Hat Craft Beer eine Zukunft in Österreich?

Zwei Bierbrauer und zwei Gastronomen über die Frage, wie viel verschiedene Biere man wirklich braucht.

Seit einigen Jahren kommt eine erstaunliche Anzahl von Bieren nach Österreich, die sich stark vom hiesigen Angebot abheben. Das Design der Flaschen und Dosen ist ebenso wild und unkonventionell wie der Inhalt. Es sind extrem gehopfte »India Pale Ales«, dunkel-malzige Stouts oder gar »Wiener Lager« die aus Ländern nach Österreich kommen, von denen man diese Bierkultur nicht erwarten würde. Anders als in traditionellen Bier-Ländern wie Österreich oder Deutschland gab es in Italien oder den USA ein veritables Vakuum, das langsam von Garagenbrauern und Bier-Freaks gefüllt wurde. Während es in Mitteleuropa eine gewisse Vereinheitlichung des Geschmacks gab, wurde in den jungen Bier-Ländern ohne Reinheitsgebote unbeschwert experimentiert. Der Trend der sogenannten Craft Biere ist endgültig bei uns angekommen und das Angebot wird immer umfassender.

Im Restaurant »Kussmaul« am Wiener Spittelberg traf sich eine kundige Runde, um über das Phänomen Craft Beer und seine Auswirkungen auf den heimischen Bier-Markt zu diskutieren. Aus der Brauszene waren Karl Trojan (Besitzer der Schremser Brauerei) und Josef Sigl (Eigentümer Trumer Privatbrauerei) anwesend, aus der Gastronomie »Kussmaul«-Gastgeber Mario Bernatovic und Andreas Flatscher, der zwei Lokale führt, die seinen Namen tragen (»Flatschers« und »Flatschers Bistrot«). Die Einstiegsfrage: »Wie viel Craft Beer braucht die Gastronomie?«

Flatscher: Mein Motto ist »Draft statt Craft«. In meinen Betrieben komme ich mit drei bis fünf Flaschen Craft Beer aus. Mehr würde die Gäste überfordern.

Bernatovic: Es kommt auf die Qualität an. Wieviel gutes Craft Beer gibt es wirklich?

Trojan: Aber was ist ein gutes Bier? Für mich ist ein Bier dann gut, wenn man nur auf eines gehen wollte und man beim zweiten draufkommt, dass man schon ein drittes bestellt hat.

Lebendige Diskussion mit Mario Bernatovic, Andreas Flatscher, Karl Trojan und Josef Sigl © FalstaffLebendige Diskussion mit Mario Bernatovic, Andreas Flatscher, Karl Trojan und Josef Sigl © Falstaff

Sigl: Vorweg müssen wir uns die Frage stellen, was Craft Beer eigentlich ist. Aus meiner Sicht hat es nichts mit der Betriebsgröße zu tun.

Trojan: Ich habe mich lange gegen den englischen Begriff gewehrt, aber mittlerweile habe ich mich damit angefreundet. Craft Beer bedeutet für mich »ordentlich Bier brauen«. Und wenn es ein russischer Überbegriff wäre, dann wärs mir auch recht.

Bernatovic: Ich finde das Wort Craft Beer überhaupt überflüssig. Gute Biere sprechen für sich.

Sigl: Es ist jedenfalls gut, dass Bier wieder Thema ist. Die Diskussion wird das Image von Bier langfristig heben. Jahrzehnte haben wir über Bier geredet, jetzt hört endlich auch jemand zu!

Trojan: Aber nicht jeder, der zwei bis drei Bücher über Bier gelesen hat, kann auch Bier brauen. Es ist leicht ein IPA zu machen, aber untergäriges Bier ist schwierig. Da arbeiten wir seit Jahren daran.

Flatscher: Ich glaube nicht, dass man 30-60 verschiedene Crafts braucht. Ich komme mit Brauwerk 1-3 aus (Anm.: Die Craft Beer-Linie der Ottakringer Brauerei). Ich glaube, dass das insgesamt wieder weniger werden wird. In der Gastronomie macht ein Riesen-Sortiment auch einen Riesen-Aufwand und der ist teuer. Was passiert mit den abgelaufenen Bieren? Ich brauche kein amerikanisches Bier in der Kaisertraße, ich setze auf Ottakringer, einen kürzeren Transportweg kann es nicht geben. Das ist auch gut für die CO2-Bilanz.

Bernatovic: Ich finde, dass eine gewisse Auswahl an Craft Bieren eine Bereicherung für die Getränkebegleitung darstellt. Wir bieten eine Bierbegleitung für Leute an, die keinen Wein mögen. Es kann aber auch eine Saft-Begleitung sein.

Flatscher: Bei mir ist das anders, da trinken die Leute vier Edelstoff (Anm.: Ein Lager-Bier der Münchner Augustiner-Brauerei) und bestellen sich dann was dazu.

Sigl: Es geht gar nicht um extreme Sortenvielfalt. Vier bis fünf Sorten würden reichen. Wir wollen den Hype nützen, um Menschen langfristig für Bier zu begeistern.

