Glänzende Entwicklung für trübes Bier

Wenn alle Biere glanzfein filtriert sind, ist die Trübung von Zwicklbieren ein gutes Differenzierungsmerkmal. Konnte man Zwickl früher nur aus dem Lagerfass trinken, so gibt es immer mehr naturtrübes Bier in Flaschen.

Ein Braumeister des 19. Jahrhunderts, der eines der heute so beliebten Zwicklbiere probieren sollte, würde das Bier wohl entrüstet zurückschicken: Genau so, wie wir heute Zwicklbier kennen, sollte nämlich eine Zwicklprobe vor 150 Jahren eben nicht ausfallen: trüb, hefig, vollmundig. Damals, bis in die 1870er-Jahre, war so ziemlich genau das Gegenteil gefragt: Wenn ein Braumeister eine Zwicklprobe zog, so sollte ein möglichst blankes Bier herauskommen, schön geklärt und frei von Schwebstoffen. Das war es, was man sich unter einem »gepflegten Bier« vorstellte.

Um den Wandel der Vorstellungen über Zwicklbier zu verstehen, muss man sich ein wenig in die Geschichte der Gärung vertiefen. Hier markieren die 1840er-Jahre einen signifikanten Wandel: Damals entstanden die ersten Großbrauereien modernen Zuschnitts. Damals wurde die Malzproduktion industrialisiert: Gut belüftete Mälzereien produzierten hellere Malze, groß­technisch (wenn auch zunächst noch mit Natureis) gekühlte Gär- und Lagerkeller lieferten standardisierbare Lagerbiere. Und, was gar nicht hoch genug für die stürmische Entwicklung des Braugewerbes zur Industrie eingeschätzt werden kann: Genau zu jener Zeit wurde auch die Glasindustrie modernisiert. Ziemlich plötzlich wurden alle Gaststätten mit billigen Bier­gläsern versorgt.

Nun konnten Biertrinker sehen, was sie im Glas hatten: Anders als bei den vorher üblichen Tonkrügen zählte nun auch die Optik. Es ist kein Zufall, dass zwischen 1830 und 1860 helle Biere (ob das englische Pale Ale oder das böhmische Pilsner)
ihren Siegeszug antraten – Biermarketing hieß zu jener Zeit einfach: helles Bier liefern. Und dieses Bier galt als umso feiner und wertvoller, je klarer es war. Und haltbarer war es auch.

Also setzten die Braumeister alles daran, die Biere natürlich zu klären: Bevor Lorenz Adalbert Enzinger 1878 den ersten brauchbaren Bierfilter auf den Markt brachte, erfolgte die Klärung des Bieres durch lange, möglichst kalte Lagerung. Dabei setzte sich die Hefe im Lagerfass ab. Um nun feststellen zu können, ob das Bier wunschgemäß geklärt war, bohrte man das hölzerne Fass an – »einen Hund schießen« hieß das in der Brauersprache. Nachdem man einen Krug mit dem zu prüfenden Bier gefüllt hatte, zwickte man einen passenden Holzstab in das Bohrloch. So kam das »Zwickl« zu seiner Bezeichnung.

Ein Jahrhundert lang waren es allenfalls die Brauer, die hefetrübes, noch nicht völlig durchgegorenes Bier aus den Lagerfässern (später aus den Lagertanks) für den Eigengebrauch zwickelten – der Konsument bekam trübes Bier nicht zu Gesicht.

Es war Karl Schwarz senior von der Zwettler Brauerei, der 1984 das Potenzial von trüben Bieren erkannte: Sie haben aufgrund des Hefegehalts mehr Vitamine, auch tragen Eiweiße zur Vollmundigkeit bei. Die Schwebstoffe verstärken den Charakter eines Bieres in jene Richtung, die dominiert: Ein Zwickl-Pils ist einen Hauch herber als das filtrierte Bier aus demselben Tank, ein Zwickl-Bock vollmundiger als der filtrierte Bock.

Die Trübung sieht, wenn sie hübsch gleichmäßig ist, gut aus: Der Konsument liebt, was rar ist – waren einst glanzfeine Biere die gesuchte Rarität, so sind es heute die naturtrüben Spezialitäten.

DIE BEWERTUNGEN

Schwechater Zwickl / Foto: beigestellt
97 Punkte

Schwechater Zwickl
Brauerei Schwechat
Braumeister: Andreas Urban
Alkohol: 5,4 % ABV
Bierstil: unfiltriertes Lagerbier

Milchig weiße dichte Trübung im hellgoldgelben Bier und fester reinweißer Schaum. Die Nase erinnert an sehr frischen Grasschnitt und grünen Hopfen, ein wenig auch an Vanille. Kräftig ­herber, pfefferartiger Antrunk, sattes, weiches Mundgefühl, beinahe cremig. Der sanfte Trunk balanciert die aus­geprägte, kräuterartige Bittere, der Nachtrunk ist mild und trocken, die Hopfenaromen klingen lange nach. 
www.schwechater.at

Zwettler Zwickl / Foto: beigestellt94 Punkte
Zwettler Zwickl
Brauerei Karl Schwarz, Zwettl
Braumeister: Heinz Wasner
Alkohol: 5,5 % ABV
Bierstil: unfiltriertes Lagerbier

