Herbststimmung über der Beaujolais-Spitzenlage Côte de Brouilly.

Herbststimmung über der Beaujolais-Spitzenlage Côte de Brouilly.
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Götterdämmerung im Beaujolais

Das Beaujolais steht vor einer Zeitenwende: Einst eine Quelle für harmlos fruchtigen Tischwein, besinnen sich die Winzer inzwischen auf die Terroir-Qualitäten der Weinberge. Und keltern Rote völlig neuer Identität: Weine mit der Sinnlichkeit eines Burgunders und der Mineralität eines Weins von der nördlichen Rhône.

Als sich der Vorhang hebt, steht eine Rebe aus Plastik auf der Bühne. Ihre mit ­speckig glänzenden Plastikblättern besetzten Ruten winken mechanisch hin und her, und eine piepsende Frauenstimme lockt: »Komm’ und lies’ mich! Meine Trauben sind reif.« Die Aufforderung gilt einem ebenfalls aus Kunststoff gefertigten Winzer, der lebensgroß und im Sonntagsstaat gewandet auf der anderen Seite der Bühne an einem Holztisch sitzt – und der unter wiegenden Bewegungen seines Kopfs zu einer Rede über die Mühen des Winzerberufs ansetzt, während die Ruten des Rebstocks reglos erstarren.

Der skurillen Aufführung kann man im »Hameau Georges Duboeuf« beiwohnen, einer Art Disneyland im Zeichen des Beaujolais, Kinder klatschen nach der Aufführung in die Hände, während die Eltern bestrebt sind, sich möglichst schnell an Erklärungen über Flaschenglas und Korken vorbei zur abschließenden Station des Parcours zu schieben: der Verkostung der Duboeuf-Weine in einem geräumigen Bistro.

Château Thivin: Für das ­Niederhalten der Zwischen­begrünung werden zuweilen vierbeinige Mitarbeiter in den Weinberg geschickt.
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Château Thivin: Für das ­Niederhalten der Zwischen­begrünung werden zuweilen vierbeinige Mitarbeiter in den Weinberg geschickt.

In den Weinbergen auf den nahezu 20.000 Hektar des Beaujolais geht es weitaus weniger idyllisch zu als auf der Bühne bei Duboeuf. Viele Betriebe stehen ökonomisch mit dem Rücken zur Wand, am reichlichen Herbizideinsatz lässt sich ablesen, dass die Winzer die notwendige Handarbeit zur Beseitigung von Unkraut und Gräsern nicht mehr bezahlen können. Auf den ersten Blick mögen die Weinpreise noch rentabel erscheinen: Mit 1,60 Euro pro Liter Beaujolais liegt der Fassweinpreis rund doppelt so hoch wie etwa bei Riesling aus Rheinhessen.

Doch die in der Region bevorzugte Gobelet-Erziehung macht jede Form der Mechanisierung unmöglich: Die Reben wachsen in kleinen Bäumchen ohne Halt an Stöcken oder Drahtrahmen. Das hilft ihnen dabei, auf den steinigen Böden bei Hitze und Trockenheit zu überleben. Weil der Gobelet prinzipiell der Weinqualität förderlich ist, war er bis 2004 in den zehn Gemeinden mit Cru-Status sogar vorgeschrieben. Doch inzwischen schaffen es selbst in Appellationen wie Morgon, Fleurie, Brouilly oder Moulin-à-Vent nur noch wenige Winzer, den Wert ihrer Crus auch in klingende Münze umzusetzen.

In Familienbetrieben wie auf ­Château Thivin von Claude Geoffray (r. aussen) packen alle mit an.
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In Familienbetrieben wie auf ­Château Thivin von Claude Geoffray (r. aussen) packen alle mit an.

Ein missverstandener Wein

Im Ortszentrum von Villié-Morgon hat sich Louis-Benoît Desvignes in einen Salon im ersten Stock des Winzergehöfts zurückgezogen. Zum Schutz gegen die brütende Sommerhitze hat er die Fensterläden geschlossen, und so findet die Verkostung im Halbdunkel statt. »Die Vielfalt der Stile hier im Beaujolais empfinde ich als einen Reichtum«, eröffnet der Mittdreißiger das Gespräch, und greift zum Korkenzieher. »Doch leider haben wir ein Problem: Der Beaujolais hat seine weltweite Bekanntheit mit seinem kleinsten Wein erlangt.« Vorsichtig und geräuschlos hebelt Desvignes den Korken aus seinem Morgon mit dem schönen Namen »Les Impénitents«, die Unverbesserlichen.

