Gourmet im Schnee - das große Falstaff-Winterspecial

So fing es an mit Champagner auf dem Berg und Trüffel im Tal - eine kleine Geschichte der Kulinarik im Schnee. Plus kulinarische Highlights: Dutzende Hütten- und Restauranttipps.

Wir schreiben Mitte der Sechziger. John F. Kennedy sagt vor dem Brandenburger Tor: »Ich bin ein Berliner«, die Hippies propagieren Flower-Power, die Rolling Stones geben den Takt vor, der bemannte Mondflug kommt in Reichweite. Und vier Herren machen sich auf, den Wintertourismus in den Alpen neu zu erfinden.

Damals war noch alles anders
Skifahren hatte in dieser Epoche noch etwas Archaisches. Die schweren Holzbügel der Schlepplifte rissen die Pistensportler in beängstigendem Tempo bergwärts. Auf den harten Sitzen der Sessellifte fror man sich im schneidenden Bergwind die Hänge hinauf. Die Gondeln der Seilbahnen erinnerten an Biwakschachteln. Die Verpflegung zu Berg und zu Tal war noch dem Mengendenken der Nachkriegsära verhaftet. In den Hütten gab es derbe Älplerkost, in den Hotels im Tal einfallsloses Essen. Die Erbswurstsuppe war das Maß aller Dinge. Und die Weinauswahl bestand aus »Weiß« und »Rot«. Ende.

Vision eines Skitourismus neuer Art
Das kann nicht alles sein, dachten sich – voneinander unabhängig – ein Schweizer, ein Österreicher, ein Italiener und ein Franzose. Sie hatten solide Ausbildungen in Hotelfachschulen und Grandhotels absolviert. Vor allem aber hatten sie, was damals noch nicht viele hatten: Fantasie und Gespür, und zwar grenzenlos. Die Vision eines Skitourismus neuer Art, der seinen Gästen mehr bietet als Limo und Bratwurst, Bier und Speck, Schnaps und Käse, beseelte die vier bei ihrer kulinarischen Aufbauarbeit.

Hartly Mathis und St. Moritz

Hartly Mathis legte 1967 den Grundstein zur noch immer ex­tremsten Skihütte der Welt. Der damals vierzigjährige Engadiner war Küchenchef im mondänen »Suvretta House« in St. Moritz, und er hatte gelernt, was die wohlhabende Gästeschar wünschte. Der Schah von Persien war Stammgast von Mathis, der Geldadel ging im Palasthotel am Sonnenhang ein und aus. Damals gab es in St. Moritz im Tal zwar schon recht viel, auf dem Berg aber nichts.
Das »Le Marmite« auf der Corviglia
Das »Le Marmite«

Als die Bergbahnen auf der Corviglia ein Lokal planten, bewarb sich Mathis. Der Betrieb eines Selbstbedienungsrestaurants für 240 Gäste und einer kleinen Cafeteria war Vertragsbasis. Mathis bekam den Zuschlag und verschwieg seine wirklichen Pläne. Denn neben Schnellverpflegung hatte er stets mehr im Sinn. Nach ein paar guten Saisonen wagte er den großen Schritt und sperrte ein À-la-carte-Restaurant auf. Das »Le Marmite« war geboren, und die Corviglia wurde zum Schrittmacher der Berggastronomie.

Reto Mathis mit TrüffelnKaviar, Hummer und Trüffel in der Skihütte
»Der macht es nicht lange da oben«, meinte man an den Stammtischen von St. Moritz zu wissen. »Gänseleber, Räucherlachs, Trüffeln – das wird auf dem Berg nicht gegessen.«
Man hatte insofern recht, als nicht nur das gegessen wurde. Rasch kamen Hummer und Kaviar dazu, beste iranische Ware wurde in den 1,8-Kilo-Originaldosen säckeweise per Standseilbahn auf den Berg gebracht. Der Schah samt Farah Diba, Ivan Rebroff und Rock Hudson löffelten ihn hier oben besonders gern. Champagner mutierte rasch zum Standardgetränk auf 2486 Metern über dem Meer, der Slogan vom »Champagnerklima« als Synonym für die statistischen 322 Sonnentage von St. Moritz entstand in dieser Ära. Und nachdem der Champagner-Clan Krug eine Statistik auf den Tisch bekommen hatte, die ein entlegenes Skilokal als größten Verbraucher der Schweiz auswies, reiste man auf den Berg und sah sich das Sprudelwunder persönlich an.

