Viele Kräuterbitter-Rezepturen wurden von Apothekern entwickelt.

Viele Kräuterbitter-Rezepturen wurden von Apothekern entwickelt.
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Dafür ist ein Kraut gewachsen - Kräuterbitter im Test

Berühmte Kräuterliköre starteten ihre Karriere oft als medizinische Elixiere und Tonics. Bisweilen wurde daraus großer Genuss und auch Kult.

Ein anständiges Menü braucht – so die gängige Meinung – im Anschluss einen Kräuterbitter. Zur besseren Verdauung selbstverständlich. Der Nimbus der »gesunden« Wirkung von Magenbittern ist nicht auszurotten – selbst wenn deren Alkoholgehalt bei bis zu 55 Prozent liegt. Immerhin haben Gerichte inzwischen mehrfach festgestellt, dass Kräuterbitter nicht als gesundheitsfördernde Medizin bezeichnet werden dürfen. Doch Verbraucher wie Hersteller wollen unbedingt an die Heilkraft der würzigen Essenzen glauben. Der Grund liegt vor allem darin, dass oft Apotheker, Ärzte oder Klosterbrüder bei der Entwicklung der Rezepturen ihre Hände im Spiel hatten.
Viele Kräuterbitter sind heutzutage geradezu Kult und haben eine lange Geschichte. Das Rezept für den Bénédictine etwa fand der Weinhändler Alexandre Le Grand 1863 in den Büchern der Abtei Fécamp bei Lyon. Seine Familie hatte die Bibliothek während der Wirren der Französischen Revolution in Sicherheit gebracht. Le Grand verfeinerte das Rezept aus dem 16. Jahrhundert und legte die Basis für die weltweite Erfolgsstory eines Kräuterlikörs.

Das Grundrezept des Bénédic­tine stammt aus dem 16. Jahrhundert
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Das Grundrezept des Bénédic­tine stammt aus dem 16. Jahrhundert

Auch namhafte Doktoren trugen zum Ruhm der Bitter bei, indem sie Kräuteressenzen und Alkohol (»Liquidi«) zu medizinischen Zwecken mischten. »Liquore« dieser Art waren gerade beim Adel ausgesprochen beliebt. Arnoldus Villanovanus, Leibarzt mehrerer Päpste, galt als einer der angesehensten Protagonisten dieses einträglichen Metiers. Zucker machte die bitteren Essenzen seit jeher verträglicher, war zu jener Zeit aber sehr teuer. Als er durch die Kolonialisierungen billiger wurde, wurden Kräuterliköre populär. Sie erlebten vor gut 150 Jahren einen regelrechten Boom. Das manifestierte sich vor allem in der Region um Mailand, wo heute noch Unternehmen wie Ramazzotti, Campari und Fernet ihre globalen Strategien festlegen.
Apotheker entwickelten nicht nur die Rezepturen vieler Kräuterbitter, sie waren als Meister des Mischens von Essenzen auch die Wegbereiter der Cocktailkultur. Und dabei kamen nicht zuletzt die Bitter zum Einsatz. Nicht nur der berühmteste unter ihnen, der Campari, lässt sich blendend kombinieren. Viele moderne Bartender greifen auch heute beim Mixen gerne zu Averna, Chartreuse und Co. Heinz Kaiser, Bartender im Wiener Lokal »Dino’s« und gerade eben Vizeweltmeister der Cocktailspezialisten geworden, nennt Bitter als bevorzugte Zutat – vorausgesetzt, ihr Anteil wird richtig dosiert: »Der Grat zwischen Genuss und Enttäuschung ist schmal.« Eine bemerkenswerte Kombination, in der sich die geschmacklichen Elemente weitgehend aufheben, ist für Heinz Kaiser beispielsweise Averna mit frischen Erdbeeren und Tequila Blanco.