»Ich bin im Bewusstsein aufgewachsen, dass der Morgon ein reifebedürftiger Wein ist.« Desvignes gießt den in diesem Licht farblich kaum zu beurteilenden Wein ins Glas, doch aus dem Kelch steigt innerhalb kürzester Zeit ein betörender Duft von Kräutern und Gewürzen empor: Noten von Tabak und Garrigue, gemischt mit Aromen von Milchschokolade und roter Johannisbeere. »Jahrgang 2010«, präzisiert Desvignes. Was er mit dem »kleinsten Wein« meint, der weltweit fürs Beaujolais stehe, ist klar: In den 1980er-Jahren wurde fast die Hälfte der Beaujolais-Ernte innerhalb weniger Wochen nach der Lese als »Beaujolais Nouveau« verkauft.

Ein gigantischer Marketing-Coup, der den Winzern Turbo-Liquidität brachte. Um den Preis jedoch, dass heute nur noch Insider um die eigentlichen Tugenden guter Beaujolais-Weine wissen. Trinkfreude ist gesetzt, natürlich. Doch dem Beaujolais ist auch eine Fähigkeit zum Terroir-Ausdruck zu eigen – und eine Reifefähigkeit, die sich kaum von derjenigen guter Burgunder unterscheidet. »Vor zwei Jahren hat unser Vater für meine Schwester und mich einen 1961er aufgemacht, und der war ausgezeichnet«, sagt Desvignes. Seine aktuellen Weine geben keinen Grund, an dieser Aussage zu zweifeln.

Keller auf Château des Jacques: Das Handelshaus Jadot setzt beim Ausbau auf Burgunder-Piècen.
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Keller auf Château des Jacques: Das Handelshaus Jadot setzt beim Ausbau auf Burgunder-Piècen.

Die Mönche von Cluny

Am Ortsrand von Fleurie zieht ein von Efeu überwachsenes Herrenhaus den Blick auf sich. Mit Gräfin Alexandra de Vazeilles öffnet eine Beaujolais-Novizin die Türe zum alten Klosterbesitz. Die aus der Provence stammende Adlige gehört zu jenen mit weitem Horizont ausgestatteten Ankömmlingen – Thibault Liger-Belair aus Nuits-St-Georges ist der andere prominente –, die das Beaujolais einzig nach seinem Potenzial beurteilen und sich deswegen hier engagieren.

»Beaujolais Nouveau, das ist doch passé«, sagt die mit weiten und luftigen Gewändern bekleidete Önologin, und man möchte ihrem verschmitzten Gesichtsausdruck gerne glauben. Ihr Lebensweg zeigt, wie ernst es ihr mit dem Weinmachen ist: Schon als Jugendliche fühlte sie sich zu der Kultur des Essens und Trinkens hingezogen. Doch zunächst führte sie ihre Karriere in die Welt der Finanzen und ins Ausland.

Mit einem gut gefüllten Geldbeutel kam sie im bereits reiferen Lebensalter nach Frankreich zurück, um sich ihren Jugendtraum zu erfüllen, studierte Önologie, absolvierte ein ganzes Jahr lang ein Praktikum auf Château Latour, und erwarb schließlich im Frühjahr 2014 Château des Bachelards in Fleurie.

Warum gerade Fleurie? »Ich wollte unbedingt ein Weingut mit klösterlichem Ursprung. Die Mönche wussten schon im Mittelalter sehr genau, wo die besten Weinberge lagen.« Mit Bachelards landete die Comtesse schließlich einen Volltreffer: Um das Jahr 1000 gründeten Benediktiner aus Cluny die nahe gelegene Abtei von Arpayé – und legten im Lieu-dit »Les Bachelards« einen Weinberg an. Nach der Säkularisierung blieb das Weingut über 200 Jahre im Besitz derselben Familie, ehe de Vazeilles es übernahm.

Im 11. Jahrhundert von Benediktinern gegründet: Château des Bachelards in Fleurie.
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Im 11. Jahrhundert von Benediktinern gegründet: Château des Bachelards in Fleurie.

