Im Schatten der Meister

Sie stehen immer im Hintergrund, haben einen aufreibenden Job, doch die Lorbeeren ernten andere. Dabei sind Souschefs oft die eigentlichen Köche, ohne die in den Küchen nichts ginge.

Josef Hohensinn hat es geschafft. Ende Februar ist der gelernte Koch und jahrelange Souschef des populären Reinhard Gerer aus dem Schatten seines Mentors getreten. Hohensinn ist nun selbst Küchenchef – in einem charmanten Lokal am Karmelitermarkt: im »Marktachterl«.

Hohensinn genießt seine neue Rolle. Jetzt ist er es, der von den einschlägigen Gazetten gefeiert wird, der zu den Gästen kommt, wenn sie danach verlangen, und der damit hautnah den Applaus erntet. Jahrelang war das anders. Hohensinn war die rechte Hand von Reinhard Gerer, vor allem in der Zeit, als dieser noch als bejubelter Starkoch und Chef der Küchenbrigade im »Korso« im Dienst stand. Hohensinn hat alle Höhen und Tiefen dieses legendären Feinschmeckertempels erlebt – aber nur aus der zweiten Reihe und im Schatten seines Meisters.

Rollenverteilung
Ein auf den ersten Blick recht undankbarer Job: Läuft der Laden gut, sind die Gäste zufrieden und die Kritiken positiv, dann geht das automatisch auf das Konto des populären Chefs, der sich »Seitenblicke«-gerecht in der Öffentlichkeit präsentiert. Sind die Gäste unzufrieden und die Kritiken im Keller, herrscht in der Küche Kriegsstimmung. Dann sind nicht selten die schuld, die die tägliche Alltagsarbeit verrichten. »Das ist das Los eines Souschefs«, sagt Hohensinn, »du stehst rund um die Uhr in der Küche, gelobt wird immer ein anderer, den Tadel bekommst du aber ­direkt zu spüren.«

Strenge Hierarchie
In den Küchen der gehobenen Gastronomie herrscht traditionell eine strenge Hierarchie. Nach alter Schule trägt den Titel Küchenchef (Maître de Cuisine oder Chef de Cuisine) jene Person, die mit der Leitung der Küchenbrigade beauftragt wurde. Ihm unterstellt sind der Souschef als Stellvertreter, die Postenchefs (Chefs de Partie) und die Jungköche (Commis de Cuisine).

Gerer-Akademie
Gerer hat nicht nur Legionen an Jungköchen ausgebildet, aus seiner Schule stammen auch vie­le Souschefs. Manche von ihnen sind später bekannte Köche geworden, so wie etwa Alexander Fankhauser, der seit einiger Zeit als ORF-Koch (»Frisch gekocht«) zusammen mit Andreas Wojta – ebenfalls ein Gerer-Schüler – Furore macht.

Fankhauser ist überdies Küchenchef im elterlichen Hotel Lamark im Zillertal auf 1500 Meter Seehöhe und gilt als einer der besten Köche Tirols. »Ohne Gerer wäre ich nie in diese Liga gekommen«, meint Fankhauser ehrfurchtsvoll und zollt seinem ehemaligen Chef noch heute Respekt.

Aus dem Gerer-Stall stammt auch Harald Brunner, der zwischenzeit­lich im heutigen »Das Turm« am Wienerberg als Betreiber und Küchenchef in Erscheinung getreten ist. Aber auch Martina Willmann wurde nach ihrer Zeit als Souschefin im »Korso« eine gefeierte Küchen­chefin und machte vor allem im »Novelli« zwischenzeitlich eine gute Figur.

Jürgen Vigne, Pfefferschiff
Jürgen VigneEin ehemaliger Souschef, der sich erst vor Kurzem aus der zweiten Reihe zum Frontmann emporgekocht hat, ist Jürgen Vigne. Der jahrelange Stellvertreter von Klaus Fleischhaker im »Pfefferschiff« in Salzburg übernahm Anfang
des Jahres zusammen mit seiner Frau Iris den ­bekannten Gourmettempel und ist dort seither der Boss. Die Küchenlinie wird sich in Zukunft – wenn überhaupt – nur marginal ändern, denn die beiden harmonierten schon seit Jahren bestens.

