Cortis Küchenzettel: Das Raubtier wecken
Innereien gelten wilden Tieren nicht zufällig als wertvollster Teil der Beute. Ein Plädoyer für die Pflege archaischer Gelüste – nicht nur aus gesundheitlichen Gründen! Mit Rezept.
Wer Tierfilme liebt, der kennt die Szenen zur Genüge: Wenn Löwen eine Antilope erlegen, wenn Wölfe ein Schaf reißen, wenn der Bär sich ein Kitz holt, dann kommen die wertvollsten Teile der Beute zuallererst dran: Mit buchstäblich animalischem Gusto macht sich der Chef der Meute über die Innereien her. Frisches Herz, dampfende Leber und die richtig argen Sachen sowieso – das ist der Stoff, aus dem ein echtes Alphatier seine Kraft holt. Alle anderen wollen natürlich dasselbe, die müssen halt hoffen und winseln, dass auch ja noch etwas übrig bleibt. Viecher eben, die wissen, was gut ist.
Königliches Kalbshirn
Wie jeder Lebensmitteltechniker bestätigen kann, sind in den inneren Organen Nährstoffe, Vitamine und Mineralien, aber auch gesunde Fettsäuren und essenzielle Aminosäuren in einer Dichte und Pracht versammelt, bei der andere Lebensmittel (und Muskelfleisch erst recht) ganz einfach nicht mitkommen. Das Wissen um die besondere Attraktivität von Innereien für die Ernährung war vor nicht allzu langer Zeit auch den Menschen noch sehr bewusst. Bis heute ist es das Privileg des Jägers, sich die Innereien des erlegten Tiers selbst zu behalten. Großbritanniens Königin Elizabeth II. etwa, fürwahr ein Alphatier ihrer Art, liebt Innereien so sehr, dass sie immer wieder Starköche nach Windsor einlädt, auf dass ihr Nieren und Bries, aber auch Kalbshirn nach allen Regeln der Kunst vorgelegt werden. Anderswo aber hat sich die Lust auf Herz und Nieren, auf Leber, Hirn und Beuschel irgendwann ins Gegenteil gekehrt. Zwar sind wir offiziell alle ganz stolz auf das große Erbe der österreichischen Küche, die ihre Distinktionskraft seit jeher aus Beuschel und Klachlsuppe, gebackenem Bries und Hirn mit Ei, gerösteter Leber und – wohl eines unserer genialsten Gerichte – Kalbsnierenbraten gezogen hat. Wenn es aber ans Kochen oder gar Verzehren dieser Delikatessen geht, dann zieren sich die meisten.
Rezepttipp
Manch einer führt gerne gesundheitliche Gründe an – dass Innereien wie das Entgiftungsorgan Leber mit Schadstoffen oder gar Schwermetall belastet seien etwa. Stimmt aber gar nicht. Hat zumindest die strenge Bundesanstalt für Fleischforschung im deutschen Kulmbach unlängst festgestellt: Die Belastung von Innereien, die etwa in den 1970er-Jahren noch beträchtlich war, ist demnach in den vergangenen Jahrzehnten ganz entscheidend zurückgegangen. Fehlt also nur die richtige Art, die ängstlich als »pfui« verschrienen inneren Werte so auf den Teller zu bringen, dass auch das handzahme Raubtier in uns wieder auf den Geschmack kommt. Unser Vorschlag: In der Kombination mit süßem Sherry ist zarte Hühnerleber ganz besonders unwiderstehlich. Rrroar!