Hellgelb mit sehr intensiver, opalisierender Trübung. In der Nase spürt man Hefe und Kuchengewürze. Spritziger Antrunk, der die hopfenherben Töne rasch an den Obergaumen bringt. Sehr angenehme, unaufdringliche Bittere, die gut balanciert ist – das Malz gibt dem Bier Körper und einen insgesamt weichen Charakter, ohne Süße ein­zubringen. Kurzer, trocken-herber Nachtrunk. www.zwettler.at

Ketterer Zwickel Pils / Foto: beigestellt93 Punkte
Zwickel Pils
Brauerei Ketterer, Hornberg
Braumeister: Klaus Vogt
Alkohol: 4,9 % ABV
Stil: unfiltriertes German Style Pils

Extrem helles Strohgelb mit feiner ­Trübung und perfektem Schaum. Deutliche Hefenase, ein Hauch von frischem Nadelholz – offenbar vom Hopfen. Herber, kräftig bitterer Antrunk, beinahe adstringierend – sehr pilstypisch. Die Bittere wird von der Hefetrübung offenbar unterstützt. Kaum Malzsüße, sondern ein weicher, milder Trunk, der die Bittere balanciert, ehe sie im Nachtrunk wieder die Oberhand gewinnt.
www.kettererbier.de

Kübelbier / Foto: beigestellt

92 Punkte
Kübelbier
Brauerei Hofstetten, St. Martin
Braumeister: Peter Krammer
Alkohol: 5,3 % ABV
Bierstil: unfiltriertes Lagerbier

Goldgelb mit ungleichmäßigem Hefeschleier. Wenig, aber gut haltbarer Schaum. Malzig-süße, kuchenartige Aromen, gepaart mit zart fruchtigem Duft, der an Südfrüchte erinnert. Erfrischender Antrunk, schlanker Körper, dennoch stete Präsenz des Getreides – unterlegt mit wohldosierter, kräuterartiger Hopfenbittere, die durch den Eigengeschmack der Hefe unterstrichen wird. Pilsartig trockener Nachtrunk.
www.hofstettner.at


Raschhofer Zwickl / Foto: beigestellt

91 Punkte
Raschhofer Zwickl
Brauerei Raschhofer, Altheim
Braumeister: Johann Eder
Alkohol: 5,4 % ABV
Bierstil: unfiltriertes Lagerbier

Sehr helle Bernsteinfarbe mit gleichmäßiger Trübung und feinem reinweißem Schaum. Typische Hefenase, dahinter ein feiner harziger Hopfenton. Voller, sehr runder Antrunk mit einer Andeutung von Malzsüße. Viel Körper, der ein kräftiges Rückgrat aus Hopfen erhält. Die Bittere ist vornehm und sehr präsent, ohne sich dabei aufzudrängen. Im Nachtrunk hält sie lange an, ergibt schließlich einen trockenen Eindruck.
www.raschhoferbier.at


Ottakringer Zwickl / Foto: beigestellt90 Punkte

Ottakringer Zwickl
Ottakringer Brauerei, Wien
Braumeister: Tobias Frank
Alkohol: 5,2 % ABV
Bierstil: unfiltriertes Lagerbier

Dunkelgelbe Farbe mit gleichmäßiger satter Trübung und gutem Schaum. Subtile Aromen von Brotteig, frischem Gras, Vanille und Zitronenschale. Der Antrunk ist spritzig, das Mund­gefühl weich und mild. Insgesamt ein unerwartet schlankes, leicht ­trinkbares Bier mit wenig Malzsüße und sehr zurückhaltender Bittere. Im kurzen, sauberen Nachtrunk ­kommen schließlich leicht nussige Aromen zum Tragen.
www.ottakringer.at

HUbertus Bräu Zwickl / Foto: beigestellt

89 Punkte
Herrenpils-Zwickl 
Hubertus Bräu, Laa an der Thaya
Braumeister: Hermann Kühtreiber
Alkohol: 5,7 % ABV
Bierstil: unfiltriertes Bohemian Style Pils

Sattes Goldgelb mit leichter, nur angedeuteter Trübung und reinweißem Schaum. Kräuterartiges Aroma, ein wenig an Eibisch erinnernd. Sehr ­ausgeprägtes, feines Mousseux, das auch im Trunk die erfrischende Note unterstreicht und die Bittere deutlich hervortreten lässt. Voller, aber keineswegs süßer Körper. Retronasale ­Kräuternoten und ein lang anhaltender, kräuterartiger Nachtrunk.
www.hubertus.at

Gösser Zwickl alkoholfrei / Foto: beigestellt

87 Punkte
Gösser Naturgold
Brauerei Göss
Braumeister: Andreas Werner
Alkohol: 0,5 % ABV
Bierstil: unfiltriertes Lagerbier, alkoholfrei

Zarte Trübung in einem satt goldgelben Bier mit auffallend dichtem weißem Schaum. Aromen von Heu und Pinien, ein wenig auch von Biskuitteig. Der ­Antrunk ist voll und gerade noch nicht süß, die malzigen Komponenten dominieren den Trunk, unterlegt von einem zarten Prickeln, das die verhaltenen herben Noten, die von den Aromen ­versprochen werden, irgendwann doch zur Geltung bringt. 
www.goesser.at

von Conrad Seidl
aus Falstaff Nr. 02/2013

Conrad Seidl
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Von Redaktion