Eckart Witzigmann hat die österreichische Küche revolutinoiert und war einer der größten Lehrmeister im deutschsprachigen Raum.

Eckart Witzigmann hat die österreichische Küche revolutinoiert und war einer der größten Lehrmeister im deutschsprachigen Raum.
© Helge Kirchberger

Gerichte mit Geschichte – legendäre Rezepte und ihre Erfinder

Einige wenige Köche haben es geschafft, mit ihren Gerichten die gesamte Kochwelt zu verändern. Falstaff begibt sich auf Genussreise in die Vergangenheit.

Was haben Paul Bocuse, Eckart Witzigmann und  Joël Robuchon gemeinsam? Sie haben die Kochwelt mit ihren Gerichten verändert. Ihre Rezepte erzählen spannende Genussgeschichten. Und eines ist sicher: Mutig waren sie, kompromisslos in der Sache und in ihrem Bestreben, das Beste auf den Tisch zu bringen. Und sie waren ihrer Zeit weit voraus. So zum Beispiel Jean Baptiste Troisgros. Seine ungewöhnliche Verbindung von Seezungenfilets mit Banane und Zitronen könnte eine Erfindung der Nouvelle Cuisine sein. Diese Kreation stand aber schon 1935 auf der Karte des Restaurants »Troisgros«. Zu einer Zeit, in der Josephine Baker in Paris die Banane in Mode brachte. Trotz oder gerade wegen der gewagten Kombination war dieses Gericht sehr beliebt. Und manches Mal nimmt es Enkel Michel Troisgros noch auf seine Karte im Restaurant in Roanne, das seit 48 Jahren drei Michelin-Sterne hat.
Oder Frédy Girardet, auch einer der Jahrhundertköche, wenn auch ein sehr stiller, der in seinem Restaurant »Girardet« in Crissier bei Lausanne über Jahre hinweg als Amuse-Bouche ein kleines Stück warmen Zwiebelkuchen servierte. Jedes Mal, wenn er die Tarte durch etwas Neues ersetzen wollte, wünschten sich seine Stammgäste seine Tarte à l’oignon zurück. Sagt das nicht schon alles? Eckart Witzigmann hätte sich damals in der »Aubergine« (1979–1994) seine Erfindung »Das Beste vom ...« zu servieren, urheberrechtlich schützen lassen sollen. Er bezöge nun reichlich Honorar von vielen Kolleginnen und Kollegen. Im »Tantris« (1971–1978) war das Kalbsbries Rumohr ein »Signature Dish«, lange bevor dieser Begriff überhaupt in der Kochwelt Einzug hielt – und den der Jahrhundertkoch gar nicht mag. Er bevorzugt das Wort »Klassiker«.
Fotos von den Kochlegenden:

Kalbsbries Rumohr, Eckart Witzigmann

Der österreichische Spitzenkoch Eckart Witzigmann wurde 1976 vom legendären Gastrokritiker Wolfram Siebeck (1928–2016) nach einer Kreation gefragt, über die er berichten sollte. Witzigmann wusste, dass der Stammgast seines legendären Restaurants »Tantris« leidenschaftlich gerne Bries aß. Also ergänzte er es mit klassischen Produkten der französischen Küche: Gänseleber und Trüffel. Dazu komponierte er noch Lauch und eine Champagnersauce, die er ebenso mit Trüffel verfeinerte und mit etwas Gänseleber band. Schon am Papier klingt das nach einer gelungenen Kreation. Und tatsächlich, erinnert sich Eckart Witzigmann heute, »sind das drei, vier Komponenten, die hervorragend harmonieren. Dazu kam die Überlegung: Wie kann ich das Ganze bündeln, zusammenfassen? Und noch einen leichten österreichischen Touch reinbringen, als Hommage an meine Heimat? Ich habe alles in Strudelteig eingewickelt und gebacken. Heute kann man sagen, wir haben dieses Bries unter den Augen von Herrn Siebeck mit den anderen Komponenten vermählt. Und es ist sehr gut angekommen, er schrieb dann: ›Das war einer jener Geniestreiche, deretwegen die Gourmets zu einem bestimmten Küchenchef pilgern wie Heilsuchende nach Lourdes.‹«
Rezept: Eckart Witzigmanns Kalbsbries Rumohr

