
Wenn es draußen ungemütlich wird und der Regen sich darauf verlegt, einem aus der Waagrechten ins Gesicht zu platschen, bedarf es schon besonderer Tricks, um freiwillig, vielleicht sogar frohgemut, ins Freie zu gehen, einen Spaziergang zu wagen oder sonstwie der Herbstkrankheit namens Sofastarre zu entwischen. Als wirksam erweist sich in solchen Fällen, eine scharfe, vor Kraft strotzende Suppe auf dem Herd zu haben, deren Aroma von sonnendurchglühten Ländern erzählt. Linsensuppe mag nicht nach viel klingen, ja sogar mit dem Nimbus der ausdrücklichen Bescheidenheit versehen sein – eine Zauberspeise ist sie gleichwohl. Und ein Gericht, das wie kein anderes von den Freuden und der zivilisatorischen Kraft der Häuslichkeit erzählt. In vielen Kulturen gelten Linsen als Symbol für Reichtum und Glück.
Kaum eine andere Feldfrucht lässt sich in prähistorischen Funden so häufig und so weit zurück nachweisen wie die Linse. Für die Bohnen haben wir Europäer die Entdeckung Amerikas abwarten müssen, Linsen aber sind zum ersten Mal von den Hochkulturen des Nahen Ostens kultiviert worden. Sie sind ein Grundstein unserer Kultur, was bei einem Eiweißgehalt von über 25 Prozent auch kaum verwundert. Unsere Vorfahren wussten eben noch, was gut ist – es gibt (mit der Ausnahme von Sojabohnen) keine Pflanze mit annähernd so hohem Proteingehalt. Seit den Römern gelten Linsen deshalb als klassische Kraftquelle in Fastenzeiten, in vorwiegend vegetarischen Gesellschaften wie Indien sind sie bis heute ein absolutes Grundnahrungsmittel.
Linsen sind wie gemacht dafür, eine Fülle starker Aromen in sich aufzunehmen und zu vereinen – richtig gute, sorgfältig angebaute Linsen haben auch ganz für sich allein das Zeug zur Delikatesse. Die Franzosen und die Italiener – in Sachen Essen nicht gerade als genügsam bekannt – treiben einen regelrechten Kult um sie. Die »Lenticchie di Castelluccio di Norcia« aus dem Hochland von Umbrien gelten den Italienern ebensoviel wie die »Lentilles vertes du Puy« den französischen Feinschmeckern, die diese auf den vulkanischen Böden des Puy-Kegels angepflanzte Linsenart mit ihrer dunkelgrünen Farbe und den blauen Reflexen mit höchsten Gourmet-Ehren versehen. In unseren Breiten hingegen war der Anbau bis vor wenigen Jahren fast verschwunden. Dass er jetzt wiederkehrt, ist nicht zuletzt ökologischen Vorteilen geschuldet: Linsen tun dem Boden gut, sie binden Stickstoff. Im Waldviertel bauen Demeter-Bauern Getreide und schwarze Linsen gemeinsam an und können so auf künstliche Düngung verzichten. Auch auf der Schwäbischen Alb hat man sich der traditionellen Symbiose besonnen, kultiviert helle Linsen mit Gerste und erntet die bissfesten, nussigen »Alb-Leisa«. Für uns Genießer bedeutet das Getreidefelder, die im Frühsommer in prachtvollem Rot blühen, aber auch die Wiederentdeckung einer vergessenen Köstlichkeit. Linsen schmecken in lauwarmen Salaten (siehe rechts), als Beilage zu gebratenem Fleisch, aber auch in feinen Ragouts mit Gemüse und Kräutern. Im Gegensatz zu den dicken Tellerlinsen, die als Eintopf mit Speck serviert werden, brauchen die kleinkörnigen Sorten nur 20 Minuten, um in sprudelndem Wasser zu garen. Wichtig: Wie alle Hülsenfrüchte sollten sie erst nach Ende der Garzeit gesalzen werden, weil sie sonst nicht gleichmäßig garen.

