Essen in Museen: Kunstvoll genießen

Top-Restaurants in den besten Museen der Welt - von Turin über New York und Singapur bis nach Essen.

Essen und Trinken zum Anschauen ist in allen Kunstepochen gegenwärtig. Aber ­gehört neben der Kunst auch die Esskultur ins Museum? Ist das Kochen gar eine eigene Kunstgattung? Der Trend zu kulinarischen und kreativen Museums­restaurants legt dies nahe. Falstaff stellt die interessantesten vor: Links unter »Alle Fotos«.

Adriá auf der documenta
Gehört Ginfizz aus heißem Eis oder Austernjoghurt und Tomatensuppe mit virtueller Petersilie ins Museum? Die Empörung war groß, als Starkoch Ferran Adrià 2007 zur documenta in Kassel eingeladen wurde. Die Diskussion, ob Kochen nicht auch eine Kunst sein kann, wurde entfacht. Ein kontroverses Thema, obwohl Emile Zola bereits 1886 bekannte: »Geht es denn in der Kunst überhaupt um etwas anderes als darum, das wiederzugeben, was man im Bauch hat?«

Attersee und Spoerri
Für den österreichischen Maler Christian Ludwig Attersee, der mit seiner Objekt- und Aktionskunst an die »Eat Art« vom Schweizer Altmeister Daniel Spoerri anknüpft, gibt es gar eine symbiotische Beziehung: »Dass Kunst und Küche sich befruchten, zählt für mich zu den Lebensformen und der Gegenstandswelt des Alltags; in diesem Sinne sehe ich einen großen Zusammenhang zwischen der erweiterten Esswelt und dem Schaffen der Künstler«, sagt er. Und auch Spoerri selbst hat nie daran gezweifelt, dass Essen ins Museum gehört. Bereits vor 40 Jahren hat er öffentliche Festessen zu Kunstwerken stilisiert und damit »Eat Art« erfunden, die essbare Kunst, die er in diversen Kunstwerken und in eigenen Restaurants demonstriert hat. Nicht immer ging es dabei um Leckereien, vielmehr sollte Objektkunst wie Kartoffelbrei-Eis mit Jägercreme und Hackfleischpralinen die Irritation menschlicher Gewohnheiten zeigen.

Nitsch und seine »Esspraktiker«
Dass Kochkunst viel mit Kunst zu tun hat und Essen viel mit Kunstkonsum, versichert auch der österreichische Künstler Hermann Nitsch, dessen Ausstellung »Schmecken« noch bis zum 30. September in der Wiener Nitsch Foundation zu sehen ist. Bei der Vernissage präsentierte er ­bekennenden »Esspraktikern« wie Christian Attersee und künstleri­schen »Kochtheoretikern« wie Peter Kubelka, der in den Siebzigerjahren gar eine Professur für »Film und Kochen als Kunstgattung« an der Frankfurter Städelschule innehatte, das Galerielokal als Gesamtkunstwerk – ­Essen als Galeriebesuch.

Lüpertz: Essen ist Genuss, Kunst ist mehr
»Essen ist keine Kunst, und ein Koch ist kein Künstler, auch wenn ich beispielsweise im Städel in Frankfurt oder in der Tate Gallery in London sehr gut gegessen habe«, konstatiert hingegen der »Malerfürst« Markus Lüpertz. ­Essen ist Genuss, aber Kunst ist für mich mehr. Außerdem sind doch 80 Prozent aller Museumsbesucher Tourismuspublikum, das höchs­tens eine Tasse Kaffee trinken und einen Kuchen essen will«, behauptet der Professor, der einer der bedeutendsten deutschen Künstler der Gegenwart ist. Eine durchaus richtige Beobachtung: Gourmets kamen bisher im Museum äußerst selten auf ihre Kosten, Kunsttempel galten oft als kulinarische Wüsten, in denen die Besucher bei Fast Food im Kantinenambiente deutlich demonstriert bekamen, dass Ess- mit Kunst­genuss wenig gemein hat.
Das hat sich jedoch inzwischen grundlegend geändert. Optisch opulente und kulinarisch kreative Museumsrestaurants in aller Welt zeigen, dass die Kochkunst die Nähe der bildenden Kunst zumindest sucht – und manchmal gar mit ihr in Konkurrenz tritt. James Thompson, hochdekorierter schottischer Restaurateur, der 1998 mit seinem Restaurant »The Tower« im Museum of Scotland in Edinburgh als Pionier galt, weil er mit Walnüssen gefülltes Perlhuhn und Makrelen mit Fenchel und Artischocken anstelle von Fish and Chips in kulturell ambitioniertem Ambiente mit Blick über Edinburgh servierte, stellte kürzlich sogar fest, dass es inzwischen Besucher gibt, die »first for the food«, also in ers­ter Linie zum Essen ins Museum kommen und erst dann die Kunst entdecken.

