Das »Steirereck« in Wien sorgt mit guter Akkustik und Licht für Wohlfühlambiente.

Das »Steirereck« in Wien sorgt mit guter Akkustik und Licht für Wohlfühlambiente.
© pierer.net

Good Vibes: Das Wohlfühlambiente im Restaurant

Die Atmosphäre eines Lokals ist schwer zu fassen – sie wird von banalen Dingen bestimmt, die Gäste oft gar nicht bewusst im Visier haben.

In ein Stammlokal zu gehen ist wie heimkommen. Man weiß, was einen erwartet und freut sich darauf. Wohlfühlerlebnis garantiert: Das Essen wird wieder fantastisch schmecken, die Kellner werden unaufdringlich und doch aufmerksam sein, und überhaupt wird es gemütlich wie im eigenen Wohnzimmer werden. 
Was ein bestimmtes Restaurant zum Lieblingslokal macht, hängt von individuellen Faktoren ab – dem einen kann es nicht schick genug sein, der andere mag es lieber rustikal; der eine schätzt die Inszenierung, der andere möchte in Ruhe gelassen werden, um zu genießen, was auf seinem Teller liegt. Trotzdem gibt es einen verbindenden Punkt: Jeder wird zustimmen, dass eine gute Atmosphäre wesentlich ist, damit man sich wohlfühlt und alles irgendwie stimmig ist. Aber was ist damit konkret gemeint? »Ein Großteil spielt sich auf unbewusster Ebene ab«, sagt der Wohnpsychologe Harald Deinsberger-Deinsweger, der sowohl Privatpersonen als auch Firmen in Sachen Wohnpsychologie berät.
»Erst wenn uns etwas stört, sei es Lärm oder ein nerviger Nachbar, können wir es benennen. Warum wir uns wohlfühlen, ist viel schwieriger zu erklären.« Dabei gibt es durchaus Faktoren, um das
Verhalten seiner Gäste indirekt zu steuern. »Es gilt die Regel: Je heller das Licht, desto lauter die Gäste«, erklärt Deinsberger-Deinsweger, der auch Mitbegründer des Instituts für Wohn- und Architekturpsychologie ist. »Bei gedimmtem Licht wird man automatisch ruhiger und unterhält sich leiser.« Auch die Verweildauer lässt sich beeinflussen. »In Fast-Food-Restaurants ist das Licht meist sehr hell und gleichmäßig, das ist aktivierend, die Gäste gehen schneller wieder.« Schallharte Oberflächen erzeugen Lärm, der subjektiv als höher empfunden wird, als er eigentlich ist, erklärt der Wohnexperte. 

Stylishe Elemente und freundliches Licht – im Restaurant »Genusswerk«, einer ehemaligen Kantine in Graz, fühlt man sich sofort wohl.
Foto beigestellt
Stylishe Elemente und freundliches Licht – im Restaurant »Genusswerk«, einer ehemaligen Kantine in Graz, fühlt man sich sofort wohl.

Eine gute Akustik ist deshalb gerade für Restaurants, in denen man sich wohlfühlen soll, extrem wichtig. Waren früher viele Restaurants mit schweren Vorhängen und Teppichen ausgestattet, sorgt der aktuelle Hang zum Minimalismus für akustische Herausforderungen, um den sogenannten »Bahnhofshall« zu vermeiden. Meist wird ohnehin schon bei der Planung ein Akustikbüro miteinbezogen, das eine Schalldecke oder einen entsprechenden Putz anbringt. So gehen Minimalismus und eine gewisse Gemütlichkeit trotzdem Hand in Hand. 
Vieles, was in der Gastronomie früher als nebensächlich galt, rückt plötzlich ins Zentrum. So war es in den letzten Jahren zum Beispiel angesagt, dass Gäste direkt in die Küche sehen konnten, was ein authentischeres Ess­erlebnis garantieren sollte. Allzu aufdringlich durfte es allerdings dabei nicht nach Küchendüften riechen, denn der Geruch ist für die Atmosphäre nicht unwichtig. Sauberkeit war schon immer ein Thema, relativ neu ist hingegen, dass Toiletten zu kleinen Wellness-Oasen mit Blumen und ausgefeiltem Duftkonzept mutieren. »Früher wurden die Toiletten ge­rade in Wien eher vernachlässigt«, bestätigt Interior-Designerin Martina Lang. »Dieser Trend setzt sich bei uns erst langsam durch.« 

Im »Steirereck« in Wien ­spüren die Gäste, wenn auch unbewusst, dass großer Wert auf die Akustik und das ­Ambiente gelegt wurde. 
Foto beigestellt
Im »Steirereck« in Wien ­spüren die Gäste, wenn auch unbewusst, dass großer Wert auf die Akustik und das ­Ambiente gelegt wurde. 