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Beim Bar Convent Berlin 2007 erhielt der Chartreuse Verte als Bitter den Titel »Spirituose des Jahres«. Torsten Spuhn von der »Modern Masters Bar« in Erfurt sieht »ganz generell ­einen Trend zu Qualität, auch bei Bittern«. Die Gäste von Alessandro Romanos Kölner »Ona Mor« schätzen wiederum klassische Cocktail-Bitter: »Wir brauchen eine Flasche Angostura pro Woche, bei nur 30 Sitzplätzen.« Auch für Ramazzotti mit seinen Aromen des Südens ist Deutschland der wichtigste Absatzmarkt.
»Der Genuss des Bitteren ist Erwachsenen vorbehalten, Kinder assoziieren es mit Gift – ­tatsächlich schmeckt solches oft bitter. Erst im Laufe des Lebens wird das Bittere sozusagen erlernt«, sagt Heinz Kaiser. Wer’s gelernt hat, bei dem sind die Kräuterbitter dafür umso beliebter, wobei die Geschmäcker verschieden sind – fast jedes Land hat seinen Klassiker. Liköre wie der Bénédictine oder Chartreuse, den die Kartäusermönche in der Großen Kartause bei Grenoble herstellen, avancieren mitunter zu Kultgetränken, im Moment etwa ist der giftgrüne Likör »After Work« sehr beliebt.

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Doch nicht jeder Bitter schmeckt nach dem, was der Name verspricht. Als Bitter bezeichnete Spirituosen sind vorwiegend herb-medizinal und haben keinen oder nur einen geringen Zucker­anteil. Ihr Alkoholgehalt liegt bei mindestens 32 Prozent. Kräuterliköre dagegen enthalten viel mehr Zucker. Üblicherweise sind es mehr als 100 Gramm pro Liter, bei einem Alkoholgehalt von mindestens 15 Prozent. Der aus Sizilien stammende Averna gehört in jene Kategorie von Amaro (Bitter), die süßlich schmeckt, als Likör definiert ist und deren medizinale Aromatik vergleichsweise zurückgenommen ist. »Wir sehen unseren Amaro als modernes, leichtes Getränk, das zu jeder Tageszeit passt, und nicht als reinen Magenbitter«, sagt Francesco Averna, der das Familienunternehmen heute führt. Bei Fernet Branca, einem der erfolgreichsten Kräuterbitter weltweit, verfolgt man eine andere Strategie: Hier wird der an Medizin erinnernde Charakter vielmehr betont.
Nicht immer wird der Magenbitter nach dem Essen getrunken. In der Schweiz etwa gibt es entscheidende regionale Unterschiede. »Unser Bitter wird in der Westschweiz gerne als Aperitif, in der Deutschschweiz jedoch vornehmlich als Digestif getrunken«, sagt Arthur Loepfe vom Appenzeller Alpenbitter. Der Appenzeller wird bewusst als hochpreisiges Premiumprodukt vermarktet, auch das geht bei Bitter.

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Was man wo trinkt und vor allem wie viel, hat man auch bei Underberg früh analysiert. Dort verstand man schon vor 165 Jahren erstaunlich viel von dem, was man heute Marketing nennt. Underberg erfand nicht nur eine unverkennbare Verpackung aus braunem Stroh­papier, man erkannte auch, wie viel jemand braucht, um sich nach einem guten Essen – nie ist von schlechtem die Rede – wohler zu fühlen. So erfand man in den Nachkriegsjahren die Portionsflasche – und erzielt damit bis heute gute Umsätze. Underberg ist der Kräuterbitterspezialist schlechthin. Zum Konzern gehören neben dem eingepackten Urprodukt unter anderem der ungarische Unicum von Dr. Zwack sowie der Gurktaler, ein sehr harmonischer Kräuterlikör eines ehemals österreichischen Fami­lien­betriebs. Hubertine Underberg-Ruder, Eigentümerin in fünfter Generation, hat ihr ganz persönliches firmenkonformes Motto dazu: »Ich verreise nie ohne einen Underberg.«

