Die Macht der Sterne: Imperien der Starköche

Rund um den Globus geben Franzosen wie Alain Ducasse (25 Restaurants, 18 Sterne) den Ton an. Gordon Ramsay zählt ebenfalls zu den Big Playern. Und mit Wolfgang Puck auch ein Österreicher.

Es ist Sommer, Ende der Achtzigerjahre. Ein bärtiger Mann ­Anfang dreißig rast mit einem Sportwagen von der Côte d’Azur nach Paris. Die Polizei hält ihn an und verlangt seine Papiere. Der Bärtige sagt, er sei Koch in Monaco, habe gerade erfahren, dass er den dritten Michelin-Stern bekommen hat, und wolle schnell in die Hauptstadt, um zu feiern. Die Augen der Polizisten leuchten auf, sie geben dem Raser seine Papiere zurück, salutieren und wünschen gute Fahrt.

Omnipräsent
Die hübsche Geschichte über Alain Ducasse, den erfolgreichsten Koch der Welt, ist immer wieder zu lesen. Sie hat nur einen Haken: Sie stimmt nicht. Jedenfalls nicht so. Aber sie ­spiegelt den Stellenwert von Ducasse wider, der ­gerade Schlagzeilen gemacht hat mit dem Hochzeitsdinner für Monacos Fürst Albert und dessen Frau Charlène. Ducasse ist ein Star, so berühmt wie Gérard Depardieu oder Zinédine Zidane, weil er der Erste ist, der gleichzeitig drei Drei-Sterne-Restaurants betreibt – und weil er den Ruhm Frankreichs, seine kulinarischen Traditionen, in die Welt hinausträgt: nach Großbritannien, in die USA, nach Japan. Er ist überall, so scheint es, hat mehr als 20 Restaurants und so viele Sterne, dass er sie nicht mehr zählt.
Aber wer ist dieser Mann, der einen Flugzeugabsturz überlebt hat und danach ein Jahr brauchte, um ohne Krücken zu gehen? Der sagt, er tue nur das, was ihm Spaß macht, und habe noch nie wirklich gearbeitet? Der nach dem 11. September 2001 sein Restaurant in New York für zwei Wochen schloss und seine Köche Brote für Rettungskräfte schmieren ließ? Der mit Anfang 50 einen Sohn be­kommen hat und sein Privatleben konsequent abschirmt?

Lehrherr Michel Guérard attestiert Ducasse ein untrügliches Gespür fürs Würzen / Foto: Getty ImagesPhänomen Ducasse
Wir treffen Alain Ducasse in Monaco. Interviewtermin in der Küche des »Louis XV«. Ducasse füllt den Raum mit seinem Charisma: dunkle, weiche Stimme, die Haare grau meliert und mit Gel zurückgekämmt, Intellektuellenbrille, glatt rasiert, buschige Augenbrauen, zarte Hände, alle Nägel abgekaut. Wir müssen auf das Gespräch warten. Der Chefsommelier der Ducasse-Gruppe hat 20 verschiedene Weine geöffnet, und die Köche servieren nun die ­neuen Gerichte: Spargel, Rotbarbe, Gänseleber. »Le chef«, wie ihn jeder hier nennt, entscheidet selbst, welcher Wein zu welchem Gang des ­Menüs empfohlen werden soll. Nebenbei posiert er für den Fotografen – mit der Gelassenheit eines Mannes, der oft auf der Bühne steht.

In dieser kleinen Szene vor dem großen Herd und den blitzenden Kupferkasserollen werden die Konturen des Phänomens Ducasse klarer: Dieser Mann ist aufs Detail versessen, gewandt im Umgang mit Medien und sich seiner selbst so sicher, dass er andere fast einschüchtert.

Während des Gesprächs isst sich Ducasse mit Lust durch das Menü, unterbricht sich immer wieder, um die Qualität der Krebse zu loben oder zu erklären, wie die Sauce zum Hummer gemacht wurde. »Ich bin ein Gourmand. Das ist eine meiner Schwächen.« Lacht und isst weiter. Auch beim Wein langt »le chef« an diesem Mittag kräftig zu, sodass wir nach dem Baba au rhum recht fröhlich sind.

Wenn der 55-Jährige von seinen Anfängen erzählt, klingt jeder Satz poliert, als habe er ihn schon oft gesagt: der Duft der Schmorgerichte seiner Großmutter, der in ihm den Wunsch weckte, Koch zu werden; der Versuch der ­Mutter, ihn davon abzuhalten; die erste Station bei Michel Guérard, dem Erfinder der Nouvelle Cuisine, der ihn erst als Lehrling akzeptierte, als Ducasse vorschlug: »Sie müssen mich nicht bezahlen.«

Fürstliches Ambiente in Monte Carlo: das »Louis XV« im Hôtel de Paris / Foto: beigestellt

Rohdiamant
Michel Guérard sagt, es sei ihm schnell aufgefallen, dass Ducasse ein Rohdiamant war. »Es war Winter, ich hatte eine Ohren­entzündung und war bettlägrig. Meine Frau bat Alain, mir einen Gemüseeintopf zu machen. Dieser Eintopf, das war die Perfektion.« ­Ducasse habe alles, was ein großer Koch braucht: geschickte Hände, eine »anima­lische Intelligenz« und ein untrügliches ­Gespür fürs Würzen. Was aber sein auffälligster Charakterzug ist? »Bedingungslose Entschlossenheit.«