Lokale stehen heute mehr denn je unter dem Zwang, sich abzugrenzen und dem verwöhnten Kunden etwas Überraschendes zu bieten. Das Gesamtbild wird dabei immer wichtiger, jedes kleine Detail soll die eigene Identität widerspiegeln, von der Schrift der Speisekarte bis zur stylishen Einrichtung. Im Prinzip ist es keine schlechte Idee, eine einheit­liche Richtung vorzugeben und sich nicht nur um kulinarische, sondern auch um ästhetische Fragen zu kümmern. Aber mitunter wirken diese Inszenierungen bloß aufgesetzt. »Oft ist das nur schöner Schein, und nichts passt zusammen«, bestätigt Lang.
Viele neue Restaurants würden mittlerweile auf internationale Konzepte setzen, gerade da müsse man aufpassen, dass man trotzdem individuell rüberkomme. »Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Ein Lokal sollte authentisch sein. Und das geht nur, wenn die Gastgeber für eine bestimmte Qualität stehen.« Der schöne Schein allein füllt ein Restaurant nur kurzfristig, ansprechende Instagram-Fotos mögen zwar eine gute Werbung sein, aber wenn die schicken Sessel unbequem, die hippe Musik zu laut oder die bemühte Inszenierung nicht überzeugend ist, werden die Gäste auf Dauer ausbleiben. »Man kann nicht aus jedem Dorf einen Hund holen«, sagt Lang. »Ein Konzept muss stimmig sein. Wenn das Essen nicht passt, hilft die beste Inszenierung nichts.«
Das kann auch der Hamburger Stephan Ferenczy vom renommierten Wiener Architektenbüro BEHF bestätigen: »Zuerst gilt es, die Frage zu klären, wer und was ich bin. Das ist eine innere Haltung, die vielen Kundinnen und Kunden oft gar nicht bewusst ist.« Gute Architekten agieren seiner Meinung nach wie Ärzte oder Beziehungsberater: »Wir erleben oft, dass Restaurantbesitzer widersprüchliche Dinge wollen. Dann helfen wir ihnen dabei, ein schlüssiges Konzept zu entwickeln. Erst danach können wir beginnen, über Geschmack zu reden.«

Im »Blue Mustard« in Wien trifft Extravaganz auf Wohlfühl­ambiente. Besonders auf den Schallschutz hat das Szenelokal großen Wert gelegt.
© Benedikt Steinle
Im »Blue Mustard« in Wien trifft Extravaganz auf Wohlfühl­ambiente. Besonders auf den Schallschutz hat das Szenelokal großen Wert gelegt.

Gerade die Frage nach Trends ist für jeden Architekten eine Herausforderung: »Das ist ähnlich wie mit der Musik«, sagt Ferenczy. »Es ist schwierig zu entscheiden, ob das noch old fashioned oder schon wieder modern ist. Die Ästhetik der 1980er-Jahre und die Postmoderne sind gerade wieder in. Wir von BEHF finden es aber auch spannend, Trends voraus zu sein, etwas Eigenes zu wagen, obwohl man dann das Risiko eingeht, nicht verstanden zu werden.« Zu seiner Visitenkarte gehören gelungene Raumadaptionen wie das maritime »Motto am Fluss«, das reduzierte »Shiki« oder der noble Klassiker »Fabios«, wo die Kommunikation mit der Stadt im hellen Außenbereich und in gemütlichen, abgeschirmten Ecken als Rückzugsorten weiter hinten perfekt funktioniert. Gerade arbeitet man an einem Restaurantbereich für das »Hotel Triest« auf der Wiedner Hauptstraße. »Es ist spannend, mit dem bestehenden Design von Terence Conran umzugehen«, verrät Ferenczy. »Sich die Frage zu stellen, wie man die alte Eleganz erhalten kann, aber eine neue Freiheit reinbringt, die auch junge Leute anspricht.«
Stress ist Gift für jedes Lokal. Es mag ja hektisch hergehen in der Küche, aber die Stimmung nach außen sollte trotzdem aufmerksam und entspannt sein. Ein Restaurant, das sich den Ehrentitel Stammlokal verdient, muss verlässlich sein: Klar darf es minimale Unterschiede im Geschmack geben, jeder Koch hat seine Vorlieben, aber in der Qualität dürfen keine Kompromisse gemacht werden. Das Lieblingsgericht muss schmecken, wie es immer schmeckt. Viele Gäste mit Stammlokalbindung reagieren da ähnlich heikel, wie wenn bei Familienfesten plötzlich neue Rezepte ausprobiert werden. 

Mit der Renovierung seines Gasthauses schuf Josef Floh ­einen Ort der ­Gemütlichkeit in Langenlebarn.
© skarwan.com
Mit der Renovierung seines Gasthauses schuf Josef Floh ­einen Ort der ­Gemütlichkeit in Langenlebarn.

Mitunter nerven winzige Details. »Viele Tische sind überladen«, stellt Lang fest. »Leute wollen ihre Mobiltelefone auspacken, und dann ist vor lauter Blumen kein Platz mehr.« Es sind gerade kleine Dinge wie diese, die auf die Dauer die Zufriedenheit trüben. 
Schwierig sind auch Lokale, die sich zu viel vornehmen und jeden glücklich machen wollen. Die Speisekarte quillt über mit Gerichten von mehreren Kontinenten – besser ist da, es gibt ein überschaubares, aus frischen Produkten hergestelltes Essensangebot. »Ich beurteile ein Restaurant immer nach der Qualität des Brotes und des Kaffees. Sind beide gut, passt auch der Rest«, meinte der Hollywood-Schauspieler Burt Lancaster einmal und traf damit einen Punkt: Im Simplen zeigt sich die Qualität. Lokale, die viel Lärm mit Trüffel & Co machen, aber keinen Kaffee hinbekommen, haben wenig Vertrauen verdient.
Gerade in Restaurants, die es nicht jedem recht machen wollen, hat man das Gefühl, persönlich gemeint zu sein. Und das ist unbezahlbar. Gäste schätzen Restaurants, in die Herzblut investiert wurde, die sich nicht oberflächlich nach Trends richten, sondern ein stimmiges Konzept gefunden haben, das sich ohne aufgesetzte Inszenierung in jedem noch so winzigen Detail zeigt. Ideal ist natürlich, wenn wir als Besucher gar nicht wahrnehmen, wie aufwendig alles ist. Schließlich wollen wir uns ja entspannen und kulinarisch verwöhnen lassen. Zum Zauber eines Stammlokals gehört auch, dass man oft nicht konkret sagen kann, warum man sich hier so rundum wohlfühlt. 

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2018

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Karin Cerny
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