China: Wein als Chance

Vermutlich trank schon Konfuzius Wein, doch erst vor hundert Jahren begann der vergorene Rebensaft in China wieder Fuß zu fassen. Seit dem Ende der Kultur­revolution ist das Wachstum sogar richtig in Schwung gekommen.

Im privaten Nebenzimmer eines Gasthauses im Ostviertel von Peking sitzen sieben geladene Gäste. Gastgeber ist Li Demei, Professor für Kellerwirtschaft an der landwirtschaftlichen Hochschule der chinesischen Hauptstadt. Zur traditionellen Ente präsentiert er Weine, die er als Berater betreut. Darunter befindet sich ein 2005er Marselan von einem Versuchsgut in der Provinz Hebei, die Peking umringt wie Brandenburg die Metropole Berlin und bis an den Golf von Bohai reicht. Mit seinem Duft nach Brombeere, Minze und Litschi sowie seiner würzigen Süße erinnert der Wein – eine französische Kreuzung von Gre­nache mit Cabernet aus dem Jahre 1961 – an ­einen Fleurie. Mehr als 30.000 Flaschen wurden von dem Wein erzeugt – eine Abfüllung, die man bei uns nicht als Versuchswein betrachten würde, doch für dieses Gewächs gab es nicht einmal ein Etikett. Das Muster war lediglich mit einem vergilbten Feigenblatt beklebt. Darauf standen einige von Hand gemalte chinesische Zeichen. 2006 wurden die Trauben für ein anderes Projekt genutzt. »Es ist schade«, sagt Li Demei, »dass einige unserer feinsten Weine nicht einmal auf den Markt kommen.«

Input aus Europa
Li Demei stammt aus Shandong, was Ostberg bedeutet. Südlich von Hebei an die Küste geschmiegt, befindet sich in der hügeligen Landschaft um die Städte Yantai und Penglai das Herz der chinesischen Weinproduktion. Dort erzeugen etwa 140 Kellereien über vierzig Prozent aller chinesischen Trauben.
Als der chinesische Diplomat Zhang Bishi 1892 seine Kellerei in Yantai gründete, fand er kaum Rebstöcke vor und führte deshalb Stecklinge aus Europa ein. Die so entstandene Changyu-Pioneer-Weinkellerei ist heute – in Partnerschaft mit der französischen Firma Castel – die älteste und größte in China.

Changyu ist eines der ­Vorzeigeweingüter Chinas. / Foto: beigestellt
Changyu ist eines der ­Vorzeigeweingüter Chinas.

Nicht weit entfernt, in Penglai, hat im Jahre 2009 Eric de Rothschild von der Bordelaiser Legende Lafite mit dem staatlichen Investitionsfond CITIC 27 Hektar Ackerland geleast. »Zunächst werden wir viele Löcher bohren, eine Bodenkarte erstellen und dann entscheiden, welche Sorten wir wo pflanzen werden«, erzählt Chris­tophe Salin, Präsident der Domaines Barons de Rothschild. Obwohl noch keine Trauben geerntet wurden, wartet der Markt bereits gespannt auf die ersten Weine.

Weinbau mit Geschichte
Die Geschichte des Weinbaus in China reicht weit zurück. 1995 fand der Forscher Fang Hui bei einer Ausgrabung ein paar Kilometer nördlich von Rizhao in keramischen Gefäßen Reste verschiedener alkoholischer Getränke, darunter Wein. Die Funde wurden auf 2600 Jahre vor Christus datiert. Ob der Weinkonsum zu dieser Zeit weit verbreitet war, ist ungewiss, klar ist dagegen, dass er keinen Bestand hatte und durch andere Getränke ersetzt wurde, neben Reiswein auch durch Obstweine aus Litschi und Pflaume. Deswegen wird aus Trauben gewonnener Wein auch heutzutage noch als pútáo jiu, was so viel wie »Traubenalkohol« bedeutet, bezeichnet.

Tatkräftige ­Unterstützung durch ausländische ­Experten ist gefragt. / Foto: beigestellt
Tatkräftige ­Unterstützung durch ausländische ­Experten ist gefragt.

Heute erzeugen die etwa 600 chinesischen Kellereien beinahe 90 Prozent aller Weine, die im Land getrunken werden. Ein guter Teil davon dürfte aber aus losem Wein aus aller Welt bestehen: Von den 120 Millionen Litern, die laut Zollbehörden im vergangenen Jahr eingeführt wurden, kam nur ein Bruchteil in Flaschen an. Dieses Vorgehen könnte aber sehr bald ein jähes Ende finden: Laut Gesetz muss chinesischer Wein aus im Land gewachsenen Trauben ­gewonnen werden – doch noch gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter.

Gepanscht
Neben den Abfüllungen mit losem Wein aus Australien, Südspanien oder Argentinien gibt es eine wenig erbauliche Dunkelziffer von schlichtweg gepanschtem Wein. Dies wurde der ganzen Welt vor Augen geführt, als die chinesische Regierung an Weihnachten 2010 dreißig Weinkellereien in der Provinz Hebei mit einem Schlag dichtmachen ließ, nachdem ein Bericht im Fernsehen gezeigt hatte, dass ihre Weine nicht nur falsch etikettiert worden waren, sondern auch nicht mal ein Viertel vergorenen Traubensaft enthalten hatten. Der Rest war Zuckerwasser, Farbe und Geschmacksverstärker. Fälscherwerkstätten produzieren die dazupassenden Etiketten – auf denen dann auch mal ein »Châteauneuf-du-Pape Cabernet Sauvignon Gran Reserva« ­angepriesen wird. Die Kellerei Jia­hua stand im Rampenlicht dieser Ermittlung, doch sie war nicht die einzige.

Der Skandal war ein herber Schlag für die Kellereien im Kreis Changli, der sich als »Bordeaux von China« vermarktet. Die um die Hafenstadt Qinhuangdao liegenden Rebberge befinden sich zwar auf dem gleichen Breitengrad wie das berühmte französische Weinbaugebiet, doch die Region ist ein Zentrum der Weinfälschung. Übrig geblieben sind dort nur das Staatsweingut von COFCO, Maotai und die Bodega Langes von der gleichnamigen österreichischen Familie, die eher als Inhaber von Swarovski bekannt ist.

Wein als Chance
Derzeit legen die chinesischen Traubenbauern in rasantem Tempo Weinberge an. Dies wird von der Regierung gefördert, die wie in jedem anderen Wirtschaftszweig ein hohes Maß an Selbstversorgung anstrebt. Ein Vorteil dieser Maßnahme ist, dass man Reben nun dort anbauen kann, wo mangels Wasser kein Reis wächst. Obendrein ist der Wein ein willkommenes Hilfsmittel im Kampf gegen Alkoholmissbrauch. Mit im Schnitt nur 13 Volumenprozent ist er verhältnismäßig »leicht« und verglichen mit dem gefährlichen Fusel, der immer noch weit verbreitet ist, verhältnismäßig gesund.

Den vollständigen Artikel lesen Sie im Falstaff Nr. 8/2011.

Text von Joel B. Payne

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