»Zeig mir, wie du isst, und ich sage dir, wer du sein möchtest.«

»Zeig mir, wie du isst, und ich sage dir, wer du sein möchtest.«
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

»Essen ist ein politischer Akt«

Was wir essen, zeigt, wer wir sind – auf diesen einfachen Nenner lässt sich die Arbeit des Duos Honey & Bunny bringen – ab sofort schreiben die beiden Künstler exklusiv im Falstaff.

Vor etwa 20 Jahren begannen wir damit, uns mit Essen zu beschäftigen. Seit damals besuchen wir an jedem Ort, den wir bereisen dürfen, Restaurants, Straßenstände, Märkte und alle Arten von Lebensmittelgeschäften. All diese Orte sagen eine Menge aus. Böse Zungen munkeln, dass wir schon mehr Supermärkte besichtigt haben als Museen. Wir geben auch zu, dass wir in fremde Einkaufswägen hineinspechtln und uns (heimlich) Meinungen zu den Fahrerinnen und Fahrern dieser Gefährte bilden. Was wir essen, zeigt eben, wer wir sind!

Die Auswahl an Zutaten und die Art, diese zuzubereiten, offenbaren von jeder und jedem von uns den kulturellen und sozialen Hintergrund, die politische und gesellschaftliche Meinung, den Gesundheitszustand und den Lebensstil. Was wir essen, zeigt, woher wir kommen und wohin wir gehen wollen. Menschen werden in eine kulinarische Welt hineinsozialisiert. Das kann, wie bei Sonja, das gesundheitsorientierte, akademische Wien oder, wie bei Martin, das reichhaltige, schwere Mühlviertel des Wirtschaftswunders der 1970er- und 80er Jahre sein. Beim Verzehr von tierischem Fett sind wir bis heute ziemlich uneins. Unsere Elternhäuser lassen grüßen.

Jedes Essen offenbart Herkunft. Vegetarierinnen und Vegetarier oder Konsumentinnen und Konsumenten von Biolebensmitteln zum Beispiel versuchen, eine bessere Zukunft zu essen. Sie tun beim Essen ihre Meinung zur Zukunft kund. Letztlich lässt sich bei der Auswahl von Lebensmitteln sogar trefflich provozieren. So können etwa vegane Pubertierende den sonst dominanten Vater zur Weißglut treiben.

Auch wenn wir das denken: Mit Natur hat unsere Art der Nahrungsbereitung und -aufnahme kaum mehr etwas zu tun. Essen ist ein kultureller und hochgradig von Konventionen abhängiger Akt.
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita
Auch wenn wir das denken: Mit Natur hat unsere Art der Nahrungsbereitung und -aufnahme kaum mehr etwas zu tun. Essen ist ein kultureller und hochgradig von Konventionen abhängiger Akt.

Essen ist Kultur

Abgesehen von der Auswahl der Zutaten spielt auch die Gestaltung (»Food Design«) eine Rolle. Ausnahmslos jede Kultur wendet Kreativität auf, um Essen zu gestalten. Aus unverdaulichen Körnern entwickelte (oder designte) die Menschheit zuerst Mehl und Brei und später Brot. Fleisch wurde mithilfe von verschiedensten Techniken konserviert und essbar gemacht. Die verderbliche Milch verwandelten zuerst die alten Griechen und dann die halbe Welt in haltbaren Käse. Auch vor den essbaren Pflanzen und Tieren machen wir Menschen nicht halt. Einst wilde Arten wurden immer mehr umgezüchtet, bis aus ihnen die heutigen Nutzplanzen und Nutztiere entstanden. Das Ende ist noch nicht erreicht, wie die Diskussionen um künstliches Fleisch oder Genmanipulationen beweisen. Jedenfalls hat unsere Essen viel mehr mit Kultur als mit Natur zu tun. Die wenigen echten Naturprodukte, also die Handvoll Himbeeren oder Heidelbeeren wähend einer Wanderung, fallen nicht wirklich ins Gewicht.