Foto beigestellt

Bekannt wurde Witzigmanns Gericht als »Kalbsbries Rumohr« – eine Hommage an Carl Friedrich von Rumohr. 1822 erschienen, eroberte dessen Buch »Geist der Kochkunst« schnell Köpfe und Küchen – er hatte damit ein Werk ge­­schaffen, mit dem das bewusste Nachdenken über Ernährung, Küche und Esskultur begann. Jahrhunderte später las Eckart Witzigmann das Buch, kreierte sein Kalbsbries und trug damit wesentlich zum Ruhm des Autors bei. Rumohrs Überlegungen wirken übrigens auch heute noch modern, etwa, wenn er für die Verwendung heimischer Produkte und für puristische Zubereitungsweisen plädiert. Das Produkt stand schon damals an erster Stelle.
Martin Klein, Executive Chef des »Ikarus«, interpretierte Witzigmanns Rezept folgendermaßen:
Rezept: Martin Kleins Interpretation des Klassikers

© Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7

Oysters and Pearls, Thomas Keller

Vor über zwanzig Jahren, im Jahr 1994, wurde »Oysters and Pearls« erstmals serviert – bis heute ist es Teil des Menüs im »The French Laundry« in Kalifornien und im »Per Se« in New York – Thomas Kellers legendäre Restaurants mit jeweils drei Michelin-Sternen.
Kein anderes Gericht ist so eng mit seinem Erfinder verbunden: »Oysters and Pearls« zeige Kellers »seltene Mischung aus amerikanischer Verspieltheit und rigoroser Raffinesse«, schwärmte etwa »New York Times«- Restaurantkritiker Pete Wells von der Kombination aus Tapioka-Perlen – kleine Stärkekügelchen aus Maniokwurzeln –, Sabayon, Austern und einer großzügigen Portion Osietra-Kaviar. Die warme Sauce, die mit Austernsaft gewürzt wird und an Hollandaise erinnert, ist der perfekte Kontrapunkt zum salzig-jodigen Kaviar und den kühlen Austern. Keller hatte die Idee, als er auf einer Packung Tapioka die Aufschrift »Perlen« las. Er habe sich gedacht: »Woher kommen Perlen? Aus Austern«, erzählte er »Forbes«. Im Eröffnungsjahr der »French Laundry« kreiert, ist es eines der einfacheren Gerichte des Restaurants mit der legendär aufwendigen Küche. Das Rezept findet sich auch in Kellers »French Laundry«-Kochbuch.
Rezept: Oysters and Pearls von Thomas Keller

© Deborah Jones

Huhn in der Blase, Fernand Point

Jahrzehnte bevor das Sous-vide-Garen die Restaurantküchen dieser Welt revolutionieren sollte, arbeitete Fer­nand Point, Vater der modernen französischen Küche, in den 1930ern mit einer ganz ähnlichen Technik in seinem legendären Restaurant »La Pyramide«. Er garte ganze Hühner in aufgeblasenen und dann zuge­knoteten Rinder- oder Schweineblasen bei niedrigen Temperaturen und unter dauerndem Begießen mit Suppe. Weil sich die Luft in der Blase erwärmt und der Dampf nicht entweichen kann, gart das Geflügel sanft im eigenen Saft. Anschließend wird es in der Blase serviert und erst bei Tisch aufgeschnitten, sodass der ganze Speisesaal den köstlichen Duft riechen kann. Das Ergebnis ist umwerfend gut – wahrscheinlich auch, weil in Points Rezept dem Huhn jede Menge Trüffelscheiben unter die Haut und Foie gras in den Bauch geschoben werden. Point selbst schreibt die Technik seinem Lehrer zu; er aber war es, der sie berühmt machte.