Hartly Mathis mit Sohn RetoReto Mathis und der höchste Yachtclub der Welt
1994 ging Hartly Mathis in Pension, sein Sohn Reto übernahm das Steuer. Heute umfasst der Betrieb Mathis Food Affairs acht Lokale unter einem Dach, und Reto erwies sich wie sein Vater als Marketinggenie. Seit er ein Zehn-Meter-Boot auf den Berg hieven ließ, residiert hier der höchstgelegene Yachtclub der Welt. Wer sich des Köpfens einer Champagnerflasche mit dem Säbel als kundig erweist, erhält das »Corviglia-Säbeldiplom«. Zudem gründete Reto Mathis vor 18 Jahren das »St. Moritz Gourmet Festival«, bei dem sich jährlich Ende Januar internationale Köche als Gastbrutzler betätigen.

Herz der Corviglia ist die Küche. Viele Klassiker der Anfangsjahre werden noch immer täglich aufgetragen wie das »Carrousel«, eine Art kalte Platte de luxe mit Gänseleber, Lachs und Hummersalat-Caprese. Der »Corviglia-Schnee« aus abgepressten Kartoffeln, Butter, Sauerrahm und Kaviar ist sogar bei Käfer in München in Kopie erhältlich.

Die »Hospiz Alm« der Familie WernerAdi Werner und das »Hospiz«
Schon drei Jahre vor Hartly Mathis stieg der Österreicher Adolf »Adi« Werner auf den Berg und blieb. 1964 übernahm der Salzburger von seinem Schwiegervater das »Hospiz Hotel« in St. Chris­toph. Das eben nach einem Brand wiederaufgebaute Haus war das erste Luxushotel auf dem Arlberg. Ursprünglich stand hier eine 1386 errichtete Notunterkunft für jene, die in Schneestürmen und Unwettern den Arlberg zu überqueren trachteten. Gründer Heinrich Findelkind hätte sich nicht träumen lassen, dass hier 600 Jahre später die Königin der Niederlande, Prinzessinnen aus Monaco und russische Präsidenten den Winter als Vergnügen zelebrieren würden.

Die Bruderschaft St. Christoph
Die historische Hospiz-Idee war auch der Grundstein für die Bruderschaft St. Chris­toph, einen karitativen Verein mit Sitz in der »Hospiz Kapelle«. Waren es 1964 126 Mitglieder, so brachte es der nimmermüde Adi Werner auf heute 18.300 weltweit.
Alle »Schwestern und Brüder« sind per Du, selbst gekrönte Häupter fallen unter das Regulativ. Die Bruderschaft entpuppte sich gleichzeitig als geniale Marketingidee, sie knüpfte lebenslange Bande an das Hospiz, man kam von weit her – und das immer wieder.

Der bestbestückte Weinkeller der Alpen
War es anderswo das Essen, so war es bei Adi Werner vorrangig der Wein, der den einzigartigen Ruf dieser Bergunterkunft begründete. Nachdem der Milliardär Karl-Friedrich Flick den noch unkundigen Patron auf Bordeaux gebracht hatte, trug Werner im Lauf der Zeit den bestbestückten Weinkeller der Alpen zusammen.
Adi Werners bestbestückter Weinkeller der Alpen
Unverwechselbar wurden das »Hospiz« und die – 1988 um damals unfassbare 56 Millionen Schilling erbaute – Luxusskihütte »Hospiz Alm« durch den Bestand an heute 5000 Großflaschen. Seinerzeit hielten die Rotweinbarone im Bordeaux den jungen Mann aus den Bergen für verrückt und verweigerten die Lieferung. Doch er blieb beharrlich. Heute liefern alle Spitzenhäuser ihre Jeroboams, Imperiales und noch größere ­Giganten mit Vergnügen auf diesen und auf andere schöne Berge. Erfunden hat den Bergweinkult Adi Werner, der weiterhin über den Keller wacht, während sein Sohn Florian heute Hotel und die seit eh und je hochdekorierte Gastronomie führt.

von Alexander Bachl

Den ganzen Artikel mit den Beiträgen zu den beiden anderen Visionären Ernesto Costa und Pierre Carrier lesen Sie in Falstaff 08/10.

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Alexander Bachl
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