Cortis Küchenzettel: Die weißen Rosen und ihr Duft

Karfiol ist ein Gemüse, das polarisiert. Severin Corti erklärt, wie man ihm so zu Leibe rückt, dass ihn alle mögen müssen. Alternativen hat er aber auch parat.

Am Karfiol scheiden sich die Geister. Mehr noch als der Spinat darf der blumige Kohl mit seinem vom italienischen »cavol­fiore« entlehnten Namen als das bei Kindern wohl intimst verabscheute Gemüse gelten. Das geht so weit, dass viele bis ins Erwachsenenalter zu allem Nein sagen, wo auch nur irgendwie Karfiol dabei ist. Das ist schade, weil derlei lebenslanger Verzicht auf ein Produkt mit hohem Genusspotenzial fast immer auf Erfahrungen zurückgeht, denen einfach falsche oder unaufmerksame Behandlung in der Küche zugrunde liegt.

Das ist gerade bei Karfiol schnell passiert: Wie fast alle Verwandten der weitverzweigten Kohlfamilie entwickelt Karfiol beim Kochen erhebliche Düfte, die nur ausgewiesene Spezialisten als appetitanregend empfinden können.
Zu lange gekocht und ohne das bei Kohl stets notwendige ­anschließende Bad in Eiswasser endet Karfiol allzu leicht als un­erfreulich bitteres, dumpf nach Waschküche schmeckendes Gemüse – speziell, wenn er nicht ganz frisch geerntet verarbeitet wird, wie das beim Einkauf im Supermarkt nicht eben unwahrscheinlich ist.

Wenn frisch gekochter Karfiol gleich heiß aufgetragen wird, etwa bei der klassischen »polnischen« Variante mit in ­Butter gerösteten Bröseln, dann sollte er erst kurz in kochendem Wasser blanchiert, abgeschreckt und schließlich in einem zweiten Kochvorgang fertig gegart werden.

Zwei Strategien sind angezeigt, um überzeugte Karfiol-Verweigerer wieder auf den rechten Weg des Genusses zurückzulenken: Einerseits der Einsatz von Gewürzen – nicht zufällig ist Karfiol in der indischen Küche ein besonders beliebtes Gemüse. Er saugt andere Geschmacksnuancen geradezu gierig in sich auf.

Der zweite, vielleicht noch lohnendere Ansatz ist, ganz einfach auf den Kochvorgang zu verzichten. Karfiol hat in ungekochtem Zustand eine unheimlich attraktive, knackig-frische Konsistenz, die bittere Komponente fehlt im Geschmack. Außerdem ist er leichter verdaulich. Er lässt sich als Rohkost mit Karotten, Fenchel oder Paprika zu allerhand köstlichen Dips kombinieren. Oder man schreddert die knackigen Röschen nach französischem Vorbild mit der Küchenmaschine klein, was ad hoc zwar brutal erscheinen mag, die Blütensprossen aber ideal für die Kombination mit frischen Kräutern aufschließt. Das Rezept für ein frühlingsfrisches ­Taboulé nach levantinischer Inspiration – nur unvergleichlich knackiger und raffinierter – ist auf der vorhergehenden Seite nachzulesen.

Andererseits hat die fortschreitende Globalisierung, als deren glühender Verfechter sich wohl ­jeder Mensch mit wachen Geschmackspapillen fühlt, zur Folge, dass seit ein paar Jahren allerhand Karfiolverwandte aus Italien auf unseren Märkten auftauchen, die außer der botanischen Verwandtschaft nur wenige Gemeinsamkeiten mit dem geblümten Kohlschädel aufweisen.
Die Rede ist von Cime di Rapa oder Friarelli, wie die im Deutschen »Rübstiel« genannten (aber in der heimischen Küche kaum gebräuchlichen) langstieligen und tiefgrünen Anverwandten des Blumenkohls in Italien heißen. Sie ­haben gerade Saison auf den Märkten und sollten, so man ihrer habhaft wird, unverzüglich gekauft werden. Ihr zart herber Geschmack, ihre sanfte Bissfestigkeit und der köstliche Duft, der von allem Kohligen höchstens noch eine sinnliche Ahnung vermittelt, machen sie zu einem ganz besonderen Genuss, wie ihn der Frühling eben nur für jene bereithält, die dem guten ­Geschmack wahrhaftig ergeben sind – wie die Ita­liener.

Auch notorische Karfiol-Neu­rotiker werden ihn lieben – ob kurz gegrillt, mit jungem Kno­blauch und Salzsardellen in sizilianischer Pasta oder gedämpft und mit bestem Olivenöl versehen als Beilage zu frisch gegrillten ­Salsicce.

Rezepte:

Taboulé vom rohen Karfiol mit frischen Kräutern

Orechiette alle Cime di Rapa


Von Severin Corti

aus Falstaff Nr. 4/2011

Severin Corti
Severin Corti
Autor