Blick von den Weinbergen auf Deidesheim.

Blick von den Weinbergen auf Deidesheim.
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Forst und Deidesheim: Ungleiche Brüder

Vielerorts in der Weinwelt gibt es Zwillingsorte, deren Weine ähnlich und doch ganz anders sind: Die Pfälzer Gemeinden Forst und Deidesheim bilden ein solches Duo.

»Deidesheim«, sagt die Forster Winzerin Anna-Barbara Acham, »ist seit 1395 Stadt, hat einen zentralen Marktplatz mit Kirche, Hotel und Brunnen. Wir in Forst aber haben die Stille, die Beschaulichkeit, das Idyll.« Bei aller Zuspitzung wirkt diese Aussage fast noch untertrieben: Denn während vis-à-vis der Deidesheimer Kirche einst Helmut Kohl mit Staatsgästen wie Michail Gorbatschow und Jacques Chirac im »Deidesheimer Hof« tafelte, hat die Forster Kirche einzig »Radio Werlé« zum Nachbarn – ein werktäglich von neun bis halb eins geöffnetes »Fachgeschäft für Elektrogeräte auch älterer Bauart«. Wo im »Deidesheimer Hof« die Fotos politischer Prominenz für Nostalgie sorgen, tut es im Schaufenster von »Radio Werlé« ein Werbeplakat der Firma SABA, die ihre letzte große Zeit in den 1960er-Jahren hatte und 1986 liquidiert wurde.
Forsts größter Schatz liegt indes hinter der Kirche und zieht sich dort über dreieinhalb Hektar den Hang empor: Schon 1828 wurde die Forster Lage Kirchenstück von der bayerischen Steuerverwaltung als wertvollster Weinberg der ganzen Pfalz taxiert. Einen Riesling aus dieser Lage lässt Anna-Barbara Acham nun im Glas kreisen. Sie sitzt im Gastraum des seit über 300 Jahren von ihrer Familie bewirtschafteten Gutsausschanks. Durch die Butzenscheiben fällt nur wenig Licht – doch genug, um die grünen Reflexe im Weinglas zum Funkeln zu bringen. Die einzigartige Verbindung aus durchdringender Mineralität und seidiger Feinheit, die den Weinen aus dem Kirchenstück nachgesagt wird, zeigt sich auch in diesem noch immer jungen 2011er.

»300 Jahre Kontinuität muss man erstmal hinkriegen«, fährt Acham fort, »da sind wir auch stolz drauf. Und je älter ich werde, desto bewusster wird mir, was es für ein Glück ist, in Forst wohnen zu dürfen und diese Lagen zu haben, auf denen so etwas Tolles heranwächst. Ich möchte an keinem anderen Ort der Welt leben, da könnte man mir Millionen bieten!«
Drüben in Deidesheim weht ein völlig anderer Wind. Kleine Familienbetriebe mit zehn Hektar sind die absolute Ausnahme. Hier sind es vor allem die drei großen Namen Bassermann-Jordan, von Buhl und von Winning, die den Ton angeben. Kommen und Gehen, Kaufen und Verkaufen steckt ihnen in den Genen. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts waren die heutigen Platzhirsche in einer Hand: als Besitz des Deidesheimer Bürgermeisters Andreas Jordan (1775–1848). Nach seinem Tod wurde das Erbe unter seinen drei Kindern aufgeteilt, so entstand ein Trio von Gütern: Jordan, von Buhl und Deinhard. Doch auch die Teilung sollte nicht von Dauer sein. Zwischen 2002 und 2007 erwarb der Neustädter Unternehmer Achim Niederberger nacheinander alle drei Güter und schuf somit wieder ein gemeinsames Dach – auch wenn die drei Betriebe weiterhin autonom wirtschaften. Als sichtbaren Ausdruck des Neubeginns benannte Niederberger das Weingut Dr. Deinhard um – und wählte Leopold von Winning (1873–1917), den Schwiegersohn von Andreas Deinhard, zum Namenspatron.

