Im Zeichen der Ziege

Der uralte Brauch, zu Ostern ein Ziegenkitz zu verspeisen, ist in vielen Regionen längst ausgestorben. Dafür finden sich immer mehr Feinschmecker, die das zarte Aroma des Milchziegenfleisches den ganzen Frühling lang zu schätzen wissen.

Wer dieser Tage das Mostviertel besucht und zufällig an ei­nem kleinen Weiler namens Empfing vorbeifährt, der sollte auf die Bremse steigen. Denn es kann ganz leicht passieren, dass er sich plötzlich von mehr als zweihundert Ziegen und Ziegenkitzerln umringt sieht, die so ganz und gar keine Anstalten machen, den Weg für den Besucher frei zu machen. Denn Ziegen haben Zeit. Und ob sie in zehn Minuten oder erst in einer Stunde auf der – zurzeit leider noch nicht besonders grünen – Weide angelangt sind, das spielt in ihrem Leben keine Rolle.

Ilse Neu, die »Ziegenmama« von Empfing, sieht die Sache nicht ganz so gelassen, denn schließlich könnte der Durchreisende ja auch ein feinschmeckerisch veranlagter Kunde sein, der nach einem ihrer Mostviertler Bio-Kitzerln Ausschau hält. Und Frau Neu hat für solche Kunden keineswegs nur berufsbedingtes Verständnis.

»Ostern ohne Kitzerl? – Das wäre in unserer Familie völlig ausgeschlossen!«, sagt Frau Neu mit dem Brustton der Überzeugung. Denn sie ist nicht nur eine Bio-Ziegenbäuerin aus Leidenschaft, sondern auch eine nicht minder passionierte Kitzerlköchin. Gleich aus dem Stegreif fallen ihr auch ein halbes Dutzend Rezepte ein, wie man das hauchzarte und doch so würzige Fleisch der Ziegenkitze am besten zur Geltung bringen kann. Drei beispielhafte Rezepte finden Sie in der linken Randspalte.

Ihre erprobten Lieblingsrezepte veröffent­licht Ilse Neu regelmäßig auf ihrer Homepage www.ziege.at, für die sogar Meisterkoch Reinhard Gerer einen geschmorten Kitzschlegel mit einer Bärlauch-Ziegenkäse-Fülle im Schweinsnetz beigesteuert hat. »Die Zeiten, in denen man das Osterkitz nur gebacken und nur aus religiösen oder brauchtümlichen Gründen gegessen hat«, weiß Frau Neu, »sind allmählich vorbei. Dafür finden sich immer mehr Gourmets, die weit fahren, um an ein zartes Biokitzerl zu ­gelangen.«

Die Statistiken über den österreichischen Ziegenfleischverbrauch geben Frau Neu recht. Zwischen 1946 und 1980 ist der Ziegenbestand der Alpenrepublik zwar von 272.000 Stück auf knapp über 30.000 Stück zurückgegangen. Doch seit Beginn der Achtzigerjahre – also jenem Zeitpunkt, mit dem man auch die »Revolution der österreichischen Küche« ansetzt – ging es wieder rapide aufwärts. Mit 62.000 Ziegen im Jahr 2008 hat sich der Ziegenbestand seither wieder mehr als verdoppelt.

Ziegen-Fan Heinz Hanner
»So ein Kitzerl ist schon ein kleiner kulinarischer Kosmos«, ist etwa Heinz Hanner aus Mayerling überzeugt. »Und dass für die feine Küche ausschließlich das Filet geeignet sein soll, kann ich nur als Irrglauben bezeichnen. Ein in Buttermilch marinierter Milchziegenschlegel kann ebenso große Küche sein wie ein niedertemperaturgegarter, aber zum Schluss knusprig ge­bratener Ziegenbauch. Von einer ganzen Kitzschulter mit Bärlauch und heurigen Erdäpferln oder rosa Tannenzapfen erst gar nicht zu reden.«

Lisl Wagner-Bacher mag lieber Lammkitz
Lisl Wagner-Bacher vom »Landhaus Bacher« in der Wachau gibt Heinz Hanner zwar, was die Zartheit des Kitzfleischs betrifft, durchaus recht, entgegnet jedoch: »Bei mir ist ein Kitz immer ein Lammkitz, denn ich mag Ziegen nicht einmal im Streichelzoo. Auch das Kitzbeuscherl ist bei mir daher immer ein Milchlammbeuscherl.«

Bezugsquellen für Ziegenkitz unter »Einkaufen mit Touzimsky«, der diesmal Christian Domschitz an seiner Seite hatte.

von Christoph Wagner

den ganzen Artikel finden Sie in Falstaff 02/10

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