Eine Geschichte über Hingabe, Respekt und einen soliden Geschäftssinn.

Eine Geschichte über Hingabe, Respekt und einen soliden Geschäftssinn.
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Das beste Ei der Welt

Eigentlich wollte Paolo Parisi zartes Geflügelfleisch herstellen. Doch bevor es dazu kam, schlüpfte aus der Henne das beste Ei der Welt.

Das Spannende an Aussteigergeschichten ist ja die Kraft, die ihnen innewohnt. Als Zuhörer denkt man immer zuerst an Erschöpfung, Burn-out, Depression, wenn so ein ehemaliger Karrieremensch erzählt, wie das war, als er plötzlich das Handtuch warf. Doch meist schon beim dritten Satz tritt die ganze rebellische Kraft eines solchen Akts hervor. »Mein Vater«, erinnert sich Paolo Parisi, »war damals richtig verärgert, weil er meine Entscheidung nicht verstanden hat.« Und würde er, der mittlerweile exklusivste Eier-Produzent Italiens, heute Ähnliches mit seinen Söhnen erleben, fühlte er sich vermutlich genauso vor den Kopf gestoßen.
Damals in den 1970er-Jahren war das so: Paolo Parisi verdiente, auf heutige Maßstäbe umgelegt, bis zu 20.000 Euro im Monat. Er hatte eine super Position, vertrieb chirurgisches Material im Raum Genua: »Ich bin in die OPs gegangen und habe orthopädische Geräte verkauft. Das ist der technischste, der brutalste Sektor in der Chirurgie«, erzählt er. An einem bestimmten Punkt angelangt, beschloss er, alles Bisherige aufzugeben und auf dem Land zu leben. Die Aufgeladenheit der Stadt gegen ein zurückgezogenes Dasein in der Natur zu tauschen. Und damit eine vielleicht noch viel größere Erfolgsgeschichte zu schreiben. Im Hinterland von Livorno. In seinem Agriturismo »Le Macchie«, seinem Platz unweit des Waldes.

Der Super-Power-Bauer

»Zuerst habe ich Schweine der Rasse Cinta Senese großgezogen, zu einem Zeitpunkt, als noch keiner an diese Rasse geglaubt hat«, sagt er. Diese Tiere ähneln stark ihren spanischen Verwandten der Pata Negra und sind heute bekannt dafür, herrlichen toskanischen Schinken zu liefern. »Ich habe sie in die Alta Cucina, in die gehobene Gastronomie, gebracht«, betont er stolz, »und sobald ich die Züchtung richtig gut im Griff hatte, sah ich mich befähigt, mich einem weiteren Spezialprodukt zu widmen.« Wieder sollte es Fleisch sein. Wieder in einer Qualität, die neue Standards setzte. Nur zur Orientierung: Wir bewegen uns gerade durch die frühen 1980er-Jahre, da steckte die Perfektionierung von breiten Grundprodukten wie Hühnerfleisch selbst in Italien noch in den Kinderschuhen. 

Parisi füttert seine Hühner mit Milch, die er in den Getreidebrei mengt.
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Parisi füttert seine Hühner mit Milch, die er in den Getreidebrei mengt.

Eine »Grappino« Milch

»Fürs Huhn habe ich mich entschieden, weil es ein Tier ist, das sehr schnell wächst«, erklärt Parisi, »aber ich wollte nicht dieselben Fehler machen, die die Industrie begeht, und habe versucht, neue Wege zu finden.« Daher habe er von Anfang an eine Aufzuchtmethode gewählt, bei der die Proteine des Soja-Futters ersetzt werden. »Nachdem ich auch Kühe und Ziegen habe, dachte ich mir: Versuche ich es eben mit Milch als Proteinquelle, die ist für mich direkt verfügbar, da habe ich keine großen Transportwege.« Für die Ziegenmilch hat er sich entschieden, weil sie fetter, strukturierter und komplexer ist. »Ich vergleiche die Milch der Kuh immer mit Bordeaux-Weinen und die der Ziege immer mit Burgundern. Beides sind tolle Weine, haben aber extrem unterschiedliche Charaktere. Bei der Milch manifestieren sich diese Unterschiede am stärksten, wenn sie zu Käse verarbeitet wird«.
Seine Hühner füttert Parisi dennoch nicht mit Käse, sondern mengt tatsächlich Milch in den  Getreidebrei, den die Tiere von klein auf verabreicht bekommen. Die Tagesration liegt in etwa bei einer Tasse Espresso – »für sie ist das so, als ob sie einen Grappino trinken würden«, lacht er. Dazu muss man wissen: Hühner sind Nestflüchter und können sich schon wenige Stunden nach der Geburt aus eigener Kraft ernähren. Zwischen der zwölften und sechzehnten Woche werden sie geschlechtsreif, und ab dem vierten Monat beginnen sie, Eier zu legen. »Eines Tages habe ich ein Ei entnommen und es hat mir sehr gut geschmeckt«, sagt Parisi zufrieden – cremig, aromatisch, leicht nussig.
Sein Spleen mit der Milch hatte sich also ausgezahlt. Denn hinter den ausgefeilten Betrachtungen über Kuh und Ziege steckt tiefes, fundiertes Wissen. Zwei Jahre habe er den Pastore, den Hirten, gemacht, erzählt er – und zwar auf echte Weise. »Ich habe meine Zeit unter der Laube verbracht und das Leben der Tiere genau studiert.« Eine wichtige Erfahrung, auch von spiritueller Seite her: »Du führst ein gesundes Leben, es fehlt dir an nichts – aber den ganzen Tag an der Seite dieser Ziegen zu verbringen für ein Einkommen, das doch recht schlicht ist … So etwas ist für eine Person von heute einfach nicht mehr tragbar«, sinniert er. Gut, es habe auch noch kein Handy gegeben, denn wer weiß, wie die Sache ausgegangen wäre, hätte er damals eines gehabt.