Deidesheim, der Schmelztiegel

Die großen Deidesheimer Betriebe übten schon immer Anziehungskraft auf Sachverstand aus, der von woanders her an die Mittelhaardt kam. Die Familie Jordan beispielsweise kam aus der Südpfalz nach Deidesheim, stammt aber ursprünglich aus der Schweiz. Die Deinhards kommen aus Ko­blenz, die Bassermanns aus Mannheim, die Familie Buhl aus Ettlingen bei Karlsruhe,  und Leopold von Winning stammte aus der Nähe von Aschersleben in Sachsen-Anhalt. Diese Tradition lebt auch heute fort: So hatte bis 2013 die aus Osaka stammende Familie Tokuoka das Weingut von Buhl gepachtet. Fumiko Tokuoka, die Önologie in Geisenheim studiert hat, blieb in Deidesheim. Sie besitzt heute das Weingut Biffar und führt, mitten im Stammland des Pfälzer Saumagens, ein japanisches Restaurant.
Auch ihr Nachfolger als Betriebsleiter bei Buhl ist jemand, der schon anderswo erfolgreich war: Der Elsässer Mathieu Kauffmann wirkte zwölf Jahre als Chef de Cave bei der Champagner-Legende Bollinger, ehe Niederberger ihn 2013 abwarb. Natürlich schaute anfangs alle Welt auf Kauffmanns Sekte – doch inzwischen zeigt sich, dass auch seine stillen Rieslinge dabei sind, die Pfalz umzukrempeln: trocken, komplett aufs Mineralische fokussiert, zuweilen fast burgunderhaft. Dabei bleibt Kauffmann bescheiden: »Ich bin immer noch am Kennenlernen der Lagen.« 20 Hektar Grands Crus besitzt von Buhl, in Forst ist das Weingut sogar der größte Landeigentümer. Und dann gibt Kauffmann eine Beschreibung des Bodens im Kirchenstück, die auch ein Einheimischer nicht detailgenauer geben könnte: »Ein ganz leimiger Boden, völlig anders als Pechstein, Ungeheuer und alles außenrum, hat alle Farben, Rot, Gelb, Schwarz, und alles ist mit Lehm und Ton gebunden, klebt am Schuh. Wenn man den Ton aufmacht, dann sind da zwei Millimeter große Steinchen von gelbem und rotem Sandstein drin und ganz kleine schwarze Bruchstücke vom Basalt.«

Ein Mosaik von Lagen und Böden

Rechnet man zu diesem Bild noch die in zwei Metern Tiefe befindliche Kalkbank hinzu, dann vereint das Kirchenstück alle Bodentypen der Mittelhaardt. Ringsherum aber verändert sich der Boden alle paar Meter – fast wie an der Côte d’Or. Dabei ist kennzeichnend, dass über die besten Lagen Forsts Einigkeit herrscht: Das Kirchenstück ist Nummer eins, der Jesuitengarten Nummer zwei, »und auch der Pechstein spielt da noch mit«, wie es Markus Spindler ausdrückt, dessen Familie auch schon seit elf Generationen in Forst ansässig ist. Fragt man die Winzer jedoch nach der besten Lage Deidesheims, gehen die Meinungen weit auseinander. Laura Kerbeck vom Winzerverein Deidesheim nennt den Grainhübel, Gunther Hauck (Bassermann-Jordan) den Hohenmorgen, Steffen Brahner (der als Geschäftsführer bei Bürklin-Wolf von neutralem Wachenheimer Boden aus spricht) den Kalkofen. Sabine Mosbacher favorisiert den Grainhübel, Stephan Attmann (von Winning) meint, der Kalkofen verdiene hervorgehoben zu werden, wenngleich die Deidesheimer Lagen qualitativ sehr eng beisammen lägen. Jonas Seckinger zitiert Petershöhle, Kieselberg und Kalkofen. Fumiko Tokuoka schließlich meint: »Schwer zu sagen, das hängt wohl davon ab, welche Parzelle man gerade hat.«
Einig sind sich jedoch alle darüber, dass – unabhängig von der Lage – die Weine aus Forst langsamer reifen als jene aus Deidesheim, die offener und direkter sind.
Dass die Weine Forsts oft in sich gekehrt wirken, fügt sich wiederum nahtlos ins Straßenbild der 800-Seelen-Gemeinde ein: Trotz eines guten Dutzends von Weingütern und Gaststätten ist der Ortskern weitgehend vom Durchgangsverkehr abgeschottet. Kopfsteinpflaster zwingt jeden, der hier durchfahren möchte, zum Schritttempo. Und gerade eben hat der Gemeinderat wieder einen Hotelbau am Ortsrand abgelehnt, bereits zum zweiten Mal. »Wir sind«, sagt Sabine Mosbacher, Winzerin und Gemeinderätin, »halt eher verträumt.«

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2018

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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