Schon einige Male ist es vorgekommen, dass ein zum Küchenchef aufgestiegener Souschef nach dem Abgang seines Vorgesetzten eine nicht minder gute Leistung zeigte. Als etwa Leonard Cernko – einst Küchenchef in Toni Mörwalds »Kloster Und« in Krems – nach Moskau abwanderte, muss­t­e sein damaliger Souschef Erwin Windhaber über Nacht in die Rolle des Küchenkapitäns schlüpfen. Ergebnis: Sämtliche Gourmetkritiker waren sich einig, dass Windhaber um nichts schlechter war als sein zuvor hochge­jubelter Vorgänger. Auch die Gäste merkten kaum einen Unterschied.

Alois Traint, Vestibül
Alois TraintDoch manche Souschefs wollen gar nicht vor den Vorhang treten und sind mit ihrer Rolle als Stellvertreter durchaus zufrieden. Alois Traint etwa kocht schon seit immerhin 20 Jahren an der Seite von Christian Domschitz. Der 40-jährige Küchenprofi möchte daran um nichts in der Welt etwas ändern: »Ich bin der geborene Handwerker, ein Küchenchef aber muss eine Menge an ­Bürojobs machen und irgendwie auch ein Entertainer sein. Das bin ich aber nicht.« Domschitz und Traint sind eine Art »berufliches Ehepaar«, das – zusammengeschweißt wie siamesische Zwillinge – schon dreimal seine Wirkungsstätte wechselte.

Kennengelernt haben sich die beiden im »Walter Bauer«. Später übersiedelten sie gemeinsam ins »Mörwald Ambassador«, danach ins »Schwarze Kameel« und schließlich ins »Vestibül« im Wiener Burgtheater. Immer war in den Zeitungen bloß von Domschitz zu lesen, der wieder einmal den Herd wechselte. In Wirklichkeit aber war stets auch sein Adjutant dabei. Domschitz: »So ein Gespann wie wir es sind, gibt es in der Gastronomie höchst selten – das wissen wir beide.«

Tatsächlich sind Domschitz und Traint ein erstaunliches Arbeitsduo. Am ­Beispiel dieser beiden wird auch die feine Trennlinie der verschiedenen Aufgabenbereiche deutlich. Schon vom äuße­ren Erscheinungsbild sind beide höchst unter­schiedlich. Domschitz, auch liebevoll »der Lange« genannt, erscheint im Vergleich zu seinem Hintermann betont seriös und eher konservativ. Traint hingegen wirkt mit seinem Piratentuch auf dem Kopf wie ein Söldner der Seefahrt.

Traint muss auch nicht repräsentieren, das überlässt er seinem Chef, der inzwischen nicht nur als Küchenchef agiert, sondern überdies auch noch als Betreiber des Lokals eine Men­ge an zusätzlichen Aufgaben erledigen muss. Traint: »Wir sprechen die grundsätzliche Linie ab, und dann liegt es an mir, die Vorgaben mit meinen Leuten umzusetzen.« Domschitz: »Ich bin heilfroh, dass mir der Alois die Küche vom Leib hält.«

Andreas Hettegger, Hanners
Andreas HetteggerDamit wirkt die Welt der Helden am Herd nach außen hin schon fast wie eine Mogelpackung. Denn während Gäste nicht selten der Meinung sind, sie befänden sich gerade in den heiligen Hallen eines gefeierten Starkochs, der für sie persönlich in den Kochtöpfen rührt, werden sie in Wahrheit vom Souschef und dessen Untergebenen bekocht. Heinz Hanner etwa gibt unumwunden zu, dass er schon lange nicht mehr ständig in der Küche steht. Der Starkoch aus Mayerling vertraut seit sechs Jahren auf seinen Souschef Andreas Hettegger, der, wie Hanner meint, »fünf Tage die Woche die Bratpfanne schwingt«.

Die Zeiten also, in denen Hanner die meiste Zeit in der Küche zubrachte, sind lange vorbei. »Wenn du Küchenchef und Lokalbesitzer in einem bist, dann wird diese Doppelfunktion ­irgendwann einmal zu viel«, meint der mit ­Auszeichnungen überhäufte Starkoch, »dann brauchst du einen, der die Vorgaben umsetzt und die Brigade führen kann, auch wenn du nicht im Haus bist.«

Auch wenn Hanner nur noch selten selbst am Herd steht, so gibt er zumindest die Linie vor, bestimmt den Einkauf und kreiert zusammen mit dem Souschef die Menükarte. »Kochen muss das dann der Andy«, sagt Hanner, »und der kann das auch, denn als Souschef musst du wie ein Bereichsleiter agieren. Die Verantwortung aber liegt immer noch bei mir.«

