Genuss an der Moldau: Prag im Porträt

Prag galt lange als reine Kulturdestination, Gourmets fuhren woandershin. Das hat sich gründlich geändert. Die tschechische Küche gibt ein kräftiges Lebenszeichen.

Die kulinarische Szene Prags hat ein neues Tagesgespräch. Ein einziges Restaurant in Tschechien war dem Guide Michelin bislang ­einen Stern wert. Das italienische »Allegro« im Hotel Four Seasons wurde als bestes Restaurant der Nation gefeiert. Doch nun ist es seinen Stern los. Denn es schließt. Über die Gründe hält man sich bei Four Seasons bedeckt, im Februar 2012 wird ein neues Restaurant eröffnet. Kenner der Lage meinen, das »Allegro« sei zu formell gewesen, klassische Luxusrestaurants in einem Hotel zu führen sei in Prag sehr schwierig. Auch das 2007 im Hilton Old Town eröffnete »Maze« des britischen Starkochs Gordon Ramsay schloss schon 2009 wieder seine Pforten.

Doch Gourmets müssen sich – Sterne hin oder her – keine Sorgen machen, Prag hat in den letzten Jahren kulinarisch enorm aufgerüs­tet. Wer dem Klischee von riesigen Knödeln mit fettem Fleisch in fragwürdigen Saucen auf der Spur ist, wird es in den unzähligen Touristenlokalen bestätigt finden. Wer vom Trampelpfad zwischen Altstädter Ring, Karlsbrücke und Hradschin nur ein paar Meter abweicht, stößt auf eine lebendige und überraschend interna­tionale Lokalszene.

La Degustation
Neuer Platzhirsch nach dem Abgang des »Allegro« ist »La Degustation«, das ohne Zweifel spannendste Restaurant der Stadt. Küchenchef Oldrich Sahajdák und sein Partner Filip Trcka waren viel gereist, bevor sie 2006 in der Altstadt eröffneten. Ihr Motto »Bohême Bourgeoise« verweist auf die Grundlage der tschechischen Gerichte – die Rezeptsammlung einer Marie Svobodová von 1880. Auf dieser Basis entwickelte Sahajdák eine Kollektion von Gerichten, die mit vielen Amuses-Bouches und in sieben Gängen während drei Stunden aufgetragen werden. Die Sichtküche ähnelt einer Bühne, die Gerichte werden außergewöhnlich inszeniert.

La Degustation / Foto beigestellt

Prager Schinken kommt in Brot eingebacken mit grobem Honigsenf. In einer dichten Kalbsconsommé liegen Krause Glucke und ein Stück Knochenmark, das an einer Schnur mit Wäscheklammer befestigt ist. Wer Mark nicht mag, muss einfach nur ziehen. Grandios gelingt die frisch geräucherte Rinderzunge mit Kichererbsenpüree und eingelegten Pilzen. Prags Top-Sommelière Klára Kollárová hat eine Wein­karte mit dem Besten zusammengestellt, was Tschechien und die Welt zu bieten haben.

Mandarin Oriental
Auch in den Top-Hotels der Stadt gibt es mittlerweile eine von Ballast befreite tschechische Küche. Im Mandarin Oriental, einem umgebauten Dominikanerkloster im Viertel Malá Strana, kocht Jirí Štift zwei Linien. Als Hommage an den asiatischen Ursprung der Kette gibt es eine große Liste fernöstlicher Speisen. Spannend sind Štifts Interpretationen böhmischer Klassiker. In der Cremesuppe »Kulajda« liegen ein 90 Minuten bei 64 Grad Celsius gegartes Ei, Dillkartoffeln und Pilze. Ein Spanferkel kommt zart und saftig zusammen mit einer knusprigen Terrine. Bei Schönwetter speist man auf der Terrasse im alten Klosterhof mit Blick auf das angrenzende Museum der Musik. Das Spa daneben genießt den Ruf, das beste der Stadt zu sein, und ist architektonisch spektakulär in ­einer alten Renaissance-Kapelle untergebracht.

Essensia im Mandarin Oriental / Foto beigestellt


Rocco Forte

Ein paar Gassen weiter liegt ein Komplex, bestehend aus sieben historischen Gebäuden, die 2009 zum Augustine der britischen Rocco Forte Hotels mutierten. Kern des Ensembles ist ein Augustinerkloster aus dem 13. Jahrhundert. Hat man einmal die einstige Klosterpforte durchschritten, bleibt die urbane Hektik zurück und völlige Ruhe kehrt ein. Für das Design sorgte wie in allen Häusern Rocco Fortes Schwester Olga Polizzi, die Elemen­te des tschechischen Kubismus ein­fließen ließ. Bei den Chaiselongues hat man sich an Entwürfen von Adolf Loos orientiert. Alle Zimmer bieten prächtige Blicke auf die nahe St.-Thomas-Kirche oder die Burg. Spektakulär ist die Turmsuite mit Rundumblick auf Prag. Auch in der Küche des »Augustine« hält ein Tscheche die Fahne der Nation hoch: Richard Fuchs werkte unter anderem im »Steirereck« in Wien und in der legendären Trüffeltrattoria »Amerigo« bei Bologna. Er engagiert sich bei »Slow Food« und trägt die besten Produkte der aufstrebenden Qualitätslandwirte zusammen.

Augustine - Rocco Forte / Foto beigestellt

In die Erbsensuppe mit Minze legt er Prager Schinken mit Zwiebelconfit. Die Entenleber aus Vodnany kommt im Brotteig mit dichtem Pilzsud. Die Ochsenbacken werden im hauseigenen dunklen »St. Thomas«-Bier geschmort. Das exzellente Gebräu stammt aus der Mikro­brauerei »Broumy« und wird nur im »Augustine« gezapft, was auch viele Prager motiviert, in »Tom’s Bar« oder der »The Brewery Bar« ­einzukehren.

Villa Richter
In den wohlhabenden Kreisen der Stadt ist die Villa Richter als Ort für Feiern aller Art ­äußerst beliebt. Einst befand sich hier am Burghang ein kommunistisches Archiv. Nun beherbergt das noble Haus mehrere Restaurants. Doch wie so oft hält die Qualität der Küche mit der prächtigen Aussicht nicht mit. Das Essen im tschechischen Restaurant »Piano Terra« ist von derber Schwere, im darüber liegenden »Piano Nobile« mit internationaler Karte gibt’s deutlich bessere Kost. Am besten genießt man hier am Nachmittag Kaffee mit Fern- und Burgblick.
Weil die unzähligen in Prag lebenden Expa­t­riates und viele Besucher nicht nur tschechisch speisen wollen, hat sich in jüngster Zeit eine Szene internationaler Restaurants entwickelt.

Allegro
Unter den Italienern profitiert das schon bisher ganz oben gelistete »La Finestra« von der Schließung des »Allegro« gleich gegenüber. Die Atmosphäre erinnert an eine gepflegte Trattoria, die Küche arbeitet mit der Ernsthaftigkeit eines gro­ßen Restaurants. Ein exzellent komponierter Salat von Krabbe und Avocado wird mit einem Coulis vollreifer Tomaten serviert, wunderbar saftige Porchetta kommt am stehenden Spieß mit Apfel und Zwiebel in Meersalz.

Alle Adressen der Restaurants, Bars und Hotels in einer Übersicht

Den ganzen Artikel lesen Sie in Falstaff 07/2011

von Alexander Bachl

Alexander Bachl
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