»Combal Zero« in Turin
Kein Zweifel: Seit Davide Scabin im mittelalterlichen Schloss-Res­taurant »Combal Zero« in Rivoli zwei Michelin-Sterne erkocht hat, pilgern wesentlich mehr Besucher hinaus vor die Tore Turins, um eine der bedeutendsten zeitgenössischen Kunstsammlungen Europas zusammen mit großer Kochkunst zu genießen. Doch manch einer lässt die Ausstellung glatt links liegen und schwelgt lieber in der Kochkunst Scabins. Er wurde in die S.-Pellegrino-Liste der 50 weltbesten Restaurants aufgenommen, noch vor Harald Wohlfahrt, und pflegt eine hyperkreative und experi­mentelle Küche. 

Zoisl in Singapur, Gutenbrunner in New York
Zum Degustationsmenü des deutschen Küchenchefs Stephan Zoisl mit Thunfisch, Foie-gras-Parfait, gratiniertem Heilbutt und Vanille-Espuma trifft sich die High Society von Singapur im National Museum in erster Linie, um sich am europäischen Essen zu de­lektieren und dann erst in die asiatische Geschichte einzutauchen. Und in der auf deutsche und österreichische Kunst spezialisierten Neuen Galerie in New York hängt mit Gus­tav Klimts »Adele Bloch-Bauer« zwar das mit 135 Millionen Dollar teuerste Kunstwerk der Welt als moderne Klassik an der Wand. So manchem Besucher ist jedoch ebenso in bleibender Erinnerung, dass dort auch der Österreicher Kurt Gutenbrunner im »Cafe Sabars­ky« moderne österreichische Küchenklassiker wie Apfelstrudel, Schnitzel oder ­Gulasch erstklassig zubereitet auf den Teller bringt. »Die Kombination und Wichtigkeit von Kunst und Essen ist seit neun Jahren ein immenser Erfolg in der Neuen Galerie, was nicht nur von Besuchern, sondern auch von New Yorkern geschätzt wird«, freut sich ­Gastronom Gutenbrunner.

»Vincent & Paul« in Essen
In einigen Ausstellungshallen wird der ­Res­taurantbesuch allerdings zum eigenen Event. Manche öffnen ihr Mu­seums­res­tau­rant erst, nachdem die Besuchermassen schon verschwunden sind. Im ­Essener Museum Folkwang nimmt Frank Heppner erst nach Museumsschluss den Kochlöffel in die Hand und setzt Kochkunst gegen klassische Moderne und Zeitgenössisches. Der Gast muss sich entscheiden: Galerie oder Res­taurant. Eine Kantine für Magenlöcher nach dem Kunsthunger ist das »Vincent & Paul« nicht mehr.

Essen im Kunstwerk
Die Grenzen verschwimmen gänzlich im Res­taurant »Nomiya« auf dem Dach des Pariser Palais de Tokyo: Es wird vollmundig als kulinarische Performance angepriesen, der Kubus aus Glas, Stahl und Holz stammt vom Videokünstler Laurent Grasso, der ihn gemeinsam mit seinem Bruder, einem Architekten, kreiert hat. Gilles Stassart und sein Team kochen Überraschungsmenüs – zu einem für Pariser Verhältnisse günstigen Preis –, und die Teilnahme am Kunstwerk ist nicht nur deshalb permanent ausgebucht.

Adriá: »Ich bin Koch«
Ferran Adrià, in den Kunstolymp erhobe­ner Sternekoch, möchte sich übrigens nicht als Künstler sehen. »Ich bin Koch. Was Kunst ist oder nicht, ist eine Debatte, die seit Jahrhunderten geführt wird. Etwas ist Kunst, wenn die Kunstwelt entscheidet, dass es Kunst ist«, erklärte er kurz vor der docu­menta gegenüber der Zeitschrift »Die Welt«. »Mir ist es egal, ob die hohe Küche Kunst ist oder nicht. Die Reflexion darüber ist das Entscheidende.«

von Claudia Bette-Wenngatz

aus: Falstaff Nr. 6/2010