Cortis Küchenzettel: Das Essen an der Wurzel packen
Severin Corti singt das Hohelied des Selleries. Die bescheidene Wurzel ist nicht durch Zufall seit jeher ein Hauptakteur der guten Küche.
Die etwas aufgeschwollen wirkende Wurzel gibt es in jedem Supermarkt, sie kostet wenig, hält ewig und ist ganz generell ein Inbegriff der Bescheidenheit. Gleichzeitig aber darf sie auch als zentrales Element der guten Küche gelten. Man muss dafür nicht Jörg Wörther mit seinen in die Geschichte eingegangenen Sellerie-Ravioli bemühen oder das Selleriepüree mit brauner Butter, das Hans Haas im »Tantris« mit Saibling und Holunderblütenöl kombiniert. Weil das Kaprizieren auf einzelne Höchstleistungen dem Potenzial dieser pockennarbigen Wurzel nämlich nicht gerecht wird und man bei derlei Aufzählungen außerdem immer jemanden vergisst – meistens sogar den Wichtigsten. Also: Pardon, Roger Vergé, Ihr Selleriepuffer mit gegrillter Cévennes-Zwiebel, Crème fraîche und rohen Herzen vom Stangensellerie bleibt eh auch 30 Jahre später unerreicht.
In Wahrheit ist es so, dass die gesamte feine Küche als solches ohne Sellerie nicht denkbar ist – und folglich gar nicht da wäre. Die langsam wachsende Wurzel mit ihrem unheimlich präsenten, konzentrierten Geschmack ist so etwas wie eine Hauptzutat des guten Geschmacks. Dass dem so ist, stellt schon die wichtige Rolle sicher, die der Sellerie in der Mirepoix zukommt, jener ganz offiziell als »Dreifaltigkeit der französischen Küche« geehrten, feinwürfelig geschnittenen Kombination aus Karotte, Zwiebel und Sellerie, die in zahllosen Saucen, Suppen, Gemüsezubereitungen das Rückgrat ausmacht. In dieser Rolle nimmt sich der Sellerie nämlich zurück, um seine Kraft im Hintergrund unterstützend zum Einsatz und andere, geschmacklich weniger muskulös ausgestattete Kollegen zum Leuchten zu bringen.
Die eigentliche Rolle des Selleries aber ist eine tragende. Ob roh, gegrillt, geschmort oder püriert, ob sous-vide an den Knackpunkt zwischen Schmelz und Biss gebracht oder in brüllheißem Butterschmalz durchgeknuspert, ob feudal in Trüffelschnitze gebettet oder frugal mit Kartoffeln gestampft: Die Wurzel ist ein Schatz. Weshalb es nicht weiter verwundert, dass sie den alten Griechen heilig war und ihre Blätter ähnlich dem Lorbeer in den Spielen von Nemea (einem frühen Konkurrenten Olympias) zum Siegeskranz geflochten wurden. René Redzepi vom »Noma«, der die Wurzel immer öfter als Pièce de résistance statt eines fleischlichen Hauptganges zelebriert, schmort klein geernteter Sellerie mit Hingabe und unter ständigem Begießen mit Butter (»als ob er ein Rebhuhn oder eine zarte Taube wäre«), um ihn mit nichts als dunkelschwarzer Trüffelsauce und Brunnenkresse-Stämmen zu Tisch zu bringen. In einer anderen Variante bäckt er die Wurzel in Salzteig, um ihren kraftvollen Geschmack mithilfe des Umami-Kicks der Dulse-Algen (gibt es getrocknet im Reformhaus oder online) erst zu potenzieren und ihn gleich darauf mittels kräutergrün-senfiger Vinaigrette wieder zu zähmen – ein faszinierendes Erlebnis.
Die kraftvollste, in ihrer rohen Unmittelbarkeit beeindruckendste Darbietung des Selleries ist vielleicht der klassisch französische Vorspeisensalat namens Céleri Rémoulade. Eigentlich ein Hausfrauengericht, kommt die Hochküche dennoch seit jeher nicht um ihn herum. In London wird der mit ordentlich scharfem Dijonsenf angemachte Salat gern mit frisch und heiß geräuchertem Lachs oder in Miso gegrilltem Heilbutt serviert, Pariser Brasserien setzen mehr auf lauwarmes, geräuchertes Magret von der Ente – und die Bistros wissen überhaupt, dass nichts so gut zu einer Rémoulade passt wie eine Salami oder, noch besser, frisch geschnittener Rohschinken (ob Bayonne oder Parma). Dann freilich sollte eine vollreife Feige als Kontrast in Griffweite sein.
