Cortis Küchenzettel: Ausmisten, einheizen

Wer den Frühling noch nicht riechen kann, sollte schleunigst die Nase freimachen. Und zwar mit aller gebotenen Schärfe von Kren und Senf. Mit Rezepttipps!

Wenn alles gut­geht und das Wetter tut, wie ihm befohlen, dann strömen dieser Tage eh schon die Sturzbäche der Schneeschmelze ins Tal und erfüllen das Land mit der frischen Kraft ihres Brausens – aber, bitte schön, diesmal ohne Überschwemmungen oder Murenabgänge.

Wenn sich die Natur so streckt und räkelt, wenn das Schwemmgut und die Verkrustungen des Winters abgeschüttelt werden und das Land sich bereit macht für die Freuden, die der Frühling bringt – dann spürt auch der Mensch ein drängendes Bedürfnis nach Durch­putz, jenem des Geistes wie auch des inwendigen Organismus. Es geht wieder los, das Leben, und wer wollte da der Letzte sein.

Also putzen. Der innere Frühjahrsputz braucht zwei Werkzeuge kulinarischer Natur: zuerst einmal Senf, und zwar den richtig scharfen, zur Beleidigung allzu empfindlicher Nasen- und Gaumenschleimhäute allzeit bereiten. Und dann Meerrettich, der in Osteuropa und folglich auch bei uns in Österreich als Kren bekannt ist.

Bei unreiner oder abgespannter Haut empfehlen Pflanzenheil­kun­di­ge, über einige Wochen ein paar Gramm geriebenen Kren pro Tag zu essen. Solch eine Krenkur soll positive Auswirkungen auf die Haut­straffheit und das Hautbild haben.

Gesichert ist die Wirkung des Krens bei Schnupfen und anderen, den Gedankenfluss hemmenden Unbilden. In Russland etwa kommt Khrenovukha zum Einsatz, wenn jemand Probleme mit Stirn- oder Nasennebenhöhlen hat. Dieser Krenwodka kombiniert die Kraft des Alkohols mit jener der Wurzel, um den Patienten ganz und gar unzivilisiert an der Nase zu packen, ihm die Augen auszu­brennen und die Nebenhöhlen mit ihren Schleimhäuten mit solcher Wucht durchzubeuteln, dass ihnen gar nicht anders geschehen kann, als sich augenblicklich zu entleeren.

Auf einen Liter guten Wodka kommt eine lange, vorzugsweise frisch ausgebuddelte Krenwurzel, die mit einem scharfen Messer der Länge nach in hauchdünne Streifen geschnitten wird. Die Streifen in eine gut gereinigte Flasche stopfen, fünf Esslöffel Honig in etwas Wodka auflösen, über den Kren gießen und mit Wodka auffüllen. Verschließen, mindestens drei Tage stehen lassen, dann durch ein Sieb gießen und in den kommenden drei, vier Monaten nach Bedarf aufbrauchen. Auweh, tut das gut!

In dieser Hinsicht erinnert Kren an eine andere russische Tradition, die gleichfalls der Reinigung dient. Es gibt bekanntlich wenig, das auf so elementare Art durchfegt wie das nackige Wälzen und Herumhupfen im Schnee, nachdem man sich zuvor einer brüllend heißen Sauna inklusive rücksichtsloser Aufgüsse ausgesetzt hat. Danach: Wodka, klar. Da schreit der Körper vor Entsetzen und Vergnügen. Kren kann das auch, auf seine Art.

Beim Senf verhält es sich ganz ähnlich, wenngleich er im Gegensatz zur klinischen, glasklaren Schärfe des Krens doch deutlich mehr Körper und Wärme in sich birgt. Der Wirkstoff, das Glykosid Sinigrin, ist aber in beiden Fällen derselbe. Senf ist jedoch schneller zur Hand als so eine Wurzen, die die ganze Kraft ihrer Wirkung ausschließlich frisch gerissen ausspielen kann. Senf hingegen: Glas auf, und die Post geht ab.

Ob englischer, französischer oder auch deutscher ist Geschmackssache – am wichtigsten ist, dass er scharf ist und idealerweise kalt gemahlen wurde, wodurch die ätherischen Öle erhalten bleiben. Sie sind es, die die Säfte einschießen lassen, Speichelfluss und Magensaftproduktion anregen und ganz allgemein verdauungsfördernd wirken. Bei indus­triell hergestelltem Senf, wie man ihn im Supermarkt findet, wird die Senfsaat heiß gemahlen und im Nachhinein Senföl zugesetzt, um auf die gewünschte Schärfe zu kommen.

Neben offensichtlichen Verdächtigen wie Schinkenbrot oder Wurst gibt es eine ganze Reihe an Kandidaten, die durch entsprechendes Aufmotzen mit scharfem Senf vom bloßen Imbiss in die Kategorie einer Delikatesse im Dienste allgemeinen Wohlseins erhoben werden. Und da ist keines­wegs von der vielleicht besten Sauce aller Zeiten die Rede, die ohne einen guten Löffel Senf niemals in die ätherischen Sphären höchster Küchengnaden aufgestiegen wäre, in der sie heute thronen darf. Die Rede ist, natürlich, von der Mayonnaise. Aber das ist eine ganz andere Geschichte als jene vom großen Saubermachen.

Rezepte:

Warmer Erdäpfelsalat mit Alfalfa-Sprossen, Avocado, Thai-Chili und Dijon-Senf-Dressing

Frühlingssalat mit geräucherter Makrele und Kren


Von Severin Corti

aus Falstaff Nr. 2/2011

Severin Corti
Severin Corti
Autor