Grosse Gewächse 2010: Besser als erwartet

Die Pfalz machte das Rennen bei den Grossen Gewächsen des gemeinhin als schwierig eingeschätzten Jahrgangs 2010. Aber auch die Mosel darf sich zu den Gewinnern rechnen.

Der Jahrgang 2010 präsentierte sich insgesamt überraschend gut, viel besser jedenfalls, als mancher dies befürchtet hatte. Die prägnanten, hohen Säurewerte verleihen den Weinen einen klaren Jahrgangscharakter – zumindest dann, wenn die Winzer nicht entsäuert haben, sondern die Säure entweder beließen oder auf einen biologischen Säureabbau setzten. Für deutsche Rieslingproduzenten stellt dieser natürlich ein unkalkulierbares Risiko dar, denn Malo ist in Deutschland ver­pönt, die wenigsten Weißweinwinzer haben damit ausreichend praktische Erfahrung. Viele versuchten einen burgundischen Ausbaustil mit langer Lagerung auf der Feinhefe, teilweise auch mit Battonage und einer späten Füllung im Juli oder August. Das bekam den Weinen im Prinzip gut, stellt aber den Zeitpunkt der Verkostung infrage. Füllkranke Weine – und davon gab es in Wiesbaden einige – kann man zwar verkosten, aber wie soll man sie bewerten?

Premier oder Grand Cru?
Dann ist da die Frage der Anbaugebiete, der Appellationen und Lagen. Sind diese unabhängig vom Jahrgang nun Grand-Cru-tauglich oder nicht? Das ist ein heißes Eisen, das auch im VDP intern heftig diskutiert wird. Hinter verschlossenen Türen arbeitet man an einer längst überfälligen Revision des bisher geltenden Verzeichnisses für Grosse und Erste Gewächse beziehungsweise der Ersten Lagen. Man darf gespannt sein, ob die Vereinigung die Kraft für eine strengere Lösung findet. Der Jahrgang 2010 könnte eine gute Hilfestellung dafür sein, denn er trennt recht eindeutig die Spreu vom Weizen. Vieles, was heute als Ers­tes oder Grosses Gewächs geführt wird, wäre in einem zweistufigen System dann eher ein Pre­mier als ein Grand Cru. Schätzungsweise trifft dies auf gut die Hälfte, wenn nicht sogar zwei Drittel der klassifizierten Lagen zu.

Jede Region hat ihren Star
In Bordeaux würde man 2010 als einen Jahrgang der Grands Terroirs bezeichnen, also der besten Lagen und der besten Winzer. Nehmen wir Baden, da hat es allein Joachim Heger mit seinem Winklerberg geschafft, einen Wein zu kreieren, der ein unverwechselbares Terroir widerspiegelt, die Grundvoraussetzung für einen Grand Cru. In Württemberg sind es seine Kollegen Schnaitmann (Lämmler, Götzenberg) und Aldinger (Gips). Mehr ist 2010 in diesem Teil des deutschen Südwestens nicht zu sehen.  

Auch im Rheingau und am Mittelrhein stehen die meisten GG auf allzu tönernen Füßen. Es handelt sich fast durch die Bank um keine Denkmäler deutscher Weinmacherkunst, sondern gute bis sehr gute Konsumweine, eine Art Gutsriesling Supérieur. Auch hier sind es einige große Winzer und einige wenige herausragende Lagen wie die »Brunnenlagen« Nussbrunnen, Wisselbrunnen und Marco­brunn, aber auch der Schlossberg in Rüdesheim, der Pfaffenberg in Hattenheim und der Weil’sche Gräfenberg, die überzeugen. Herausragend ist vor allem das Weingut Künstler in Hochheim mit einer wirklich faszinierenden Kollektion, im Rheingau in diesem Jahr wohl die beste.

Franken schwimmt ähnlich wie die Re­gion Nahe und Rheinhessen im guten Mittelfeld dahin – mit vielen anständigen, aber nur wenigen herausragenden Weinen. Die Würzburger Stein-Lagen zeigten ihren unverwechselbaren Charakter, den Winzern Horst Sauer und Paul Fürst gelangen im Escherndorfer Lump und im Centgrafenberg zwei großartige Weine. Das Schlossgut Diel spielt mit einer makellosen Kollektion an der Nahe eine ähnlich dominierende Rolle wie Künstler im Rheingau. In Rheinhessen überzeugten Wittmann mit einer starken Kollektion und Gunderloch mit dem Rothenberg.

Mosel und Pfalz führen den Reigen an
Zu den interessantesten Gebieten gehören im Jahrgang 2010 die Mosel und die Pfalz, sie sind sozusagen die Gewinner. Dabei macht es einem die Mosel nicht einfach, denn hier wurden zwei grundverschiedene Weintypen gezeigt: zum ­einen Grosse Gewächse aus Ersten Lagen, die den gesetzlichen und verbandsinternen Vorgaben für trockene Weine entsprechen, zum anderen solche, die zwar aus Ersten Lagen stammen, aber wegen eines zu hohen Restzuckergehalts nicht als Grosse Gewächse bezeichnet werden dürfen. An der Mosel zeigte das Weingut Van Volxem mit einem erstklassigen Jahrgang 2010 auf.

Die Krone des Jahrgangs für die beste Re­gion geht jedoch in die Pfalz. Dort machen ­einige Winzer und Weinberge mit aller Macht deutlich, was Grand Cru in Deutschland für Riesling bedeuten kann, allen voran die drei Forster Lagen Pechstein, Kirchenstück und Ungeheuer und als Erzeuger vor allem die drei »großen B« (Bassermann, Buhl, Bürklin-Wolf) und von Winning. Niemand – so scheint es – ist auf dem langen Marsch zum Grand Cru d’Allemagne so weit fortgeschritten wie die Pfälzer Rieslingerzeuger.

Die Rieslinge 2010 in der Kategorie Grosses Gewächs boten zwar insgesamt das erwartete durchwachsene Bild, aber an der Spitze findet man reichlich erstklassige Weine. Das Jahr wird aufgrund der Säurestruktur Geduld von den Verbrauchern fordern. À la longue wird 2010 aber als unverwechselbar und vielleicht auch ­unterschätzt in die Annalen eingehen.

Den vollständigen Artikel mit weiteren Top-Weingütern, Einblicken in das Verkostungsszenario sowie Erklärungen zu den VDP-Statuten lesen Sie im Falstaff 07/11.

> Zu den Verkostungsnotizen

Text: Mario Scheuermann
aus Falstaff 07/11

Mario Scheuermann
Autor