Duell der Giganten: Le Pin vs. Petrus

Wiederholung der legendären Verkostung von 1995, als der Außenseiter das weltberühmte Chateau deklassierte.

Kein Bordeaux-Wein hat in den vergangenen drei Jahrzehnten einen so rasanten Aufstieg erlebt wie Le Pin. Der anfangs auch von Journalisten wenig beachtete 1982er kostete en primeur gerade mal 70 Francs, heute wird der Jahrgang zu sagenhaften 5.000 Euro pro Bouteille gehandelt. Le Pin hat ihn längst geschafft: den Aufstieg vom Vin de Garage zum gefeierten Kultwein.

Meine erste Begegnung mit Le Pin hatte ich im Sommer 1982, als ich den belgischen Weinhändler Gérard Thienpont in Etikhove besuchte, um meine reservierten Bordeauxweine des Jahrganges 1979 abzuholen. Vor dem Mittagessen bat mich der freundliche ältere Herr zu einer kleinen Blindverkostung in die Bibliothek: Auf dem Tisch standen drei verhüllte halbleere Bordeauxflaschen. »Sagen Sie mir bitte, welcher der Weine Ihnen am besten gefällt, Monsieur Diel, welcher der zweit­beste ist und welcher der schwächste. Es sind Weine aus dem Jahrgang 1979.« Ich schnupperte an den Gläsern, verkostete die Weine und traf relativ schnell meine Wahl, getreu der alten Regel, dass der erste Eindruck stets der richtige ist: »Glas Nummer drei ist der beste, Glas Nummer eins der zweitbeste und Glas Nummer zwei der schwächste!« Gérard Thienpont lächelte verschmitzt und enthüllte die Flaschen.

Bouteillen Petrus, Le PinAuf den letzten Platz hatte ich Vieux ­Château Certan gereiht, jenes traditionsreiche, seit 1924 im Besitz der Familie Thienpont befindliche Pomerol-Gut, dessen Flaschen man gewöhnlich an der originellen rosafarbigen Kapsel erkennt. Auf dem zweiten Platz stand Château Pétrus, das vielleicht berühmteste aller Bordeaux-Güter, das ich ­einige Jahre zuvor demütig besichtigt hatte, dort zu meiner Enttäuschung aber keinen Schluck zu trinken bekam. Das Etikett des Siegers hatte ich noch nie zuvor gesehen: Le Pin. »Das ist ein kleines, nur einen Hektar Rebfläche umfassendes Château in Pomerol, das meinem Neffen Jacques und mir gehört«, erläuterte Gérard Thienpont, »und dies ist der erste Jahrgang.« Ich war entsprechend beeindruckt und nahm mir im Stillen vor, zukünftig Weine dieses völlig unbekannten Weingutes für meinen privaten Weinkeller einzukaufen, doch wollte ich mich zunächst vor Ort umsehen.

Le Pin, Jahrgang 1982
In Pomerol suchte ich vergeblich nach einem Hinweisschild, das mir den Weg zu einem Weingut namens Le Pin hätte weisen kön­nen. Erst die detaillierten Erläuterungen von ­Alexandre Thienpont, der 1983 die Nachfolge seines Vaters Léon antrat, seitdem Vieux Château Certan leitet und sich nebenher auch um Le Pin kümmert, führten mich zu einem kleinen Häuschen, in dessen Schuppen sich ein Dutzend komplett neuer Barriques befand. Ich kostete den Jahrgang 1982 vom Fass und war hingerissen: Welch ein berückendes Bukett, was für eine großartige Frucht.

Singapurs Dr. WineIm Juli 1994 lernte ich bei einem Diner im berühm­ten Raffles Hotel in Singapur Dr. Nen-Kyong Yong kennen, seinerzeit Chirurg am dortigen Mount Eli­zabeth Medical Centre und eine der Weinautoritä­ten des Stadtstaates. Ich war damals auf Promotion-Tour mit dem Koch Johann Lafer und dem Winzerkollegen Helmut Dönnhoff, mit dabei war auch noch Stephan Graf von Neipperg und sein Canon-La-Gaffelière. Von Nahewein kam das Gespräch schnell zu den Weinen der Welt, und wir landeten schließlich bei Dr. Yongs Lieblingswein, Château Pétrus. Daraufhin erzählte ich ihm meine Geschichte aus dem Jahr 1982 und verriet ihm mein inzwischen ausgeprägtes Faible für Le Pin. Davon habe er schon gehört, gewiss, und auch schon mal getrunken, aber an Pétrus komme er bei aller Liebe doch wirklich nicht ­heran, dozierte »N. K.«, wie Freunde Dr. Yong kurz zu nennen pflegen. Ich hielt dagegen. In angeregter Stimmung wurde diskutiert, welcher dieser beiden Pomerols denn nun der bessere sei, und man vereinbarte am Ende des Abends, im nächs­ten Jahr eine große Blindverkostung »Pé­trus gegen Le Pin« zu organisieren, wenn N. K. seine turnusgemäße Europareise macht. Er bringe die Bouteillen von Pétrus mit, ich solle halt – wenn ich mich tatsächlich traute – die Gegenstücke von Le Pin beisteuern. Top – die Wette galt!

