Falstaff Produkttest: Apfelessig

Obwohl einzelne Supermarktprodukte aus der Plastikflasche er­staunlich gut abschneiden, bereiten Spezialessige am meisten Vergnügen.

Apfelessig ist nicht nur der mit Abstand populärste Fruchtessig des Landes, ihm werden auch wahre medizinische Wunder nachgesagt. So soll Apfelessig wunderbar entschlacken, die Abwehrkräfte stärken und sich äußerlich angewandt äußerst förderlich auf das Hautbild auswirken. Konsens herrscht in der Wissenschaft allerdings ­lediglich darüber, dass ein frischer Apfel allemal gesünder ist als in saurer Form, weshalb wir uns sofort dem Kern des Themas zuwenden. Apfelessig schmeckt gut. Zumindest sollte er das, wenn er aus guten Grundprodukten ­gewissenhaft produziert wurde. Neben der ­Verfeinerung von Salaten und anderen Gerichten wird edler Apfelessig immer öfter als Basis von erfrischenden Getränken verwendet, am einfachsten mit Wasser verdünnt.

27 Essige wurden blind verkostet und nach mehreren Kriterien bewertet / Foto: © Philipp Tomsich
27 Essige wurden blind verkostet und nach mehreren Kriterien bewertet.

Die Verkostung fand im l­ockeren Ambiente des ­Restaurants »Hansen« statt / Foto: © Philipp Tomsich
Die Verkostung fand im l­ockeren Ambiente des ­Restaurants »Hansen« statt.

Fünf Prozent Säure
Wie wird aber eigentlich guter Apfelessig ­gemacht? Fachproduzenten wie der Wiener ­Essigexperte Erwin Gegenbauer verwenden als Basis reinsortige Äpfel bester Qualität. Der gewonnene Apfelsaft wird mittels Naturhefen zu Most vergoren und bis zu einem halben Jahr auf der Hefe liegengelassen. Danach wird der Most mit passenden Essigbakterien geimpft, wodurch die zweite Vergärung in Gang gesetzt wird. Gegenbauer testet für jeden Most drei bis vier verschiedene Kulturen und beobachtet, welche davon am besten greift. Um ein Produkt auch Essig nennen zu dürfen, müssen mindestens fünf Prozent Säure erreicht werden. Authentische Produkte werden nicht rückverdünnt, damit der natürliche Zustand so weit wie möglich erhalten bleibt. Man käme ja auch nicht auf die Idee, Wein zu verdünnen, um ­weniger Alkoholgehalt zu erreichen. Dennoch werden viele Produkte exakt auf die fünf Prozent Säure hingetrimmt. Wie ausgewogen ein Essig gerät, hängt dann auch von der Lagerung ab. Spezialisten lassen ihre Essige oft jahrelang in Holzfässern reifen, um durch Mikrooxida­tion eine harmonische Stilistik zu erreichen. ­Produzenten von hochwertigen Essigen ­setzen auf naturtrübe Füllung ohne Filtra­tion, weil dadurch alle Mineralsalze, Vitamine und Nährstoffe erhalten bleiben.

Billig ist nicht immer schlecht
Industriell gefertigten Apfelessigen wird keine derart liebevolle Behandlung zuteil. Viele Großbetriebe arbeiten mit Apfelsaftkonzentrat, dem durch Einkochen oder Vakuumdestillation so gut wie alle Inhaltsstoffe der frischen Frucht entzogen werden. Dem Konzentrat wird wieder Wasser hinzugefügt, und durch Beigabe von Zuchthefen wird die alkoholische Gärung ­gestartet. Danach wird dem Most kaum Ruhe gegönnt, denn sofort nach der alkoholischen Gärung wird die Essiggärung gestartet. Die kann durch im Labor gezüchtete Kulturen und den hohen Alkoholgehalt des Mosts durchaus sehr wirksam vonstatten gehen, weshalb Säurewerte von bis zu zwölf Prozent erreicht werden. Um den Essig dann genießbar zu machen, wird er auf fünf Prozent rückverdünnt. Dennoch muss billiger Essig nicht zwangsläufig der schlechteste sein, denn wie die Verkostung bewiesen hat, kann auch Essig um 79 Cent sauber produziert sein und mit Edelessigen mithalten.

BEST OF FRUCHTESSIG
Die Produkte aus den Supermärkten konnten überraschend gut mit den feinen Essigen der Spezialproduzenten mithalten. Von den Einzelnoten her wurde der Geschmack am stärksten gewichtet, gefolgt von Geruch und Preis. Die optische Bewertung wurde mangels Aussagekraft nicht bei der Benotung berücksichtig. Zugelassen waren nur klassische Apfelessige ohne Beigaben wie Honig oder Aromastoffe. Schwefelung wurde von der kompetenten Jury im Restaurant »Hansen« sofort entlarvt und mit Abzügen bedacht. Positiv bewertet wurden ­typische Apfelnoten, Gehalt und gute Ein­bindung der Säure.

Die Ergebnisse des Tests sehen Sie in der Bilderstrecke.

Udo Kaubek / Foto: © Philipp Tomsich

»Gut gemachte Industrieware kann sich definitiv unter den Spezialessigen etablieren.«
Udo Kaubek
Geschäftsführer des Wiener Genuss-Mekkas »Meinl am Graben« und berufsbedingt kritischer Gaumen.
www.meinlamgraben.at

Heidi Strobl / Foto: © Philipp Tomsich

»Einzelne Produkte sind nur zum ­Eierfärben zu empfehlen.«
Heidi Strobl
Gourmetjournalistin, Profiverkosterin und
Testköchin für die Beilage »Freizeit« des »Kurier«. 

Leo Doppler / Foto: © Philipp Tomsich

»Manche Essige waren derart aggressiv in der Säure, dass Verätzungs­gefahr bestand.«
Leo Doppler
Besitzer und umsichtiger Patron des Restaurants »Hansen« in der Börse. Spitzensommelier und ­zuvorkommender Gast­geber der Essigverkostung.
www.hansen.co.at

Peter Spak / Foto: © Philipp Tomsich

»Guten Apfelessig zeichnet ein guter Geruch nach frischen Äpfeln aus.«
Peter Spak
Pasteten-Patron und Rillette-Regent mit versierter Verkostungssystematik. www.hink-pasteten.at

Hans Staud / Foto: © Philipp Tomsich

»Qualitätvoller Essig braucht keinen Schwefel, der sorgt nur für artfremde und irritierende Geschmacksnuancen.«
Hans Staud
Marmeladenkaiser und feinfühliger Sensoriker mit null Toleranz für Schwefeleinsatz. www.stauds.com

Birgit Reitbauer / Foto: © Philipp Tomsich

»Der riecht so stark nach Kresse, da brauch ich gar keine frische in den Salat reingeben!«
Birgit Reitbauer
Gastgeberin im Wiener »Steirereck« und eben erst zur Falstaff-Gastgeberin des Jahres gekürt. www.steirereck.at

Text von Bernhard Degen
Aus Falstaff Nr. 03/2012

Bernhard Degen
Autor
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