Auch Food Design zeigt, wer wir sind. Lange, dünne Teigrollen zum Beispiel sind DAS kulinarische Symbol Italiens. Die Spaghetti ist dennoch Fusion. Arabische Einwanderer brachten sie vor mehr als 1000 Jahren nach Sizilien. Berittene Turkvölker an der Grenze zu China lernten ebendort, Nudeln zu machen. Im Reich der Mitte wurden Nudeln aber nicht getrocknet, sondern frisch gegessen. Ob die späteren Türken oder schon die Araber mit dem Trocknen begannen, wissen wir nicht, aber Letztere fanden auf Sizilien perfekte Bedingungen für diese Art der Konservierung vor. Die heißen Küstenwinde eignen sich perfekt. Lange Fäden wiederum sind die perfekte Form, um auf Wäscheleinen getrocknet zu werden.

Brösel statt Gold

Ähnlich verworren ist der Hintergrund unseres geliebten Schnitzerls. Vermutlich begannen sephardische Juden in Byzanz damit, Fleisch mit Gold zu belegen. Diese angeberische Rezeptur übernahmen die erobernden Venezianer, deren katholische Moralhüter wiederum den Verzehr von Gold verboten. Es sei eine Sünde, hieß es damals. Also erfanden die Köchinnen und Köche der Lagunenstadt ein Substitut. Das Gold wurde durch Ei und Parmesan ersetzt. Eine hartnäckige Legende in Österreich besagt nun, das Radetzky dieses italienische Schnitzel von Mailand nach Wien brachte und ebendort der Parmesan gegen goldgelbe Semmelbrösel ausgetauscht wurde. Das stimmt nicht. Das Schnitzel war schon in Wien, bevor der vielbesungene Militär in Mailand ziemlich blutig Aufstände niederschlug, aber die Rezeptur ist dennoch jene aus Italien. In Essen steckt Geschichte.

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie, sich für Food Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren Eat-Art-Performances und schreiben bzw. illustrieren Bücher.
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita
Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie, sich für Food Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren Eat-Art-Performances und schreiben bzw. illustrieren Bücher.

Wir behaupten sogar, dass im Essen auch Politik drin ist. Jeder Bissen, jeder Schluck ist ein politischer Akt. Essen ist nicht nur Genuss, Tradition, Kultur, Luxus oder Überleben, sondern auch ein Eingriff in das Ökosystem. Jedes Mahl hinterlässt einen Fußabdruck. Das können Emissionen sein. Gegenwärtig benötigt jede konventionell hergestellte Kalorie etwa zehnmal so viele Kalorien (an Energie) für die Produktion, den Transport, die Lagerung und die Weiterverarbeitung. Meistens wird diese Energie in Form von Erdöl sprichwörtlich in unser Essen hineingepumpt. Die Produktion von Nahrung provoziert überhaupt am meisten klimaerwärmende Emissionen. Das kann die Zerstörung von Lebensraum oder Vergiftung von Wasser und Boden sein.

Auch sie sind ein Resultat des täglichen Essens. Pestizide, Insektizide, Dünger aus der konventionellen Landwirtschaft mögen (in sehr kleinen Dosen) für den menschlichen Organismus unbedenklich sein. Viele Lebensformen und vermutlich auch lebenswichtige Bakterien unserer Darmflora überleben diese Gifte oft nicht. Diese Liste ist jetzt nicht zu Ende. Essen hat auch eine dunkle Seite. Wenn wir als Menschen überleben wollen, müssen wir uns mit dem auseinandersetzen, was uns am Leben hält: dem Essen.

Die gute Nachricht ist: Essen ist ein kultureller Akt. Kultur ist veränderbar, und das jeden Tag. Kultur kann jederzeit die Welt verbessern. Gehen wir's an!

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2021

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Sonja Stummerer
Martin Hablesreiter
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