Korken Petrus, Le Pin

Showdown am Niederrhein
Ein gutes Jahr danach, im September 1995, war es so weit: Eine Dame, N. K. Yongs Ehefrau Melina, und zehn Herren trafen sich zu einer Blindverkos­tung von Bordeaux-Rotweinen, wie es sie in dieser Form noch nie gegeben hatte und die höchstwahrscheinlich so nicht wiederholbar ist. Auf dem Tisch standen insgesamt dreizehn Jahrgänge des legendären Pomerol-Stars Pétrus und seines kometenhaft aufgestiegenen Nachbarn Le Pin. Beide Weingüter haben gemeinsam, dass das Rebsortiment hier wie dort zu 95 Prozent aus Merlot und etwas Cabernet Franc besteht. Ort der Handlung war das damalige Spitzenrestaurant »Zur Traube« in Grevenbroich, wo Patron Dieter L. Kaufmann bis zum heutigen Tag einen der bestsortierten Weinkeller des Landes pflegt. Er ist ein alter Freund von Dr. Yong, den er schon häufig in Singapur besuchte. Umgekehrt ist für »N. K.« und Melina ein Abstecher ins rheinische Grevenbroich seit Jahren obligatorisch, wenn sie ihre Lieblingswinzer in Bordeaux und an der Mosel zumindest einmal pro Jahr besuchen.

Erdrutschsieg für Le Pin
Mit am Tisch saßen Gastronomen, Sommeliers und Journalisten, denen der jeweilige Jahrgang paarweise vorgesetzt wurde, zunächst die vermeintlich schwächeren Jah­­re, zuletzt die erfahrungsgemäß besten. Die Juroren wurden aufgerufen, sich für jeweils einen Rundensieger zu entscheiden.
Das Ergebnis kam einem Erdrutschsieg für David Le Pin gleich, der neunmal Jahrgangssieger wurde, während Goliath Pétrus nur viermal besser bewertet wurde. Bemerkenswert war auch, dass Le Pin in drei von vier Fällen (1982, 1989 und 1990) auch als Zweitplatzierter mehr als nur respektable Qualitä­ten auftischte und dafür hohe Bewertungen bekam. ­Andererseits wurde Pétrus in einigen Fällen gerade­­zu deklassierend geschlagen (1981, 1983 und 1984), sodass sich der Eindruck verstärkte, dass das Koordinatensystem im Pomerol-Gebiet in den letzten Jah­ren ins Wanken geraten sei. Und wie musste dieses Ergebnis auf anerkannte Weinzungen wie ­Michel Bettane und erst recht Robert M. Parker ­wirken, die Le Pin bislang kaum Beachtung geschenkt hatten?

En Primeur-Preis verdreifacht
Mitte der Achtzigerjahre hatte Parker das kleine Pomerol-Gut in seinem Bordeaux-Buch als mittelmäßig beurteilt und gerade mal mit einem fünften Médoc-Gewächs verglichen. ­Berichte über den spektakulären Erfolg von Le Pin wurden nun unter anderem im »Wine Spectator« veröffentlicht und verfehlten ihre Wirkung nicht. Den Primeur-Preis für den Jahrgang 1996 verdreifachte Inhaber Jacques Thienpont, der schon vorher beobachten konnte, dass der Handel mit seinem formidablen Wein tüchtig Geld verdiente. Nun wollte er ebenfalls ein größeres Stück des Kuchens bekommen. Immer wieder tauchten die Weine von Le Pin auch bei Auktionen von Christie’s und So­theby’s auf und erlangten dort mehr als stattliche Preise – sehr zur Überraschung von Fachleuten wie Serena Sutcliffe, MW, der Chefin der Weinauktionen bei Sotheby’s, die sich vor zehn Jahren noch die schicksalsschwere Frage gestellt hatte, wann die Le-Pin-Blase denn wohl platze. Davon kann bislang allerdings nicht die Rede sein – im Gegenteil.

Steigende Nachfrage
Heute erzielt Le Pin vor allem in den Vereinigten Staaten und in Fernost Preise, die durchaus über denen von Château Pétrus liegen können. Das hat in erster Linie damit zu tun, dass die Rebfläche von Pétrus mit 11,5 Hektar gut fünfmal so groß ist wie die von Le Pin und es entsprechend mehr Flaschen gibt. »Aus naheliegenden Diskretionsgründen vermeiden wir stets, die Produktionsmenge von Château Pétrus bekannt zu geben. Gehen Sie von ungefähr 25.000 bis 30.000 Flaschen pro Jahr aus«, beantwortet Frédéric Lospied, die rechte Hand von Christian Moueix, entsprechende Anfragen.