An diesem Sommerabend steht die Comtesse in den Rebzeilen der ummauerten Einzellage »Le Clos«, die direkt an das Château angrenzt, und spricht von der einzigartigen Atmosphäre dieses Weinbergs auf rosa Granit. Verkostet man de Vazeilles Erstling aus dem Jahrgang 2014, dann versteht man ihre Begeisterung. Doch die Gräfin ist auch unzufrieden, vor allem mit ihren Nachbarn: »Die Leute sind viel zu anspruchslos hier, sie begnügen sich mit minimalen Einkünften. Und weil ihre schlecht gepflegten Weinberge nur minderwertige Trauben hervorbringen, greifen sie dann zur Thermovinifikation.«

Die Maischeerwärmung nämlich, eine  Methode der technologiegläubigen Siebzigerjahre, ist noch immer weit verbreitet. Quasi zu Marmelade verkocht und schnell abgepresst, lassen sich Fäulnis und andere Defekte der Trauben kaschieren – so entsteht jener »typische«, simpel fruchtige Beaujolais ohne Extrakt und Tiefe. Um sich von all dem abzugrenzen, verzichtet de Vazeilles auf Maischeerwärmung ebenso wie auf Kohlensäure­maischung. Stattdessen unterzieht sie ihre Weine einer klassischen Maischegärung. Und geht sogar noch weiter: Gerade hat sie Syrah gepflanzt. »Wir liegen 80 Kilometer Luftlinie von der Côte-Rôtie entfernt, und haben ­geologisch denselben Granit.«

Im Beaujolais existieren zwölf Appellationen für Rotwein und dazu zwei für Weisswein und Rosé.
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Im Beaujolais existieren zwölf Appellationen für Rotwein und dazu zwei für Weisswein und Rosé.

Premier-Cru-würdige Lagen

In Odenas, in der südlichsten Cru-Appellation Brouilly, führt Claude Geoffray auf dem gepflegten Château Thivin zunächst an den Bildern seiner Ahnen vorbei in den Keller. Geoffrays Urgroßvater gehörte in den 1930er-Jahren zu den Begründern der AOC Côte de Brouilly, und er war ein ­Pionier der Gutsabfüllung. Nach dem Rundgang im Keller lädt der 63-Jährige zu einer Erkundungsfahrt in die Weinberge. Die Parzellen sind zahlreich, am Hang haben sie die für die Herkunft typischen schwarzen Diorit-Boden, am Hangfuß sind sie reicher. Eine Parzelle ganz oben am Hang trägt den historischen Namen La Chapelle – wie Hermitage La Chapelle? Eine andere an der Hangmitte heißt Griottes. Wie Griottes Chambertin? Geoffray ist ein viel zu bescheidener Mensch, um so etwas zu behaupten. Doch die Parallelen sind unbestreitbar. Klassifizierungswürdig sind diese Lagen allemal. Genau solches Potenzial brachte das Handelshaus Louis Jadot aus Beaune bereits Mitte der 1990er-Jahre ins Beaujolais. Im Château des Jacques entstehen seither Moulin-à-Vent-Lagenweine nach Burgundermanier: maischevergoren und in Piècen ausgebaut. Betriebsleiter Cyril Chirouze zieht einen 1996er »Carquelin« aus dem Lager und öffnet ihn: trüfflig, würzig, frisch, mollig, ein sinnlicher Hochgenuss.

Bei der Ausfahrt aus dem Château kreuzt das Touristenbähnchen den Weg, bimmelnd und mit einer Schar von Passagieren unterwegs zum Hameau Georges Duboeuf: Die Show mit den Plastikreben wird weitergehen, eine Zeitlang. Doch die Wachablösung für die Zeit nach dem Untergang dieser Scheinwelt, sie steht schon lange bereit.

Lese am Fuss der Côte de Brouilly: Ohne Hand­arbeit geht hier nichts.
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Lese am Fuss der Côte de Brouilly: Ohne Hand­arbeit geht hier nichts.

Facts: Beaujolais Nouveau

Der Brauch, die Ankunft des neuen Weins am dritten Donnerstag des November zu zelebrieren, entstand Anfang der 1960er-Jahre in Pariser In-Bistros. In den 1980er-Jahren erlebte der Hype seinen Höhepunkt, als fast die Hälfte der Jahresproduktion des Gebiets als »Beaujolais Nouveau« über die Ladentische ging. Seither hat sich die Mode deutlich abgekühlt. Heute werden »nur« noch rund zehn Millionen Flaschen Primeurwein abgesetzt, rund die Hälfte davon in Japan. Wegen der extrem kurzen Zeitspanne zwischen Lese und Abfüllung sind Vinifikation und Stabilisierung problematisch. Was jedoch zählt, ist der Reiz des Neuen.  In ausgewählten Hotspots wird die Ankunft des neuen Beaujolais nach wie vor gefeiert – etwa in Berlins Galeries Lafayette, wo im vergangenen Jahr rund tausend Flaschen abgesetzt wurden – die Hälfte davon in den ersten drei Tagen.

Aus Falstaff Magazin Nr. 07/2016

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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