Cortis Küchenzettel: Wenn der Frühling »Plopp« macht

Auf der Suche nach dem ersten Gemüse des Jahres entdeckte Severin Corti einen Bauern, der Rhabarber von großer Zartheit zieht.

Wenn man aufmerksam in die Dunkelheit horcht, ist hie und da ein zartes »Plopp« zu hören. Es riecht nach feuchtem Stroh, zu sehen ist nichts. Hannes Holler sagt: »Das ist das Geräusch, wenn sich eine junge Rhabarberstange aus ihrer Hülle windet.« Holler ist Bauer im Süden Wiens, die Halle das Allerheiligste seines Betriebs: Hier erntet er Rhabarber von ­außergewöhnlicher Qualität.

Seit mehr als zwanzig Jahren sind Holler und sein Vater unter den ganz wenigen Österreichern, die Rhabarber nach englischem Vorbild ziehen – im Dunkeln, weil er dann einfach besser schmeckt. »Champagne Rhubarb« nennen die Briten jenes Gewächs, das traditionell im Spätwinter reif wird, wenn es sonst längst nur noch kraftloses Obst und Gemüse gibt, das über Tausende Kilometer angekarrt werden muss – wobei es dann erst recht nach nichts schmeckt.

Auch Hollers Pflanzen reifen in einer Halle. Aber sie zehren von der Kraft längst vergangener Sommer. »Die Engländer haben ihren unerreichten Ruf als Gärtner nicht zufällig erworben«, sagt er.

Das Wissen, wie Rhabarber geradezu schockierend pink, gleichzeitig aber ungleich zarter und weniger sauer als üblich gerät, wird auf der Insel seit Jahrhunderten gepflegt. Der Aufwand beim »rhubarb forcing« ist ­beträchtlich, als Belohnung gibt es ab Ende Februar die erste ­Ernte der Saison, komplett biologisch und von allerbester Qualität. »Das Ausgangsmaterial sind Pflanzen, die mindestens zwei Jahre auf dem Feld waren«, erklärt Hannes Holler, »dann haben sie kräftige Wurzeln entwickelt.« Die werden ausgestochen und in die Halle transferiert. »Jetzt ­beginnt das, was die Engländer ›forcing‹ nennen. In der Dunkelheit wird Rhabarber viel zarter und feiner im Geschmack, ähnlich, wie sich das auch beim Spargel verhält.« Die Hallen ­haben Bodenheizung, dadurch wird das Wachstum beschleunigt, bei völliger Dunkelheit sprießen die Triebe und wachsen auf ihrer Suche nach Licht beachtlich hoch. »Die Pflanze lebt währenddessen nur von der Substanz und Energie, die in den Wurzeln gespeichert ist«, sagt Holler, »am Ende der Saison haben die sich völlig aufgezehrt.«

Die rosa Stangen sind dafür umso saftiger. Ihre kräftige, fein ausbalancierte Säure schwingt delikat am Gaumen und funktioniert, ganz gegen landläufige Instinkte, nicht nur in fruchtigen Desserts, sondern auch in Kombination mit salzigen Speisen – mit gratinier­tem Ziegenkäse, mit gebratener Ente oder einem Kotelett vom Mangalica-Schwein etwa, aber auch mit Fisch. Die kräftigen Aromen einer scharf gegrillten Makrele (oder eines knusprig ­gebratenen Gewürz-Karpfens) etwa bitten regelrecht um einen säuerlichen Kontrast.

Aber Rhabarber passt sich auch subtilen Aromen an: So bettet Alain Ducasse Flusskrebse auf Rhabarber-Ingwer-Kompott oder serviert ein Chutney aus Fenchel und Rhabarber zum ­lauwarmen Hummer. Zur opulenten Süße einer Jakobsmuschel mag man sich das auch gut ­vorstellen.

Einkaufsinfo: Hannes Hollers Bio-Rhabarber ist zurzeit bei den großen Lebensmittelketten des Landes e­rhältlich.

GEBACKENES KOMPOTT AUS RHABARBER & ÄPFELN MIT KARDAMOM & EARL GREY

Zutaten (für 6 personen)
½ kg Rhabarberstangen, in zwei Zen­timeter lange Stücke ­geschnitten
2 bis 3 Golden-Delicious-Äpfel, geschält, entkernt und in zentimetergroße Stücke geschnitten
80 g Zucker
1 grüne Kardamomkapsel, die Samen fein gemörsert
2 Beutel Earl-Grey-Tee
Abgeriebene Schale einer unbehandelten Orange sowie Saft einer Zitrone
Vanilleeis und Madelkekse

Zubereitung
– Backrohr auf 170 Grad vorheizen.
– Die Teebeutel in ⅛ Liter heißem, frisch gekochtem Wasser rund drei Minuten lang ziehen lassen.
– Rhabarber und Äpfel in eine ofenfeste und hitzebeständige emaillierte Form füllen, mit Zucker, den ge­mörserten Kardamom-Samen, der abgeriebenen Orangenschale und dem Zitronensaft würzen, mit dem Tee übergießen, ins vorgeheizte Backrohr schieben und für 15 Minuten darin braten lassen.
– Anschließend kurz herausnehmen, die Apfel- und Rhabarberstücke mit Löffel und Gabel vorsichtig
wenden, wieder ins Backrohr schieben und weitere 15 Minuten lang
braten lassen.
– Form aus dem Backrohr nehmen und dessen Inhalt vorsichtig in flache Schälchen füllen.
– Mit je einer Kugel bestem Vanille­eis garnieren und mit knusprigen Mandelkeksen servieren.

Falstaff-Weinempfehlung
Muskateller Sekt 2008
Steininger, Langenlois, Österreich
Ein fruchtbetonter Sekt, ausgestattet mit exotischer Würze, floralen Nuancen und feinem Säurespiel.
www.loisium-vinothek.at, € 17,–

Einen weiteren Rezepttipp finden Sie hier: Gebratener Rhabarber mit Portwein und gratiniertem Ziegenkäse

Text von Severin Corti
Aus Falstaff Nr. 02/2013

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