Doch auch Hanner weiß, dass ein Souschef ein nach außen hin relativ unbedanktes Dasein fristet. Souschefs müssen sich damit abfinden, dass sie mehr oder weniger im Hintergrund agieren und das Einsammeln der Lorbeeren ein anderer übernimmt. »Dafür haben sie, wie in unserem Fall, einen leitenden Job in einem Spitzenrestaurant«, versucht Hanner zu rela­tivieren, »davon gibt es nicht allzu viele.«

Besser die Nummer zwei in der Champions League als die Nummer eins in der Regionalliga – so lautet das Motto der Souschefs in den Top-Restaurants, die sich damit trösten, einen zwar harten und anstrengenden Job mit wenig Feedback zu verrichten, aber dafür an der Sei­te eines Küchenchefs zu stehen, der zu einer schma­len Elite gehört. Nicht jeder ist schließlich dafür geboren, an der Front zu stehen. Souschefs, die in den ­besten Restaurants des Landes im Einsatz sind, ­profitieren auch vom Können und vom Renommee ihrer Chefs. Umgekehrt muss sich ein großer Koch zu hundert Prozent auf seinen Assistenten verlassen können.

Peter Buchegger, Obauers
Peter Buchegger»Nach einer gewissen Zeit«, sagt Karl Obauer in Werfen, »wird ein Souschef zu einer absoluten Vertrauensperson.« Das Beispiel des Souschefs der Brüder Obauer zeigt das eindrucksvoll. Peter Buchegger, 47 Jahre alt, steht bereits seit 25 Jahren in dieser Funktion am Herd. Er ist die rechte Hand von Rudi Obauer, der in der Küche das Sagen hat. Während sich Karl Obauer um sämtliche Aufgaben abseits des Kochens kümmert, dirigieren Buchegger und sein Chef zwölf Leute in der Küche. Karl Obauer: »Buchegger ist ein typischer Souschef, der kann arbeiten bis an die Grenzen der Belastbarkeit.« Das wissen die Brüder zu schätzen: »Ein guter Küchenchef«, sagt Karl Obauer, »ist nur dann gut, wenn auch sein Souschef exzellente Arbeit macht.«

Diese gegenseitige Abhängigkeit führt dazu, dass viele der Küchen-Adlaten ihren Chefs treu ergeben sind – sogar dann noch, wenn ein Restaurant geschlossen wird.
Als etwa Joachim Gradwohl Ende März dieses Jahres von seinem Arbeitgeber Meinl sehr überraschend gekündigt wurde, weil die Betreiber das Restaurant nicht mehr in der alten Form weiterführen wollen, standen auch seine beiden Souschefs Christopher Schramek und Mathias Schicht sowie sämtliche Küchengehilfen über Nacht auf der Straße. Gradwohl, der schon davor ein Engagement mit der asiatischen Luxushotelkette Shangri-La ausgehandelt hatte und dort Ende des Jahres seinen Dienst beginnen will, erkundigte sich noch rasch in der Meinl-Küche, wer denn mit ihm mitgehen wolle. Gradwohl: »Es ist schon ein angenehmes Gefühl, wenn in so einem Fall alle aufzeigen.«

von Herbert Hacker

aus Falstaff 03/10

HANNER
2534 Mayerling 1
T: +43/(0)2258/23 78, F: DW 41
Mo.–Sa. 12–13.30 Uhr und
19–21.30 Uhr, So. 12–21.30 Uhr
hanner@hanner.cc
www.hanner.cc

MARKTACHTERL
Karmelitermarkt 96
1020 Wien
T: +43/(0)1/214 47 92
Mo.–Sa. 8.30–22 Uhr
info@marktachterl.com
www.marktachterl.com

OBAUER
Markt 46
5450 Werfen
T: +43/(0)6468/52 12-0, F: DW 12
Mi.–So. 11.30–16 Uhr
und 18–24 Uhr
ok@obauer.com
www.obauer.com

PFEFFERSCHIFF
Söllheim 3
5300 Hallwang
T: +43/(0)662/66 12 42
Di.–Sa. 18–22 Uhr, Sa. 12–13 Uhr
restaurant@pfefferschiff.at
www.pfefferschiff.at

VESTIBÜL
Doktor-Karl-Lueger-Ring 2
1010 Wien
T: +43/(0)1/532 49 99
F: +43/(0)1/532 49 10
Mo.–Fr. 11–24 Uhr und
Sa. 18–24 Uhr
restaurant@vestibuel.at
www.vestibuel.at

Herbert Hacker
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