Cortis Küchenzettel: Flirrende Hitze, surrender Geschmack (Kopie 1)

Severin Corti findet, für Erdbeeren gibt es kein ideales Rezept, sondern nur den idealen Moment: einen heißen Tag in der Mitte eines Erdbeergartens.

Der Mensch neigt dazu, just jene Früchte am begehrlichsten zu finden, die speziell hoch am Baum hängen, von besonders weit herkommen oder sonst irgendwie feiner und ­exklusiver erscheinen. Was auf gewöhnliche Art im eigenen Garten, selbst auf dem Balkon gezogen werden kann, hat es im Vergleich dazu schwer. Die Erdbeere etwa, die ist einfach zu gewöhnlich. Erst recht seit sie, dank fortschrittlicher Zucht- und rücksichtsloser Anbau­methoden, von Ende Januar bis Mitte November ohne Intervall in den Supermarktregalen zu finden ist und ­dabei auch noch immer auf­dringlicher nach nichts schmeckt. Gegen eine vollreife Alfonsino-Mango, eine Guave auf dem Höhepunkt ihrer wollüstigen Duftigkeit, eine vor Saft strotzende Flugananas oder eine erntefrische Mangosteen ­können diese Erdbeeren rein ­statusmäßig nicht mithalten.

Dazu passt eine Geschichte aus Burma. Burma mag ein armes, ausgebeutetes Land sein – in Sachen Vielfalt und Qualität exotischer Früchte aber rangiert es weit oben. Wer nach Burma reist – was aus vielen Gründen eine gute Idee ist –, der wird bemerken, dass den Burmesen die Erdbeere als Königin der Früchte gilt. Dass sie dort überhaupt angebaut wird, ist den Briten zu verdanken, die bekanntlich besonders besessene Erdbeerliebhaber sind und ziemlich spleenige Typen dazu, weshalb sie auch als Kolonialherren in so einem ­Paradies der tropischen Früchte nicht auf sie verzichten wollten.

Ungeduld üben
Vielleicht lässt sich von den Burmesen etwas lernen. Vielleicht hat alltägliche Verfügbarkeit die Erdbeere nicht nur geschmacklich, sondern auch statusmäßig derart ihres Glamours beraubt, dass wir die Sensation ihres Daseins gar nicht mehr wahrnehmen? Um das zu überprüfen, gilt es, selbst aktiv zu werden. Erdbeeren sind wie alle Früchte nur auf der Höhe ihrer Reife wahrhaft göttlich. Und sie tendieren dazu, wie guter Wein ­davon zu profitieren, wenn sie lange, von kühlen Nächten unterbrochene Reifezeiten zugestanden bekommen. Die ersten heimischen Erdbeeren, die dieser Tage auf den Markt kommen, sind demnach vielleicht nicht die lohnendsten ­ihrer Art, auch wenn sie wohl mit der größten Ungeduld erwartet werden. Besonders früh reifende Sorten sind im Aroma nur selten komplex und ausdrucksstark.

Von der Hand in den Mund
Weiterhin ist angezeigt, einen ­richtig schön heißen Sommertag dafür zu reservieren, sich in einen erdbeerhaltigen Garten oder – zweitbeste Wahl – ein Erdbeerfeld zu ­begeben. Ersterer ist vorzuziehen, weil kommerziell gezogene Früchte per definitionem auf ein Maximum an Ertrag ausgelegt sind und deshalb kaum die ganze Fülle des ­Geschmacks und Extrakts in sich aufnehmen können, die ihnen im privaten Umfeld zur Verfügung steht. Ein heißer Tag ist deshalb gut, weil die Geschmacksmoleküle der Erdbeere erst bei entsprechender Hitze so richtig ins Surren zu geraten scheinen und die Sommersonne dafür die beste Voraussetzung bietet. Schließlich ist gerade bei einer empfindlichen Frucht wie der Erdbeere der direkte Weg von der Pflanze über die Hand in den Mund der bestmögliche. Abschließend noch ein Tipp für wahrhaft passionierte Erdbeerliebhaber: Es tut der subjektiven Geschmacksempfindung gut, wenn man schon ein kleines bisschen dehydriert ist, bevor man endlich diese erste, schönste Frucht vor sich hat. Eine auf gutmütige Weise dem Masochismus frönende Steigerung des Genusses wäre es ­deshalb, bei der Anfahrt auf die Klimaanlage zu verzichten.

Auf der Rückfahrt, mit klebrigen Fingern, rot verschmiertem Mund und dem guten Gefühl, das sich nach einer Orgie einstellt, kann man ja überlegen, was mit jenen Früchtchen geschehen soll, die es heil ins Körbchen geschafft haben. Rein subjektiv sollten sie schleunigst zu Torten verbacken, der Rest zu Marmelade verkocht werden. Dazwischen gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, von denen die Kom­bination mit frischem, von Hand cremig aufgeschlagenem Obers ganz sicher nicht ­zufällig als die Klassische gilt. Schönen Sommer! 

Erdbeer-Rhabarber-Tarte mit Basilikum-Schlagobers
für 6 Personen

Zutaten

300 g Mehl
200 g Butter
100 g Staubzucker
1 Eidotter
Zitronenschale, Vanille, Salz
350 g Erdbeeren, halbiert
2 Stangen Rhabarber
80 g Zucker
2 Esslöffel Maismehl
¼ l Schlagobers
1 Handvoll Basilikumblätter, fein geschnitten
1 Esslöffel Feinkristallzucker

Zubereitung
Ofen auf 160 °C vorheizen. Eine Tarte-Form (Durchmesser 22–25 cm) mit Butter ausstreichen. Butter, Staubzucker, Eidotter, Mehl und Zitronenschale, Vanille und eine Prise Salz rasch zu einem mittelfesten Teig kneten. Vor der Weiterverwendung eine halbe Stunde im Kühlschrank ruhen lassen. Teig mit der flachen Hand in die Tarte-Form pressen, bis er gleichmäßig verteilt ist. Die Fläche mit ­einer Gabel mehrmals einstechen und für 20 Minuten backen. Währenddessen Rhabarber in 1,5-cm-Stücke schneiden und mit den halbierten Erdbeeren, dem Zucker und dem ­Maismehl in einer Schüssel vermengen und beiseite stellen. Dann zusammen mit dem ausgetretenen Saft auf dem Tortenboden verteilen und nochmals für 30 Minuten backen. Während die Tarte abkühlt, das Schlagobers mit Feinkristallzucker steif schlagen, das Basilikum in feine Streifen schneiden, unterheben und mit der lauwarmen Tarte servieren.

Einen weiteren Rezepttipp finden Sie hier: Pawlowa mit Cassis-Erdbeeren

Text: Severin Corti
Fotos: Herbert Lehmann
aus Falstaff Nr. 04/12

Severin Corti
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