Internationale Klassiker

Chartreuse Verte, 55 %
Der elegante traditionelle Bitter aus Frankreich mit über 130 Kräutern, Gewürzen sowie Reifung im Fass: im Geruch ­recht alkoholisch und sehr grünwürzig, Tannennadeln, Men­thol, Weihrauch, Anis etc.; auch am Gaumen kräftig, mit viel ­ätherischem Aroma, intensiv kräuterig, Orangenschalen, sehr vielschichtig, dicht und süß.
Underberg, 44 %
Der kaum übertroffene Klassiker: sehr offene und präsente, ätherische Aromatik, Anis, Fenchel, Menthol, Kümmel, Nelken; ähnlich am Gaumen, mit kühler Frische und kräftiger exotischer Würze, sehr klar und authentisch, medizinal im Abgang.
Bénédictine, 40 %
Der große französische Klosterlikör: warm, süßlich und gewürzig-medizinal im Duft, mit kühlen mentholigen Noten unterlegt; ähnlich am Gaumen, sehr süß, würzig und auch etwas scharf.
Chartreuse Jaune, 40 %
Der milde Bruder des grünen: süßlich, das Duftbild deutlich gelblich und cremig, Vanille, Zimt, Menthol, auch Tannennadeln, ätherische Kräuter- und Gewürznoten; am Gaumen deutlich süßer als der Verte, mit Menthol, Anis und Kräuterwürze, sehr süß.
Zwack Unicum, 40 %
Der medizinale ungarische Reiter: sehr reifes, beinahe trockenes, amalgamiertes Duftbild von Kräutern, Dörrfrüchten ­sowie ­Eichenfässern, Anmutung von Sherry; am Gaumen sehr ­lebendige, ätherische Noten, Menthol, mit viel Kräuterwürze und nussig-­medizinalem Druck.
Fernet Branca, 39 %, Branca Menta, 28 %
Die Bitter-Benchmark aus Mailand: sehr direkte, klare und tiefe Bitternoten und Wildwürze, ätherisch-mentholig; ganz ähnlich am Gaumen, im Abgang kraftvoll bitter-medizinal. Branca Menta ist deutlich leichter und sehr süß, mit viel Minze sowie Lakritze im Hintergrund.
Becherovka, 38 %
Der Klare aus Karlsbad mit dem eigenständigen Charakter und Eichenfasslagerung: sehr präsente, ätherische ­Gewürzaromatik, Zimt, Nelken, Anis, Kräuter; kühl und würzig zugleich, mit ­Süße unterlegt sowie pikant, mentholig, medizinal und an Lakritze ­erinnernd im Abgang. 
Ramazzotti, 30 %
Der Bitter mit den Aromen des Südens: Bitterorangen, Kräutersud, herbwürzig, kalter Schwarztee, Enzian, Zimt; Menthol, Walnuss, Orangen, feine Bitternoten, etwas pikant im Abgang, schöner Mix aus Süße und wildwürzigem Charakter.
Appenzeller Alpenbitter, 29 %
Der Premiumbitter aus der Schweiz: ätherisch und blumig in der Nase, Anis, Kümmel und Fenchel, würzig, frisch und kühl; ähnlich am Gaumen, die Kräuter und Gewürze transparent und harmonisch eingebunden, süßlich im Abgang.
Averna, 29 %
Sizilianischer Charme: sehr harmonischer, warmer Duft von Kräuteraromen und süßlich-ätherischen Noten, mit Orangenschalen, wildem Thymian und Salbei; auch am Gaumen sind die würzigen und bitteren Aromen weich abgefangen.
Gurktaler, 27 %
Der Harmonische mit den Kräutern aus dem Kärntner Gurktal: warme, harmonische Aromatik, nussig, leicht ätherisch, mentholig, süßlich, Vermouth; analog am Gaumen, mild, bitterwürzig im Abgang, süß, nussig, Rhabarber.
Montenegro, 23 %
Der italienische Marktführer, der keinem was zuleide tut: süßlich, floral, mentholig, kräuterig, nussig, Orangen; am Gaumen Veilchenaromen, mit zartbitteren, würzigen, medizinalen Noten, Lakritze im Abgang, nachhaltig süß.

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2011

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Peter Hämmerle
Autor
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