Cortis Küchenzettel: Ein Löffel voller Sinnlichkeit

Falstaff-Autor Severin Corti über Markknochen, die neuerdings zentraler Bestandteil herzhafter Gerichte sind.

Markknochen – auf das Erste mag das wie ein klassisches Macho-Essen klingen, wie eine Zutat zur Zelebration archaischer Riten und nicht wirklich wie eine Delikatesse für den feinsinnigen Gourmet. Tatsächlich sind so gut wie alle Markknochen, die man in prä­historischen Fundstätten untersucht hat, aufgeschlagen und ausgesaugt worden: Viele Wissenschafter sind überzeugt davon, dass die hochwertige Energie, die sich im Inneren der Röhrenknochen von Säugetieren befindet, mit ein Hauptgrund für die Ausbildung jener Art von hoch entwickeltem Gehirn war, das die Entstehung unserer Spezies überhaupt erst ermöglicht hat.

Davon abgesehen sind Markknochen aber auch maßgeblich für die Zubereitung eines vielgerühmten Gerichts der italienischen Küche, das auch zaghafte Gutesser ohne jedes Zögern zu einem Teil ihrer selbst machen: Für ein klassisches Risotto alla milanese zum Beispiel werden Zwiebeln und Reis erst in zerlassenem Mark angeschwitzt – die sonst bei Risotto unvermeidliche Butter kommt erst am Schluss zum Einsatz.

Stärkung
Der Einsatz von Markknochen als Hauptzutat eines Gerichts ist hingegen relativ neuen Datums, auch wenn die Wiener Küche das in der klassischen Rindsuppe gegarte Ochsenmark seit jeher als speziellen Leckerbissen im Rahmen eines Siedefleisch-Essens kennt. In der Vergangenheit – und bis weit ins 19. Jahrhundert hinein – galt Knochenmark als ideale Stärkung für kränkelnde Kinder, für Frauen im Wochenbett und ganz allgemein bei körperlicher Schwäche. Königin Victoria soll darauf bestanden haben, jeden Tag zum Fünf-Uhr-Tee ein Toastbrot mit Ochsenmark serviert zu bekommen.

Und der längstdienende Monarch des 19. Jahrhunderts, Kaiser Franz Joseph, hatte bekanntlich nur eine Leibspeise: Tafelspitz, der ganz klassisch auch mit Mark serviert wird.

»Nose to Tail Eating«
Es war der britische Spitzenkoch Fergus Henderson, der mit seinen massiven, wie Hinkelsteine einer prähistorischen Kultstätte angeordneten, gebratenen Kalbsmarkknochen ein Gericht erschuf, das seine Philosophie des »Nose to Tail Eating« wie kaum ein anderes illustriert und von zahllosen Gourmets auf der ganzen Welt bis heute als Geniestreich gefeiert wird.

Mark Bittman, Gastrokritiker der Zeitung »New York Times«, wollte ebenso wie der legendäre Rabiat-Foodie Anthony Bourdain fest­geschrieben haben, dass er Hendersons Gericht aus gebratenem Markknochen mit ge­grilltem Sauerteigbrot und einem Salat aus Petersilienblättern, Schalotte und Kapern als »letztes Mahl auf Erden« ge­reicht zu haben wünsche.

Geschmacksexplosion
Tatsächlich ist es jedes Mal aufs Neue ein Moment großer Sinnlichkeit, das weiche, warme, aber gerade eben nicht schmelzende Mark aus den großen Knochen herauszulöffeln, um es auf eine nicht zu schüchtern geröstete Scheibe Sauerteigbrot zu häufen. Die kräftige Würze der nur grob gehackten Petersilie (Henderson spricht von »Disziplinierung«), die Schärfe der Schalotte und der Säurekick der Kapern bilden einen idealen Kontrast zur üppigen Fettigkeit des Marks, das grobe Meersalz sorgt in bewährter Manier für kleine Geschmacksexplosionen am Gaumen.