Foto beigestellt

Max Stiegl, Koch des Retaurant »Gut Purbach« und Falstaff-Sieger für das beste Restaurant im Burgenland 2016, interpretierte Fernand Points Klassiker folgendermaßen:
Huhn in der Blase nach Max Stiegl

Kürbissuppe, Paul Bocuse

Paul Bocuse ist eine französische Kochlegende. Keiner hat auf dem kulinarischem Sektor so viel bewegt wie er. Zwar wurde seine Trüffelsuppe, »La soupe aux truffes«, zu seinem berühmtesten Gericht, Bocuse hat aber auch eine Kürbissuppe erfunden – lange bevor die ganze Gourmetwelt den Kürbis entdeckte. Diese legendäre und damals re­­volutionäre Suppe, in einen Kürbis gefüllt, ist eine Liebeserklärung an die Einfachheit, allerdings auch an die Crème double. Das Rezept dafür wurde jahrelang vom Großmeister auf Neujahrsgrußkarten in alle Welt verschickt. Die damals recht ungewöhnliche Suppenkreation wurde auf diese Art weltberühmt. Und wie es die Regeln der Nouvelle Cuisine verlangten, konnte das Gericht einfacher kaum sein. Wahre Suppenfans kritisieren vielleicht die Konsistenz, die eher an eine dickliche Creme als an eine Suppe erinnert; aber der Geschmack, wie könnte es anders sein, ist perfekt und rund.

© Shutterstock

Falstaff-Blogger Julian Kutos hat ein Rezept kreiert, bei dem die Suppe im Brotlaib serviert wird:
Rezept: Julian Kutos Kürbiscremesuppe im Brotlaib

Coulant au chocolat, Michel Bras

Die Geschichte des Schokokuchens mit flüssigem Kern beginnt 1966 in Texas, wenn man der amerikanischen Food-Journalistin Rachel Khong glauben darf. Da backte die Hausfrau Ella Helfrich einen runden Schokokuchen, ähnlich einem Mohr im Hemd, den sie mit pulverisiertem Zuckerguss füllte, der sich beim Backen verflüssigte. Damit erreichte sie den zweiten Platz beim Pillsbury-Backwettbewerb. Dass aber solche kleinen Schoko­kuchen mit heißem, flüssigem Schokokern heute auf den meisten Speisekarten zwischen Dallas und Gramatneusiedl zu finden sind, ist trotzdem eher dem französischen Spitzenkoch Michel Bras zu verdanken. Seit 1999 wird Bras’ Restaurant in Laguiole mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. 1981 ließ er sein »Coulant au Chocolat« patentieren, einen kleinen Biskuit-Kuchen, den er mit einer Schokoganache füllte – also einer Creme aus Schokolade und Obers, die sonst eher zum Glasieren verwendet wird –, danach fror und wieder aufbackte. Das Ergebnis ist ein perfekt gebackener Teig mit heißem, flüssigem Kern. In den kommenden Jahrzehnten servierte er die ­Kreation in seinem Restaurant. 1987 hatte übrigens der Drei-Sterne-Koch Jean-Georges Vongerichten in New York eine ähnliche Idee – angeblich, ohne von Bras’ Küchlein-Rezept zu wissen. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Kartoffelpüree, Joël Robuchon

Sein Kochimperium ist legendär – auf der ganzen Welt besitzt Joël Robuchon Restaurants, die insgesamt mit über 26 Michelin-Sternen ausgezeichnet sind. Wenn Monsieur Robuchon von etwas überzeugt ist, dann von der Qualität hochwertiger Kartoffeln, die, wie er sagt, ohne überfeinerte Zutaten auskommen. Bei seinen berühmten und doch schlichten Kartoffel­rezepten zeigt sich seine wahre Meisterschaft. Sein berühmtes, unerreichtes Kartoffelpüree beweist das eindrucksvoll: Kartoffeln, Meersalz, Butter und Milch.
Dieses Püree, so Robuchon, hat am meisten zum Renommee seines Restaurants beigetragen. Bei der Kartoffelsorte ist er unerbittlich: »Ich verwende nur Ratte«, sagt er, »weil nur diese Sorte so besonders schmackhaft ist.« Ein weiteres Geheimnis ist, dass gleich zu Beginn – mit der richtigen Menge – gesalzen wird. Nach dem Passieren wird dann zuerst üppig Butter und dann Milch beigefügt und anschließend alles mit dem Schnee­­­besen lange schaumig geschlagen.

Shutterstock

Aus dem Falstaff Magazin 08/16

Ilse Fischer
Ilse Fischer
Autorin
Tobias Müller
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