Abenddämmerung bei Château Lafaurie-Peyraguey in Sauternes.

Abenddämmerung bei Château Lafaurie-Peyraguey in Sauternes.
© Château Lafaurie Peyraguey

Der Bordeaux-Jahrgang 2020 im Falstaff-Check

Nach einem hervorragenden Jahrgang 2018 und einem außergewöhnlichen Jahrgang 2019 reiht sich 2020 in eine Trilogie von Spitzenjahren ein, wie sie Bordeaux zuletzt zwischen 1988 und 1990 erleben durfte.

Dem Jahr 2020 ist natürlich längst eine Sonderstellung in den Geschichtsbüchern sicher – generell, aber ganz im Besonderen auch im Bordelais. Es war – natürlich – das Jahr, in dem Covid vieles anders laufen ließ als üblich, ein Jahr, in dem zudem das Wetter verrückt spielte, und somit eines, das die Winzer vor zahlreiche Fleißaufgaben stellte. Doch »Ende gut, alles gut«, lässt sich heute sagen – denn mit der erreichten Qualität können die Winzer in allen Appellationen gut leben.

»2020 war in mancherlei Hinsicht zum Vergessen«, so Aymeric de Gironde von Château Troplong Mondot. »Aber letztlich doch ein Jahrgang, von dem wir uns einiges weglegen werden müssen.« De Gironde, der 2017 von Cos d’Estournel nach Saint-Émilion gekommen war, ist sicher, dass er mit 2020 einen Wein in den Fässern liegen hat, der so gut ist wie keiner zuvor. Und er spricht damit etwas aus, was dieses Jahr von vielen Kellermeistern auf die eine oder andere Weise zu hören ist: Alle sind von der Qualität der aktuellen Weine überrascht. Aber blicken wir zunächst noch einmal kurz zurück auf das letzte Jahr...

Extrem, aber ohne Extreme

Der Wettergott hatte 2020 für die Bordelaiser Weinbaugebiete so ziemlich alles im Programm. Das Angebot reichte von jeder Menge Regen im Frühjahr über Hagel und Spätfrost bis zu einer fast zweimonatigen Dürreperiode, unterlegt mit dem Auftreten der gefürchteten Pilzkrankheit Mehltau, Stürmen von heißer Wüstenluft und weiteren Wetterkapriolen. Und weil Bordeaux zudem ein weit ausgedehntes Anbaugebiet ist, waren die Rahmenbedingungen von Appellation zu Appellation in beträchtlichem Maße unterschiedlich. Dazu kommt, dass die Böden aufgrund ihrer geologischen Zusammensetzung recht verschieden auf die Niederschlagsereignisse reagieren, die Drainagen wiederum haben auf das Wachstum der Trauben einen direkten Einfluss.

Auch wenn in sämtlichen Regionen am Ende des Tages sehr gute Ergebnisse erreicht werden konnten, so wurden im Jahr 2020 die spezifischen Witterungsereignisse ganz besonders ausschlaggebend, was den Stil der Weine betrifft. Man muss also in diesem Jahr etwas genauer auf die Details eingehen, um verstehen zu können, wo die teilweise wirklich frappanten Unterschiede herkommen und wie diese qualitativ einzuordnen sind.

Der auffälligste Punkt ist dabei die Alkoholausbeute, die in der Paraderegion Pauillac im Médoc im Jahr 2020 bei etwa 13 Prozent liegt und damit deutlich geringer ausgefallen ist als in den beiden Jahren davor, während der Wert im Pessac-Léognan im Süden der Stadt Bordeaux bei den Rotweinen muntere 14,5 Prozent erreicht – und dies bei nahe zu identischen Ernteterminen

Das bezaubernde Château Phélan Ségur in Saint-Estèphe erzeugt einen der verlässlichsten Crus Bourgeois.
© Château Phélan Ségur
Das bezaubernde Château Phélan Ségur in Saint-Estèphe erzeugt einen der verlässlichsten Crus Bourgeois.

Wechselhafter Rahmen

Der Winter 2019/2020 war im Bordelais von starken Niederschlägen gekennzeichnet, dennoch gestalteten sich Januar und Februar 2020 vergleichsweise mild mit trockenen Phasen, was den Winzern die Möglichkeit zum Rebschnitt und zu anderen Vorbereitungsarbeiten in den Weinbergen bot. Die folgenden Regenfälle von März bis Juni sollten dann sämtliche Rekorde brechen. Der Austrieb der Reben erfolgte ungewöhnlich früh, und als Frankreich durch die Covid-Pandemie am 17. März in den ersten Lockdown gezwungen wurde, war in den Weingärten nahezu wucherndes Wachstum zu beobachten. In den Nächten des 25. und 26. März kam es in vielen Anlagen zu Frostschäden, welche die am weitesten gewachsenen Triebe beschädigten. Einmal mehr kamen Strohballen, Heizkerzen und andere Techniken zum Einsatz, um die späten Frostnächte zu überstehen, mit denen man schon in den letzten Jahren unliebsame Bekanntschaft gemacht hatte – so übrigens auch wieder im April 2021.

