicht. »Egal ob Riesling Heiligenstein Lyra oder Alte Reben, diese Weine zu jung zu trinken ist nur das halbe Vergnügen.«

Up to date
Eine gute Weinkarte darf auch gerne informativ gestaltet sein. Weinbeschreibungen aus dem Katalog des Weinlieferanten sind damit allerdings nicht gemeint. Wenn schon, dann Texte, die dem Leser etwas vermitteln. Auf einzelne ­Regionen bezogene Jahrgangsbeurteilungen können sehr hilfreich sein, genauso wie Erläuterungen zu weniger bekannten Rebsorten. Spe­ziell zu jungen oder neu entdeckten Weingütern kann man eine kleine Beschreibung des Betriebs dazustellen. Die Geschichten sollten allerdings nicht ausufern, schließlich will der Gast nicht stundenlang über der Weinkarte sitzen, bevor er sich zu einer Bestellung entschließt. Im Idealfall wird die Weinkarte regelmäßig überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht. Nichts ist für den Gast unangenehmer, als in der Karte durchgestrichene Weine zu sehen oder das Unwort »ausgetrunken« zu lesen. Dadurch erweckt man unwillkürlich beim Kunden das unangenehme Gefühl, er hätte etwas verpasst – und zwar etwas Gutes.

Starkoch Keller bietet bereits eine elektronische Weinkarte an / Foto: beigestellt
Starkoch Keller bietet bereits eine elektronische Weinkarte an.

Kompetentes Service ist wichtig
Neben dem Weinangebot in der Karte ist aber die Kompetenz im Service gefragt. Fachkundiges Personal und guter Weinservice sind die Grundsäulen eines erfolgreichen Abends. Was hilft eine tolle Auswahl, wenn es niemanden gibt, der imstande ist, die gewünschte Flasche innerhalb ­einer angemessenen Zeitspanne im Keller zu ­lokalisieren? In Österreich wird das Berufsbild des Profisomeliers im Vergleich zu unserem Nachbarland Deutschland oder gar Frankreich nicht genug gewürdigt. Viele fähige Weinservice-Experten suchen sich daher einen Platz im Ausland, wo sie schnell zu regelrechten Stars der kulinarischen Szene aufsteigen. An Nachwuchs und Qualität fehlt es nicht, der ­Österreichische Sommelier Verband und das WIFI bilden jährlich zahlreiche junge Damen und Herren zu Diplomsommeliers aus. Deren Engagement sollte die heimische Gastronomie noch besser nutzen, die bessere Ausbildung sollte sich aber auch für den Mitarbeiter lohnen. Am Ende würde der Gast von einer ausgezeichneten Beratung profitieren, denn der Sommelier ist das Bindeglied zwischen Weinkarte und Küche und kann dazu beitragen, die bestmögliche Kombination von Gericht und Wein zu erreichen.

Digital
Der neueste Trend in Sachen Weinkarten und Kundenservice kommt aus den Vereinigten Staaten. Dort bedient sich eine zunehmende Zahl von Gastronomen, darunter gefeierte Stars wie Thomas Keller (»French Laundry« in Napa Valley, »Per Se« in New York) keiner gedruckten Weinkarte mehr, sondern sie händigen den zunächst verdutzten Gästen ein iPad aus, das diese Funktion übernimmt. Die »elektronische Weinkarte« verbindet tatsächlich viele Vorteile: Das Handling mittels Touchscreen ist simpel, kaum eingeschaltet, tauchen verschiedene Kästchen auf, man wählt zwischen Weiß- und Rotwein, klickt auf die gewünschte Rebsorte oder das Herkunftsland und taucht so tief ins Innere der virtuel­len Weinkarte ein.

Diskutieren
Wählt man einen Wein, dann werden alle verfügbaren Jahrgänge angeboten, will man etwas über einen Jahrgang wissen, bringt ­einen ein Tippen eine Stufe weiter. Elektronische Weinkarten können aber noch viel mehr. Sie wollen auf die Schnelle auch Fotos oder ein Video des Weinguts sehen oder spezifische Details über Ihren Wein erfahren? Die Möglichkeiten sind mit diesem Medium fast unerschöpflich – egal ob Falstaff- oder Parker-Punkte oder die konkrete Verweildauer im Barrique, das vinophile iPad macht diese Informationen zugänglich. Während in London, Paris, New York oder Hongkong bereits mit elektronischen Weinkarten gearbeitet wird, scheint man im deutschen Sprachraum noch abzuwarten. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis sich diese nützliche und zugleich unterhaltsame Technik auch bei uns verbreiten wird, auch wenn die Traditionalisten wie bei jedem neuen Trend sicherheitshalber einmal Zeter und Mordio schreien. Für den Sommelierberuf stellt sie jedenfalls keine Gefahr dar, denn die Leute lieben es, über ihre neu gemachten Weinerfahrungen zu fachsimpeln und zu diskutieren. Und diejenigen Res­tau­rants, die das iPad bereits länger einsetzen, verzeichnen steigende Umsätze beim Wein, weil sich die Gäste mit etwas mehr Informa­tion auch an neue, oft kostspieligere Weine ­heranwagen.

Text von Peter Moser
Aus Falstaff Nr. 2/2012