Trojan: Eine gewisse Auswahl ist wichtig, um die Tiefe eines Produkts abzubilden. Beim Bierbrauen gibt es so viele Stellräder, wo man auch viel falsch machen kann.

Flatscher: Menschen müssen im Job schon so viele Entscheidungen treffen! Im Lokal gilt: Less is more. Da bin ich lieber DJ und stelle eine Compilation zusammen.

Allgemeine Zustimmung: Es geht um Kuratieren. Ein guter Restaurateur ist ein Kurator.

Round Table im Kussmaul © FalstaffRound Table im Kussmaul © Falstaff

Bernatovic: Bei uns steht nur »Bier« auf der Karte. Wir machen keinen Unterschied ob Craft Beer oder »normales« Bier, wichtig ist, dass es gut ist.

Trojan: Bei der großen Vielfalt, die derzeit am Markt verfügbar ist, wächst die Sehnsucht nach einem einfachen Bier. Ein gut gezapftes Krügerl beim Zeltfest kann herrlich schmecken!

Sigl: Das IPA-Thema (Anm.: India Pale Ale, Bier mit hohem Alkohol- und Hopfengehalt) sehe ich bei uns nicht. Wir setzen auf das Thema Pils mit viel Geschmack und wenig Alkohol. Wir haben jetzt die Chance bekommen, unsere Kreativität auszuleben.

Trojan: Alles was nicht hell war und nach was geschmeckt hat galt in den 90ern als fehlerhaft. Ich habe mir aber immer gedacht: »Schremser darf gar nicht jedem schmecken, weil sonst ist es langweilig.«

Bernatovic: Ich hab mir bei unserem Gusswerk-Bier auch gedacht, dass es vielleicht zu dunkel für Wien sein könnte. Es wird aber sehr gut angenommen.

Flatscher: A la longue entscheidet der Markt, wie viel Craft Bier bleiben wird.

Sigl: Die Nachfrage hängt aber auch von der Aufklärungsarbeit ab. Wir leisten gerade intensive Aufbauarbeit und man spürt, dass die Menschen das annehmen. Das geht nicht gegen die Wein-Industrie. Wir imitieren die Weinszene nicht, beim Craft Beer Festival kann man sehen, dass das eine ganz eigene Bewegung ist, die Menschen sind viel erdiger.

Flatscher: Haben die österreichsichen Brauer jetzt Marketing gelernt?

Allgemein: Marketing wurde schon immer betrieben, aber jetzt ist der Inhalt der Bierflaschen wichtiger als das Rundherum.

Moderation: Für wen werden Craft Biere gemacht? Sind es wissende Genießer, die sich intensiv mit der Materie auseinandersetzen?

Trojan: Nein, Bier muss emotional funktionieren. Beim Bier kann es auch um Freude an der Haptik von großen Gläsern wie einer Maß gehen.

Flatscher: Wofür brauch ich bitte ein alkoholfreies Weißbier mit Maracuja-Geschmack? Ich trete gegen die »Everything goes«-Gesellschaft auf. Mir gefällt das, wenn Mario (Anm.: Bernatovic) sagt, dass es bei ihm halt kein veganes Menü gibt.

Trojan: Wenns nach mir ginge, ich würde nur Starkbiere brauen.

Sigl: Bei mir gar nicht! Ich mag leicht und fruchtig. Der Markt ist wilder, bunter und durchgewirbelter, davon können wir alle profitieren.

Ein schönes Schlusswort vom Besitzer der Trumer Privatbrauerei. Trotz mancher unterschiedlicher Standpunkte waren sich die Bierexperten einig, dass das Thema Craft Beer eine Chance für die gesamte Branche darstellt. Die Bier-Konsumenten nehmen innovative Kreationen dankbar an, auch wenn keine überbordende Vielfalt erwartet wird. Bei einem sind sich alle einig: Egal ob es Craft Beer oder nur Bier heißt – schmecken muss es.

Die neun Culturbrauer © Christoph Kerschbaum

Hintergrund Culturbrauer
Karl Trojan und Josef Sigl sind mit ihren Brauereien Schremser und Trumer Mitglied der Vereinigung der Culturbrauer. Dabei handelt es sich um mittelständische, regional verankerte private Unternehmer, die sich zusammengefunden haben, um die österreichische Bierkultur zu fördern, die individuelle Vielfalt österreichischer Biere weiter zu entwickeln und das Wissen über das Handwerk des Bierbrauens an Feinschmecker weiterzugeben. Die Culturbrauer sehen sich als Botschafter österreichischer Bierkultur, die gegen globalisierten Einheitsgeschmack auftreten. Mit einer kürzlich lancierten Box mit neun Bieren haben sich die Brauer intensiv mit dem Thema Craft Beer auseinander gesetzt. (Falstaff hat berichtet).

www.culturbrauer.at

(von Bernhard Degen)

Vielen Dank an alle Teilnehmer des Round Table-Gesprächs, insbesondere an den umsichtigen Gastgeber Mario Bernatovic, der die Runde mit Schmankerl aus der Kussmaul-Küche versorgt hat.

Kussmaul
Spittelberggasse 12
1070 Wien
www.kussmaul.at

Bernhard Degen
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