Ende April 2020 hingegen stiegen die Temperaturen auf bis zu 26 Grad Celsius an, ab dem 20. April mussten deshalb viele Weingüter zusätzliches Personal anheuern, um des rasanten Pflanzenwachstums Herr zu werden. Die Teams arbeiteten da bereits unter erschwerten, aber den neuen Sicherheitsregeln entsprechenden Bedingungen.In den ersten elf Maitagen fielen nun Regenmengen, die jenen von zwei Monaten entsprachen, die Böden waren völlig durchweicht, das Arbeiten in den Weinbergen schwierig. Danach ereignete sich das erste kleine Wein-Wunder des Jahres: Warme und dann auch trockene Bedingungen schufen zwischen 10. und 25. Mai ein vierzehn­tägiges optimales Zeitfenster für die Blüte, die zwei Wochen früher erfolgte als üblich. Anfang Juni sorgte dann allerdings erneut feuchtes Wetter für Mehltaugefahr. Mit dem 20. Juni schwenkte das Wetter glücklicherweise erneut auf trocken und heiß um und es folgte eine fast zwei­monatige Trockenperiode. Mitte August unterbrachen kräftige Gewitter diese Phase, die den Reben bereits massiven Stress verursacht hatte, unter etwas kühleren Bedingungen färbten die Trauben daraufhin gut um. Die Ernte der roten Trauben erfolgte im September unter besten Wetterbedingungen und war so früh abgeschlossen wie selten zuvor. 

Die Appellation Pauillac stellt auch im Jahr 2020 einige der Stars, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
© Château Giraud
Die Appellation Pauillac stellt auch im Jahr 2020 einige der Stars, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Pessac-Léognan und Graves

Bei den Weißweinen zeigt sich eine exzellente Balance, sie sind von intensiver Frucht und Komplexität am Gaumen geprägt und mit guter Frische ausgerüstet, die den kühlen Nächten geschuldet ist. Die Weißweinlese begann um den 19. August für den Sauvignon Blanc und endete bereits am 4. September mit den letzten Sémillons. Durch die sommerliche Hitze und Trockenheit waren die Traubenschalen sehr dick und reich an exotischen Fruchtaromen, die Weine zeigen eine gute Frische und salzige Nuancen im Nachhall. In den ersten beiden Septemberwochen setzte in Pessac-Léognan heißer, kräftiger Wind ein, den mancher Winzer gar als »Wüstensturm« bezeichnete. Die Beeren der Trauben begannen zusehends zu schrumpfen.

Die Ernte der Rotweine begann in Pessac-Léognan mit dem Merlot ab dem 10. September, der Cabernet Sauvignon folgte eine Woche später, und die Lese war zum Ende des Monats abgeschlossen. Die Alkoholausbeute ist hier deutlich höher ausgefallen als im Médoc, die Rotweine werden im gefüllten Zustand über 14 Prozent, manche sogar über 14,5 Prozent Alkohol liegen, was nicht zuletzt dem höheren Anteil von Merlot in den Cuvées der Grands Vins zu verdanken ist. Fabien Teitgen, der mit 2020 seinen 25. Jahrgang für Château Smith Haut Lafitte vinifizierte, fasst seine Eindrücke so zusammen: »Die sehr sommerlichen Bedingungen zu Beginn der Weinlese zwangen uns, das übliche Vorgehen zu adaptieren: Die weißen Trauben wurden nur am Vormittag bis elf Uhr gelesen, denn den heißen Tagen mit 30 Grad Celsius folgten stets kühle Nächte mit maximal zehn Grad, was dazu beige­tragen hat, das Säurepotenzial und die aromatische Frische zu erhalten.« Und weiter: »Bei den roten Sorten führten diese Bedingungen zu einem kompakteren und homogeneren Ausreifen der Trauben. Die einzelnen Beeren waren recht klein, und der Regen am Ende des Septembers kam zu spät, als dass davon die Beeren angeschwollen wären, trug aber dennoch dazu bei, die mächtigen Tannine etwas abzuschwächen.«



Leichtfüßiges Médoc

Der dem Jahrgang 2020 vorangegangene Winter verlief im Médoc ausgesprochen mild, auch der Frühling war gleichermaßen recht mild und feucht. Von Mitte Juni bis Mitte August gab es so gut wie keinerlei Niederschlag. Zwischen dem 12. und dem 16. August suchten Hitzegewitter das Médoc heim, die ein Ende der Trockenheit brachten. Anfang September war es tagsüber sehr heiß, die Nächte hingegen waren kühl. Mitte September begannen die Temperaturen zu fallen, und der Regen kehrte zurück. Daher wurde die Rotweinernte nicht allzu lange hinausgezögert, der Merlot wurde ab dem 14. September und somit etwa zehn Tage früher als üblich in die
Keller geholt, der Cabernet Sauvignon wurde in der letzten Septemberwoche gelesen.