IN SALZTEIG GEBACKENER SELLERIE MIT DULSE-ALGEN UND WACHSWEICHEM EI
Für 4 Personen
Zutaten
1 kleine, ganze Sellerieknolle, ca. 600 g
120 g in Wasser gequollene getrocknete Dulse-Algen (Reformhaus)
500 g Salz
500 g Mehl
0,3 l Wasser
4 Bio-Freilandeier
70 g getrocknete Dulse-Algen
2 EL Apfel-Balsamessig
1 Handvoll Rucolablätter
1 EL Dijonsenf
6 EL Olivenöl
Salz
Pfeffer
Zubereitung
– Den Ofen auf 220° C vorheizen. Sellerie schälen und in Dulse-Algen wickeln. Aus Salz, Mehl, Wasser einen Teig kneten, ausrollen und die Knolle samt Algen darin einschlagen, gut verschließen. In den Ofen schieben, nach 20 Minuten die Hitze auf 160° C reduzieren und weitere 45 Minuten backen. Mit einer Spicknadel die Garprobe machen, die Knolle sollte ganz weich sein – gegebenenfalls noch 10 bis 20 Minuten weitergaren.
– Währenddessen die Eier fünf Minuten in gesalzenem Wasser wachsweich kochen, abschrecken und vorsichtig schälen.
– Die getrockneten Algen zu einem feinen Pulver mixen und durch ein Sieb schütteln. Senf, Essig und Rucola zu einer feinen Paste mixen, zart salzen und pfeffern und mit Olivenöl aufschlagen.
– Sellerie aus dem Teig und der Algenpackung holen, in Spalten schneiden. Auf vorgewärmten Tellern vier Selleriestücke verteilen, je ein Ei in dem Algenpulver wenden und vorsichtig zwischen dem Sellerie platzieren.
– Mit Rucola-Vinaigrette umkränzen beziehungsweise diese darübergießen und sofort servieren.
Falstaff-Weinempfehlung
Merlot Cuvée Alexandre 2011
Lapostolle, Chile
Dunkle Beerenfrucht in Kombination mit süßem, vanilligem Holztouch und seidigen Tanninen, rund und geschmeidig, stoffiger Nachhall, hat Reifepotenzial. (90/100)
www.weinco.at, € 22,99
© Herbert Lehmann© Herbert Lehmann
CÉLERI RÉMOULADE
Für 4 Personen
Zutaten
½ Knolle Sellerie, geschält
Saft einer Zitrone
2 EL Dijonsenf
6 EL Sonnenblumenöl
2 EL Weißweinessig
Salz und Pfeffer
Etwas gehackte Petersilie
Zubereitung
– Sellerie mit einem Julienne-Hobel in feine Stifte schneiden oder mit der Vierkantreibe grob raspeln. Sofort mit Zitronensaft und 1 Teelöffel Salz vermengen und 20 Minuten rasten lassen.
– Währenddessen Senf, Salz, Pfeffer und Essig gut vermengen. Mit dem Öl zu einer Emulsion aufschlagen. Sellerie in einem Sieb gut durchspülen, ausdrücken und mit der Vinaigrette vermischen.
– Das Gericht ist damit fertig zum Servieren – es gewinnt aber geschmacklich an Tiefe, wenn es für einige Stunden im Kühlschrank durchziehen kann. Bei Raumtemperatur mit Petersilie bestreut zu Salami, Rohschinken oder geräuchertem Fisch servieren.
Falstaff-Weinempfehlung
Roero Arneis DOCG 2012
Alfredo Prunotto, Piemont, Italien
Eine mineralische Spezialität aus dem Piemont, feine Blütenanklänge, ein Hauch von Tropenfrucht. Elegant und strukturiert, weiße Fruchtnuancen, lebendiges Säurespiel, leichtfüßig und komplex. (89/100)
www.vinorama.at, € 12,40
Text von Severin Corti
Aus Falstaff Nr. 01/2014