Paolo Parisi: «Fünf Euro für ein Ei ist viel Geld, aber eine Summe, die jeder aufbringen kann.»
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Paolo Parisi: «Fünf Euro für ein Ei ist viel Geld, aber eine Summe, die jeder aufbringen kann.»

Gehobenes Spiegelei

Echtes, engagiertes Interesse fürs Lebewesen, Sorgsamkeit bei der Aufzucht und Pflege der Tiere und ein solider Geschäftssinn machen die heilige Trinität im Berufsleben des Landwirts Parisi aus. Seine Hennen versehen in etwa eineinhalb Jahre lang den Dienst, danach macht ein Teil unter ihnen Karriere als »Mamma«, der Rest wird zum Verzehr verkauft.
Und wie kam das Parisi-Ei in die Haute Cuisine? Nach vielen Jahren des Erfolgs rund um das reine Produkt dachte er sich, dass es »eine Pflicht für mich gibt, das Ei zu interpretieren, schließlich kenne ich es so gut wie nur wenige«. Also begann der passionierte Koch mit besten Beziehungen zur Spitzengastronomie, eigene Rezepturen zu elaborieren. Sein Spiegelei wird nicht ruckzuck zubereitet, sondern in Etappen und mit ausgewählten Zutaten: Anstelle von Butter nimmt Parisi Olivenöl, erhitzt dieses auf 80 Grad Celsius. Trennt Eiweiß von Eigelb, gießt erst das Eiweiß in die Pfanne. 
Sobald dieses eine zarte Festigkeit hat, reibt er Parmesan darüber, verrührt die beiden leicht, bis sich der Käse verflüssigt hat. Nun kommt die Pfanne vom Herd, und erst jetzt, kurz vor dem Verzehr, legt Parisi vorsichtig das Eigelb auf. »Das rohe Eigelb schmeckt ein wenig nach Mandeln, und durch den schonenden Nachgarungsprozess verliert es sein Aroma nicht.« Dass der Parmesan, alles in allem ein intensiver Käse, dieses beeinträchtigen könnte, lässt er nicht gelten: »Meine Eier halten das aus.« Was die jeweilige Dosierung der Ingredienzien betrifft, hält sich Parisi an das Motto »Besser klotzen denn kleckern«: »Von allem etwas zu viel – zu viel Olivenöl, zu viel Parmesan, zu viel Pfeffer. Am besten, man tunkt das Spiegelei mit einer Scheibe Brot auf.«
Als er hört, dass seine Eier in der Spitzengastronomie gern mit Trüffel serviert werden, reagiert er verwundert: »Hmm, mit Trüffel? – Das ist dann schon sehr reich. Ich selbst koche wenig mit Trüffel, weil sie sehr teuer und so ein spekulatives Ding ist. Bei meinen Rezepten verwende ich ärmere Zutaten: Sardellen, Tomaten oder eben Parmesan.« Zwölf seiner Kompositionen hat er in kleines Büchlein gefasst. »Aber ja«, schiebt er dann nach, »natürlich missfällt es mir nicht, wenn meine Eier in Restaurants mit Trüffel serviert werden. So gelten beide als wertvolle Nahrungsmittel.«

Für sein Spiegelei verrührt Paolo Parisi das Eiweiss gern mit Parmesan. 
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Für sein Spiegelei verrührt Paolo Parisi das Eiweiss gern mit Parmesan. 

Luxus für alle

Was Parisi an seinen Eiern im Gegensatz zur Trüffel ganz besonders mag, ist allerdings, dass sie »ein Luxusprodukt sind, das sich jeder leisten kann«. In Wien sind sie beim Edelitaliener »Fabios« zu verkosten oder über den Delikatessenhandel Urbanek am Naschmarkt zu beziehen, in Deutschland und in der Schweiz über www.cibusitaly.it. Quanto costa? Fünf Euro das Stück.
 »Das ist viel für ein Ei«, sagt Parisi, »aber es ist eine Summe, die jeder aufbringen kann. Für zwei Eier gibt man also zehn Euro aus, das ist einerseits viel Geld, andererseits kann es sich jeder leisten.« Und dann gibt er zu bedenken, dass ein Kilo Kaugummi in Italien rund 85 Euro kosten würden, während ein Kilo Pata Negra, also Schinken vom Feinsten, ab 60 Euro zu haben wäre. »Im Vergleich zum Kaugummi, den jeder isst, kostet Pata Negra wenig – dabei ist er eine wichtige Sache!«
Das ist die Art von Diskussion, die Paolo Parisi liebt. Die er gern lostritt, wenn jemand von Luxus und gutem Essen spricht. Und schließlich isst ja auch kein Mensch acht Eier am Tag. 

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2018

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Michaela Ernst
Michaela Ernst
Chefredakteurin Falstaff Magazin
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