Carmignano: Perle der Toskana

Knapp 200 Hektar umfasst das Weinbaugebiet, das zu den kleinsten Italiens zählt, unter Insidern als ­Geheimtipp gehandelt wird.

Die Mauer ist beeindruckend, an den höchsten Stellen ist sie gut und gerne fünf Meter hoch. Anfang des 17. Jahrhunderts lies Ferdinando II. de’ Medici in Carmignano bei Prato ein großes Jagdreservat schaffen, das von einer Mauer umfasst war. Zudem ließ er dazu eine eigene prunkvolle Villa errichten. Sie gehört heute zu Artimino und dient als Veranstaltungszentrum. Wo gejagt und getafelt wurde, da durfte auch der Wein nicht fehlen. So wurde der Carmignano gewissermaßen der Hauswein der Medici. Von Cosimo III. wurden die Grenzen des Anbaugebiets 1716 erstmals genau umschrieben. Gemeinsam mit Pomino, Chianti und Val d’Arno ist Carmignano damit das älteste gesetzlich festgelegte Weinbaugebiet. Caterina de’ Medici, spätere Königin von Frankreich, veranlasste bereits im 16. Jahrhundert, dass einige edle Cabernet-Reben nach Carmignano gebracht wurden, wo man die Sorte »Uva francesca«, französische Sorte, nannte und sie dem heimischen Sangiovese beimengte. Der Carmi­gnano war damit der Urvater der Super-Tus­cans, die in den 1970er-Jahren die Renaissance des italienischen Weins einleiteten.

Die Wein- und Olivenöl-Produktion der Tenuta Capezzana ist seit einem Jahrhundert im Besitz der Familie Contini Bonacossi / Foto beigestellt

Ein Carmignano muss mindestens zu 50 % aus Sangiovese bestehen, in der Regel sind es 70 %. Cabernet, sowohl Sauvignon als auch Franc, dürfen mit 10–20 % präsent sein. Der Rest verteilt sich auf Canaiolo Nero, Trebbiano, Canaiolo Bianco oder Malvasia (bis zu 10 %) aber auch Merlot oder Syrah. Diese Rezeptur gilt auch für den Barco Reale, den jungen, duftigen Wein aus Carmignano, und den Vin Ruspo, einen süffigen Rosé. Eine Spezialität ist der Vin Santo, für den die Trau­ben bis ins neue Jahr hinein auf dem Dachboden angetrocknet werden. Besonders stolz ist man in Carmignano auch auf das Olivenöl. Kenner sagen, hier an den Hängen des Montal­bano gedeihe eines der besten Öle Italiens.

Ein architektonisches Prachtstück ist die Villa Medici »Il Ferdinanda« in Artimino / Foto beigestellt

Der bekannteste Erzeuger ist die Tenuta Capezzana, die sich seit einem Jahrhundert im Besitz der Familie Contini Bonacossi befindet. Der große alte Mann des Carmignano, Conte Ugo Contini Bonacossi, verstarb 2012. Die Fattoria lag aber schon seit Jahren in den Händen seiner Kinder. Vittorio, der älteste Sohn, kümmert sich um den Weinbau. Bei einer winterlichen Weingartentour erzählt er begeistert von den Arbeiten und den Charakteristika der einzelnen Lagen. Auf Vittorios Idee geht auch der Trefiano zurück, ein Carmignano, in dem die Einzellage besonders gut zum Ausdruck komm. Die Summe des Carmignano, aber ist und bleibt der Villa di Capezzana, ein Wein, der zudem hervor­ragend altern kann. Artimino ist Weingut, Medici-Villa, Hotel und Restaurant. Neben dem Carmignano Riserva ist auf Artimino auch der einfache Barco Reale empfehlenswert. Mauro Vanucci war wie so viele in Prato in der Textilbranche tätig – und angetan von gutem Wein. In den 1990er-Jahren gründete er das Weingut Piaggia. Schon nach wenigen Jahren sorgten seine Weine für Aufsehen unter Kennern. Sie waren konzentrierter und kräftiger als alles, was man bisher aus dem Gebiet kannte. Daran hat sich auch nichts geändert, seitdem Mauros Tochter Silvia federführend im Betrieb tätig ist. Beppe Rigoli kennt die verschiedenen Lagen von Carmi­gnano bestens. Er erzeugt auf seiner Fattoria Ambra gleich vier Lagenweine. Santa Cristina in Pillo und Montalbiolo laufen als Carmignano, Montefortini und Elzana als Riserva. Rigolis Weine sind keine einfachen Gaumenschmeichler, sie erfordern Auseinandersetzung und Zeit: Nach einigen zusätzlichen Jahren Lagerung strahlen und glänzen sie. Beppe Rigoli ist auch für einige kleine Erzeuger als Weinbauberater tätig. Dazu zählt Emilio Manelli von Podere Allocco, der auf 1,5 Hektar gleich sechs verschiedene Weine erzeugt, von jedem nur wenige Tausend Flaschen – eine richtige Garage-Winery eben. Ein anderer Kunde Rigolis ist Antonio Manelli vom Weingut Sassolo, der nur zufällig den gleichen Familiennamen trägt wie Emilio. Mit Carmignano, Barco Reale und Vin Ruspo konzentriert er sich aufs Wesentliche. Enrico Pierazzuoli erzeugt auf der Tenuta Le Farnete zugängliche, erstaunlich weiche Carmignanos, die schon in jungen Jahren viel Vergnügen bereiten. Fabrizio Pratesi vom gleichnamigen Weingut setzt ganz auf Dichtpflanzungen. Seine sechs Hektar hat er mit je 10.000 Stöcken bepflanzt. Daraus macht er dichte, fleischige Weine, die in jugendlichem Überschwang leider noch deutlich vom Holz geprägt sind. Potenzial aber ist eindeutig gegeben.

Villa Artimio – eines der traditionellen Weingüter von Carmignano / Foto beigestellt
Villa Artimio – eines der traditionellen Weingüter von Carmignano / Foto beigestellt

Im Unterschied zu den anderen bekannteren Weinbaugebieten sind die Produzenten in Carmignano auf dem Boden geblieben. Hier geht alles noch recht beschaulich zu. Genau das macht Carmignano so reizvoll und zu einem ausgewiesenen Ziel für Weinreisen abseits der ausgetretenen Pfade!

>> Zu den Verkostungsnotizen

Text von Othmar Kiem
Aus Falstaff Nr. 01/2014 bzw. Falstaff Deutschland Nr. 02/2014

Othmar Kiem
Othmar Kiem
Chefredakteur Falstaff Italien
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