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Espresso Italiano: Un amore per sempre

Berlusconi, Wirtschaftskrise, verpasste Fußball-WM – Italien hat es in den letzten Jahren nicht leicht gehabt. Vielleicht am schlimmsten: Machen andere Länder plötzlich besseren Kaffee?

Die teuersten Bohnen der Welt werden in Oslo oder Melbourne geröstet und in sogenannten Third-Wave-Cafés in Shanghai, Stockholm oder Tokio serviert. Barista-Weltmeister kommen aus Südkorea oder Polen, das Internet ist voll von Latte-Art-Bildern (wer wollte nicht schon immer einmal sein Porträt in Milchschaum statt in Öl sehen?), und das »Noma«, das berühmteste Restaurant der Welt, serviert keinen Espresso, sondern Filterkaffee. So wie bei jedem überhitzten Trend (Naturwein, Craft-Bier) ist auch beim Third-Wave-Kaffee jede Menge Untrinkbares dabei. Aber selbst manch Italiener räumt mittlerweile zerknirscht ein: Die richtig guten dieser modernen Kaffees sind eine andere Liga. Qualität, die es so bisher nicht gegeben hat. Sie mit klassischem italienischen Espresso zu vergleichen ist ein wenig so, wie soliden Landwein neben großen Burgunder zu stellen.

Was wahre Kaffeekultur ausmacht

Heißt das, dass die Kaffeewelt bald untergeht? Dass das Mutterland des Kaffees nichts mehr zu melden hat? Aber nein. Italien mit seinen italienischen Espressobars wird noch sehr lange Koffein-Sehnsuchtsorte bleiben. Die Italiener haben nämlich verstanden, was viele Third-Wave-Hipster nie kapieren werden: Dass große Kaffeekultur nur sehr am Rande mit tollem Kaffee zu tun hat. Italiener gehen nicht ins Kaffeehaus, um Rhabarbernoten und Zitrus-Aromen in der Tasse zu erschnüffeln oder sich mit dem Barista über Fermentationstechniken auszutauschen. Sie trinken keinen Single Origin Natural Processed Geisha, der mehr kostet als ein ganzes Mittagsmenü inklusive Grappa. Sie kommen hierher, weil sie wissen wollen, ob Luigi auch das Spiel gesehen hat und wie es den Bambini von Enzo geht, weil sie nach dem Mittagessen noch nicht wieder ins Büro wollen, müde vom Sonntagsspaziergang sind oder auf der Straße Simone getroffen haben und endlich wieder plaudern wollen. So viel Zeit muss sein.

Dass kaum wer sitzt, sondern fast alle stehen, hilft da enorm, ganz so, wie auf einer Party die Stimmung stets in der Küche am besten ist und nicht auf der Couch im Wohnzimmer. Keiner muss hier ein schlechtes Gewissen haben, nichts zu tun, wir bleiben ja ohnehin nur fünf Minuten – etwas, das man sich als gelernter Italiener problemlos ein, zwei Stunden einreden kann.

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Dass man sich hier so wohl und willkommen fühlt, liegt auch daran, dass die italienische Caffèbar für alle da ist. Der Third-Wave-Coffee-Laden ist ein Verwandter der Weinbar und des Feinkostgeschäfts, ein Ort für Spezialisten, die Geld haben und es ausgeben wollen – in diesem Fall meist halbjunge Männer, die sich wenige Jahre zuvor beim Computerspielhändler getroffen haben. Das italienische Caffè hingegen ist der Bruder des Würstelstands. Wirklich jeder kann es sich leisten, hier einzukehren – und wirklich jeder kehrt hier auch ein. Bankiers und Handwerker, alte Frauen, junge Männer,  Einzelgänger, Pärchen und Familien – alle mischen sich hier, was dem Caffè im besten Fall ein wenig von der Atmosphäre eines geglückten Volksfests verleiht. 

In Wien und Paris mag das Café bourgeois und neuerdings sogar bobo sein – in Italien ist es ein klassenloser Ort geblieben. An der Bar drängen sich so viele verschiedene Menschen, dass einfach kein Platz bleibt für Neid und Standesdünkel. Vor dem Barista sind alle gleich. Ein Euro für einen Espresso (im Süden sind es noch weniger!), das ist schließlich kein Preis, sondern eine Lebenseinstellung: Kaffee ist nicht Luxus, sondern Menschenrecht.

Das heißt nicht, dass der Kaffee an sich hier nicht ernst genommen wird – im Gegenteil. Es gibt wenige so stolze Menschen wie italienische Barista. Ihr Stolz ist allerdings grundverschieden von jenem ihrer schlechten Third-Wave-Kollegen (es gibt natürlich auch gute) mit Bart und Männerdutt, die sich mehr in der Tradition des Propheten sehen denn in der des Dienstleisters. Der Stolz des italienischen Barista ist der schöne, demütige Stolz, eine scheinbar schlichte Arbeit so gut wie nur irgendwie möglich zu machen.

Einfach und trotzdem gut

Der gute Barista in Italien (es gibt natürlich auch schlechte, aber nicht viele) ist nämlich dem Sushimeister in Japan verwandt: Beide verbringen Jahre, mitunter Jahrzehnte damit, ein paar Handgriffe zu perfektionieren. Kaffeemachen ist hier kein Studentenjob, sondern eine Lebensaufgabe, der kompromisslos nachgegangen wird. Lieber würde der Barista das Essen seiner Mutter beschimpfen als eine schmutzige Kaffeemaschine bedienen.

Trotzdem, und das ist vielleicht das Allerbeste an der italienischen Espressobar, ist sie nie abgehoben, sondern ein herrlich normaler Ort. Third-Wave-Läden erzählen vom Besten, das gerade gut genug ist. Sie servieren Espresso in speziell geformten Tassen aus ganz speziellen Röstungen von Bohnen, von denen es weltweit nur 10 Kilo gibt. Starbucks, das Kaffeehaus für alle, die Angst haben, nichts besonders zu sein, quält Kunden mit ähnlich vielen Kombinationsmöglichkeiten wie die Euromillionen-Lotterie. Einen Medium Chai Matcha Latte mit Sojamilch bitte!

Die italienische Espressobar macht da nicht mit. Sie sieht nicht besonders aus, und es gibt mehr oder weniger den gleichen Kaffee wie bei der nächsten Bar ums Eck. Espresso, er heißt hier schlicht Caffè, ist schwarz, heiß, bitter und cremig, nichts Besonderes und trotzdem richtig gut. Die italienische Espressobar beharrt hartnäckig darauf, dass nicht nur das Einzigartige, Spezielle, Teure schön und gut ist. Schön und gut, sagt sie, kann und muss auch das völlig Normale, das ganz Alltägliche sein. Das macht mit jedem Schluck Mut und Hoffnung – und das Leben unendlich schöner als der beste Kaffee.


Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2019

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Tobias Müller
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