Diese Gewürze passen wunderbar zu Linsen / © Michael Markl; Foodstyling: Martina Willmann
REZEPT: Libanesische Linsensuppe Makhlouta
Für 6–8 Personen
Zutaten
200 g rote Linsen, gewaschen und eine Stunde in kaltem Wasser eingeweicht
100 g Rundkornreis
2 große Zwiebeln, in Streifen geschnitten
1,5 l Hühnerfond und 4 EL Olivenöl
2 große Tomaten, geschält
3 Knoblauchzehen, gehackt
1 daumengroßes Stück Ingwer, gehackt
2 TL gemahlener Koriander
1 EL Kreuzkümmel, ganz
1 Chilischote, entkernt
1 TL Kukurma und 1 TL Paprika
Salz, schwarzer Pfeffer aus der Mühle
Zubereitung
- Zwiebeln in der Hälfte des Öls zugedeckt weich dünsten. Deckel abnehmen und bei starker Hitze unter Rühren braten, bis sie braun sind.
- Hühnerfond zum Kochen bringen, Reis und Linsen einrieseln lassen, mit Tomaten, Knoblauch, Ingwer, Pfeffer, Kukurma würzen und 45 Min. kochen lassen, bis Linsen und Reis zerfallen und die Suppe eine sämige Konsistenz hat. Bei Bedarf Wasser zugießen, sodass alles bedeckt ist. Salzen und abschmecken.
- Wer will, kann die Suppe jetzt mittels Pürierstab glatt rühren.
- Restliches Öl in einer Pfanne erhitzen, Kreuzkümmel anrösten, von der Hitze nehmen, Paprika unterrühren und mit etwas Wasser ablöschen. Zur Suppe geben, umrühren, aufkochen und erneut abschmecken. Suppe mit den Zwiebeln garnieren.
Falstaff-Weinempfehlung
Blanc 2005, Château Musar, Bekaa Valley, Libanon
Der cremige Weiße aus den libanesischen Lokalsorten Obaidah und Merwah hat genug Kraft, um es mit der intensiven Würze der
Linsensuppe aufzunehmen. www.weinco.at, € 30,59
REZEPT: Lauwarmer Salat von Linsen mit Spinat und Mandeln (Aufmacherbild)
Für 4 Personen
Zutaten
200 g schwarze Linsen
60 g Mandeln (ungeschält)
2 Lorbeerblätter
4 Zweige Thymian
1 kleine Knolle Sellerie (500 g)
120 g Babyspinat, gewaschen
2 EL Kernöl
6 EL Olivenöl
3 EL Rotweinessig
Salz, schwarzer Pfeffer
Zubereitung
- Die Mandeln mit 3 Esslöffeln Olivenöl in einer Pfanne rösten, bis sie auf allen Seiten gebräunt sind – etwa drei Minuten. Abkühlen lassen und grob hacken.
- Sellerie schälen und in knapp 1 cm breite Stifte schneiden. In kochendem Salzwasser weich kochen (ca. 8 Minuten).
- In einem Topf 700 ml Wasser, die Linsen, Lorbeerblätter und Thymian zum Kochen bringen. Wenn die Linsen bissfest sind (15–20 Minuten) in ein Sieb abgießen.
- Die heißen Linsen mit Olivenöl, Kernöl und Essig vermischen, großzügig salzen und pfeffern. Sellerie untermischen und die Hälfte der Mandeln samt Öl sowie Spinat damit vermengen.
- In einer Schüssel kegelförmig auftürmen, mit den restlichen Mandeln garnieren und servieren. Köstlich als Mittagessen oder als Beilage zu gegrilltem Fleisch und Fisch.
Falstaff-Weinempfehlung
Costamolino, Vermentino di Sardegna 2013
Argiolas, Serdiana, Italien
Spinat und Essig killen fast jeden Wein. Wenn es eine Weinbegleitung sein muss, sollte sie mit dem dazu gereichten Fleisch oder Fisch abgestimmt werden. Dieser Wein passt gut zu Fisch. www.vinorama.at, € 10,90
Text von Severin Corti
Aus Falstaff Nr. 07/2014