Während die Knochen gemeinhin der Breite nach geschnitten werden (wie auch in unserem Rezept oben), bestehen französische Meisterköche wie zum Beispiel Michel Bras darauf, die Knochen der Länge nach aufgeschnitten zu servieren. Das hat den Vor­teil, dass die üppige Köstlichkeit unter dem Grill wunderbar gratinieren kann. Man muss allerdings einen besonders guten Fleischer kennen, der dazu bereit ist, sich die Mühe des Sägens in der Länge noch anzutun. In jedem Fall sollten Markknochen ausgiebig in kaltem Wasser gewaschen werden, um Blutrückstände zu entfernen, die das köstliche Mark in gegrilltem Zustand unattraktiv grau statt elfen­beinfarben schimmernd zurücklassen würden.

REZEPTTIPP 1

Geröstete Markknochen mit Petersiliensalat nach Fergus Henderson

Für 4 Personen

Für die Markknochen
8 Rindermarkknochen, etwa 8 cm lang aus der Mitte des Knochens geschnitten
Grobes Meersalz, Fleur de Sel
Pflanzenöl
8 Scheiben Roggenbrot

Für den Petersiliensalat
2 Bund Petersilie, gezupft
Einige zarte Sellerieblätter
1 Handvoll Rucola
1 EL fein gehackte Schalotte
2 TL Kapern, idealerweise in Salz
eingelegt, gespült und gehackt
2 EL Olivenöl
2 TL frisch gepresster Zitronensaft
Grobes Salz und geschroteter Pfeffer


Zubereitung

  • Die Knochen 12 bis 24 Stunden lang mit eiskaltem Wasser bedecken, 2 Esslöffel Salz zugeben und im Kühlschrank aufbewahren. Das Wasser mindestens vier Mal wechseln, jeweils Salz zugeben.
  • Ofen auf 230 °C vorheizen, die Knochen trocken tupfen und in einer geölten Bratform stehend 17–25 Minuten braten, bis das Mark innen heiß (mit Spicknadel am Handgelenk tes­ten) und leicht aufgegangen ist. Die Nadel sollte ohne Widerstand bis ins Zentrum vordringen.
  • Währenddessen die Kräuter waschen und trocken schleudern, aus Schalotten, Kapern, Zitronensaft, nur wenig Salz und Pfeffer eine Vinaigrette rühren und mit den Kräutern vermengen. Brot toasten, nach Geschmack mit einer halbierten Knoblauchzehe einreiben. Markknochen auf vorgewärmten Tellern mit je einer Scheibe Brot, dem Petersiliensalat, Fleur de Sel und Pfeffer servieren.


Falstaff-Weinempfehlung
Weißer Burgunder Alte Reben 2013

Weingut Ebner-Ebenauer, Weinviertel, Österreich
Feinnussige Aromatik, unterlegt mit einem Hauch von frischen Birnen, Noten von Wiesenkräutern. Finessenreich strukturiert, animierende Mineralik, gute Länge.
www.weinco.de, € 13,99

© Michael Markl


REZEPTTIPP 2

Weitere Würzgarnituren für Markknochen

Für 4 Personen

Ingwer-Salz nach Michel Bras

Zutaten
Ein zwei Daumen großes
Stück Ingwer
Fleur de Sel

Zubereitung
Den Ingwer in feine Würfel schneiden, mit dem Salz vermengen und zu den gerösteten Markknochen und dem getoastetem Roggenbrot reichen.

Petersilie-Ingwer-Gremolata

Zutaten
2 EL gehackter Ingwer
1–2 Knoblauchzehen, feinst gehackt
1 Handvoll Petersilienblätter,
fein gehackt

Zubereitung
Zutaten vermengen und mit Fleur de Sel oder Maldon-Salz zu Markknochen und geröstetem Roggenbrot reichen.

Von Severin Corti
Aus Falstaff Nr. 01/2015

Severin Corti
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