Notizen Le Pin, Petrus

Zweites Gipfeltreffen im Rheingau
Um herauszufinden, wie sich die Kräfteverhältnisse auf der rechten Uferseite des Bordelais 15 Jahre nach der Grevenbroicher Sensationsprobe entwickelt haben, fasste Hotelier Hans-Burkhardt Ullrich den kühnen Entschluss, eine zweite Verkostung der beiden Pomerol-Ikonen zu organisieren. Den angemessenen Rahmen hierfür bot jüngst das 14. Rheingau Gourmet- & Wein-Festival. Diesen Event hatte Ullrich im Jahr 1997 mit dem inzwischen ver­storbenen Rüdesheimer Winzer Bernhard Breuer aus der Taufe gehoben. Anfang März versammelten sich 20 Gäste im Hattenheimer Hotel Kro­nenschlösschen, um jeweils neun Jahrgänge von Pétrus und Le Pin zu verkosten. Dieses Mal wurden die Pärchen allerdings offen verkostet, ­zunächst die älteren Jahrgänge 1992, 1993 und 1994, gefolgt von 1997, 1998 und 1999 und schließlich 2000, 2001 und 2002.

Herausragende Jahrgänge 1998 und 2000
Alles in allem war es die erwartete Heerschau zweier majestätischer Weine auf Augenhöhe. Mit voller Berechtigung trug die Verkostung den Titel »Once in a lifetime«. Bewusst wurde diesmal auf eine Abstimmung darüber verzichtet, wer nun im jeweiligen Jahrgang die Nase vorne hatte, was allzu beckmesserisch gewesen wäre. Wie nicht anders zu erwarten, ragten die Weine der Jahrgänge 1998 und 2000 heraus. Für die größten Überraschungen sorgten die 99er und 01er Weine, die gemessen am Jahrgangs­image geradezu grandios ausfielen, gefolgt von 1997 und 2002.

Zwei Grandiose 2009er
Nur wenige Wochen später hatte ich es im April 2010 schon wieder mit den beiden Pomerol-Ikonen zu tun. Es standen die Primeur-Verkostungen des Jahrgangs 2009 an. Im Hause Jean-Pierre Moueix in Libourne drängten sich die Verkoster dicht aneinander, und am Ende kam die große Enttäuschung: Wo ist denn der Pétrus? Bislang stand er stets am Ende der Moueix-Kollektion, nun war es damit vorbei. In diesem Jahr musste man um einen separaten Termin im Weingut an­suchen, was längst nicht alle Weinnasen mitbekommen hatten. Und so mussten viele nach Hause fah­ren, ohne ihn verkostet zu haben. Auf Pétrus wurden die Besucher nur nach strenger Namenskontrolle eingelassen und dann von Jean-Claude Berrouet, dem langjährigen Kellereidirektor des Gutes, und dessen Sohn und Nachfolger Olivier über die Vorzüge des 2009ers aufgeklärt: »Ja, ein toller Jahrgang«, sagte Vater Berrouet, der nach 45 Jahren nun den verdienten Ruhestand genießt und den Filius nur mehr berät. Der Wein ist, wie könnte es anders sein, grandios. Die schmeicheln­de Süße verbindet sich genüsslich mit den feinwürzigen Tanninen. Keine Frage: ein Wein für die Schatzkammer.

Mus­terbeispiel eines perfekten Merlots
Jacques ThienpontEin paar Hundert Meter von Pétrus entfernt traf ich Jacques Thienpont zur Kostprobe des Le Pin 2009. Vor 20 Jahren war der belgische Patron in der Primeur-Woche nur selten da, und auch danach hatte man das Gefühl, dass er nur eine Handvoll ausgewählter Verkoster empfangen wollte. Diesmal war alles anders: Gleich am Anfang des schmalen Feldweges wies ein kleines Schild »Degustation Le Pin« in eine ungewohnte Richtung: Es ging nicht zum einfachen Bauernhaus, das drei Jahrzehnte die Heimat des berühm­testen Garagenweins war und nun abgerissen und durch einen spektakulären Neubau eines belgischen Architekten ersetzt werden soll. Stattdessen wurde in einem improvisierten kleinen Kelterhaus verkostet, das Jacques für zwei Jahre als Ausweichquartier für die Vinifikation seiner superteuren Rotweine hergerichtet hat. Erstmals gab es hier sogar einen gedruckten Jahrgangsbericht, ganz so, wie man sie auf den großen Bordelaiser Gütern präsentiert bekommt. ­Geschrieben hat ihn Fiona Morisson, Jacques’ wortgewandte englische Frau, die den Titel eines Master of Wine innehat und über den Wein urteilt: »Der 2009er erinnert uns an die Jahrgänge 1990 und 1998!« Keine Übertreibung: Der Wein ist ein Mus­terbeispiel eines perfekten Merlots, bei dem sich die belebende Frische auf das Vorzüglichste mit den ­exotischen Fruchtkomponenten vermählt.

>> Zu den Verkostungsnotizen

von Armin Diel

Fotos: andreas durst / ikonodule.de

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