Das Jahr war mit seinem dauernden Auf und Ab für die Winzer nicht leicht zu gestalten, Austrieb und Blüte passierten zwei Wochen früher als üblich und brachten eine Gefährdung durch Spätfröste mit sich, der feuchte Frühsommer war vom gefürchteten Mehltau, der den Weingärten bereits 2018 stark zugesetzt hatte, begleitet. Da die Trauben des Jahrgangs durch die Hitze klein waren, präsentierten sich die Moste der Rotweine sehr tief in der Farbe, die phenolischen Komponenten und Tannine sehr kräftig ausgeprägt. Deren Werte lagen sogar über jenen von 2019. Für den Winzer war es nicht notwendig, stark zu extrahieren, ganz im Gegenteil: Es war Zurückhaltung geboten, wenn man sich nicht zu viel Gerbstoff einhandeln wollte. Im Ergebnis hält der Jahrgang 2020 farbtiefe Rotweine bereit, die zwischen 13 und 13,5 Prozent Alkohol aufweisen, also etwas weniger kräftig ausfallen werden als die letzten beiden Jahrgänge. Die Tannine sind enorm, dabei aber reif und von einer saftigen Frucht verdeckt. Auch deswegen wirken die Jungweine bereits sehr harmonisch, sie werden sehr gutes Lagerpotenzial mitbringen.



Rechtes Ufer

Die beiden Topappellationen des rechten Ufers, Pomerol und Saint-Émilion, haben mit 2020 einen sensationellen Jahrgang im Keller, denn hier kamen die beim letzt­jährigen Niederschlagsverlauf vorteilhaften Böden aus Sand und Kalkstein optimal zum Tragen. Von den besten Terroirs kommen daher 2020 absolute Spitzenweine mit Saft und Kraft, die aber auch hier die jahrgangstypische Frische aufweisen, die nicht auf höheren Säuregehalt, sondern auf perfekt reife Tannine zurückzuführen ist. Einschränkend gilt auch hier, dass Weine von weniger bevorzugten Terroirs auch in Pomerol und Saint-Émilion weniger homogene Qualitäten hervorbrachten als 2019 – es lohnt sich, genau hinzusehen.



Sauternes und Barsac

Die ersten Lesedurchgänge erfolgten Mitte September, als die ersten Trauben von Botrytis befallen wurden. Nach einem kräftigen Regen in der zweiten Oktober­woche setzte eine flächendeckende Edel­fäule ein, sodass die Ernte rund um den 20. Oktober abgeschlossen werden konnte. Die kühlen Nächte haben die Ausbildung exotischer Fruchtnuancen sehr beflügelt, auffällig sind jene von reifen Aprikosen, Ananas, Passionsfrucht und Mango. Aufgrund der sommerlichen Trockenheit und Hitze bis Mitte August – zwischen 19. Juni und 11. August fielen ganze sechs Millimeter Niederschlag – waren die Trauben und deren Beeren klein, die Erntemenge am Ende limitiert. In Sauternes wurden im Mittel ganze 1000 Liter Süßwein pro Hektar erzielt. Erstes Fazit: Die süßen Weine des Jahrgangs 2020 sind von saftiger Fruchtopulenz bei etwa 130 Gramm Restzucker geprägt und wirken mit durchschnittlich 13,5 Prozent Alkohol nicht sonderlich voluminös. Die Säurestruktur ist eher dezent, auch sind die Weine nicht sehr stark von den typischen Noten der Edelfäule Botrytis cinerea geprägt. Die meisten Fassmuster zeigten sich bereits harmonisch und gut entwickelt, die Weine werden wohl bald nach dem Verkauf zugänglich und antrinkbar sein. Alles in allem ein frucht­betonter, unkomplizierter Jahrgang.

»Man darf sich 2020 auf keinen Fall entgehen lassen«, meint der Bremer Händler und langjährige En-Primeur-Kenner Heiner Lobenberg, »weil die besten 2020-Weine die früher immer fehlende Perfektion der Legenden aus 1945, 1961, 1982, 2005 und 2010 darstellen.« Und Lobenberg weiter: »2019 bleibt über alle Weingüter Bordeaux’ gesehen das aufregende ›Best ever‹-Jahr der bisherigen Geschichte. 2016 bleibt über alle Weingüter die Perfektion in reifer Klassik. Das Jahr 2018 hat für immer die meisten Bewertungen ab 94 Punkten. Aber die Spitzen aus 2020 erschaffen die Superlative früherer Legenden neu und besser, die es in dieser Ausprägung so noch nie gab.« Mit anderen Worten: kaufen!


Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2021

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Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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