Sie bringt Ducasse dazu, bald weiterzuziehen: von Guérard, der noch um den dritten Stern kämpft, zu Alain Chapel. Der ist zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt seines Schaffens. »Chapel hat mich gelehrt, was die Seele der Kochkunst ist. Er hat mich geprägt wie niemand sonst.« Die dritte Station des Wandergesellen Alain ist Roger Vergés »Moulin de Mougins«. Hier trifft ihn der »coup de foudre«. Er, der Junge aus dem Südwesten, verliebt sich in die Côte d’Azur, ins Blau des Meeres, in Land und Leute – und in die guten Produkte, die diese Region hervorbringt. Ducasse entwickelt sich zu einem »militant méditerranéen«, wie der Kochkritiker Nicolas de Rabaudy sagt, zu einem Mann, der die Mittelmeerküche zur Ideologie erhoben hat.
Natürlich ranken sich Legenden um diese Erweckung. Wie die, die uns Franck Cerutti erzählt, Weggefährte von Ducasse seit mehr als 30 Jahren: »Es gab dieses Mittagessen im ›Moulin de Mougins‹ Ende der Siebziger, wo Alain für alle Sterneköche aus der Gegend aufkochte. Auch mein damaliger Chef Jacques Maximin war dabei. Er kam am Abend zurück und war begeistert von einem jungen Kerl mit einem langen Bart, der würde mal ein Star.« Was hatte der Bärtige gekocht? Sein erstes Signature Dish: Nudeln mit Gemüse aus der Umgebung. Alle Sorten einzeln gegart, die Säfte mit Butter montiert, sonst nichts. Cerutti hat Ducasse diese Philosophie so erklärt: »Was Chapel in der Bresse macht, das will ich in der Provence. Ich will das kochen, was ein Gentilhomme von hier auf dem Tisch haben will.« Landadel-Küche, wenn man so will. Aber etwas wirklich Eigenes, so wie Ducasse immer wieder betont? Michel Guérard jedenfalls sagt: »Was Ducasse macht, hat seine Wurzeln auch in meiner Cuisine naturaliste.«

»L’Atelier de Joël Robuchon« in Las Vegas / Foto: Getty Images

Ducasse hat großen Erfolg mit seiner Art zu kochen, zwei Sterne in Juan-les-Pins. Dann der Auftrag, der sein Leben verändert: Fürst Rainier von Monaco bittet ihn, im kulinarisch ­vernachlässigten Hôtel de Paris ein »grand ­restaurant« aufzubauen, das »Louis XV«. ­Ducasse schreibt ein dreißig Seiten langes Konzept, sucht selbst die Perlmuttlöffel und die Krawatten der Kellner aus. Großspurig verspricht er: »In drei Jahren habe ich drei Sterne – wenn nicht, können Sie mich feuern.« Er schafft es. Teil eins der Krönung.

Globale Marke
Doch der unersättliche Ducasse will mehr. Er will größer sein als Joël Robuchon, der Jahrhundertkoch in Paris, den Stammkunden wie Staatspräsident Mitterrand duzen. Seine Chance ist da, als Robuchon sich Anfang 1996 für eine Weile zurückzieht. Ducasse übernimmt dessen Restaurant und tönt: »C’est le pari de Paris – ich wette, ich kriege auch hier drei Sterne.« Ducasse fliegt in jenem Jahr weit mehr als 100-mal von Nizza nach Paris und zurück. Er bekommt, was er will – auch Präsidenten, die bei ihm essen. Teil zwei der Krönung – und die Geburtsstunde der globalen Marke Alain Ducasse sowie seines Imperiums, das nun schnell wächst (inzwischen umfasst es 25 Restaurants), auch wegen der leisen und guten Arbeit seines Teilhabers und Generaldirektors Laurent Plantier.

Hätte Ducasse all das allein mit Können, ­Intelligenz und Entschlossenheit schaffen ­können? Nein, da fehlten noch die drei Lieblingstugenden des Chefs, die er bei jeder Gelegenheit zitiert, sagt Emmanuelle Perrier, seine Kommunikationschefin, mit gespieltem Überdruss in der Stimme: »Strenge, Disziplin, Anspruch. Das ist fast schon militärisch, obwohl da doch so viel Herz drin ist. Aber in der Küche braucht man das wohl.«

Mit insgesamt 22 Sternen ist Joël Robuchon der unumstrittene Star der internationalen Szene / Foto: Getty ImagesSternenhimmel
Gordon Ramsay, der böse Bube im Bunde, wirft in seinen Fernsehshows mit dem F-Wort um sich und setzt Vegetariern schon mal mit ­Absicht Schinken vor. Ramsay (23 Restaurants, ein Hotel, zwei Pubs) und Gagnaire (zehn Res­taurants) teilen sich mit je neun Sternen den dritten Platz auf der Michelin-Weltrangliste. ­Bekannt, aber nur mit wenigen Sternen aus­gezeichnet sind Jean-Georges Vongerichten
(29 Restaurants) und ­Nobuyuki »Nobu« Matuhisa (23 Restaurants). Spitzenreiter sind Joël Robuchon mit 22 Sternen (21 Restaurants) und Ducasse mit 18 Sternen (25 Restaurants) – Stand: Frühsommer 2011.

Das Erfolgsrezept dieser Global Chefs? Oberflächlich betrachtet haben sie alle ihren eigenen Ansatz. Nur klassische Restaurants. Oder Res­taurants und Ateliers. Oder Restaurants und ­Bistros. Alle mit prägnanten Namen: »Atelier«, »Spoon«, »Mix«, »Maze«, »Sketch« oder »Cut«. Sie machen Hochküche ohne Schnörkel. Hochküche mit ein bisschen Sushi. Hochküche auf Kalifornisch. Oder legere Küche – mal traditionell, mal pfiffig.

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»Ich mag Wiener Schnitzel« - Pierre Gagnaire im Falstaff-Interview


Text von Christoph Teuner
Aus Falstaff Nr. 6/2011

Christoph Teuner
Christoph Teuner
Redakteur