Bordeaux Maximal

Noch nie zuvor drängte sich das Fachpublikum in so großer Zahl zu den 
En-primeur-Proben. Mit gutem Grund: Die Weine sind schlicht sensationell.

Schon früh war eines ausgemachte Sache: 2009 wird in Bordeaux ein Jahrgang der Superlative. Sofort nach der Ernte wurde berichtet, es hätte seit Langem keine derart perfekten Bedingungen gegeben, die Weine seien grandios. Die Branche war neugierig wie selten, bei den En-primeur-Verkostungen in der ersten Aprilwoche die wahren Qualitäten des neuen Jahres zu entdecken.

Besucher-Rekord
Die Offiziellen der Union des Grands Crus de Bordeaux hatten ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, die Produzenten strahlten förmlich um die Wette. Am Karfreitag, nach dem Ende der offiziellen fünftägigen Verkostungen quer durch alle Appellationen, hatten sich die rund 120 Journalisten und die Vertreter der Weingüter noch einmal zu einem Abschlusslunch getroffen, und die Präsidentin des Verbandes, Sylvie Cazes-Regimbeau, verkündete bei dieser Gelegenheit voll Stolz einige Details: Über 6000 Fachbesucher hätten sich in den letzten Tagen vor Ort eingefunden, um den neuen Jahrgang zu entdecken – ein neuer Rekord, waren es doch beim heute bereits legendären Jahrgang 2000 immerhin bereits 4500 Gäste, 5000 waren es beim 2005er. Nun aber hatten sich mit 6000 Interessierten um 50 Prozent mehr als letztes Jahr eingefunden, und nicht weniger als 36 Prozent davon kamen aus dem Ausland.

Dieser Jahrgang hat das Zeug zum Mythos
Bordeaux En Primeur Die größte Besuchergruppe nach den Franzosen waren die Briten, auf dem geteilten zweiten Platz kamen bereits die beiden großen Markt-Hoffnungen China und die USA. Danach auf Platz drei die verlässlichen Käuferländer Belgien, die Schweiz und Deutschland. Und um genau die geht es: um die Einkäufer. Noch ist den Château-Besitzern nur eines klar: Der Jahrgang 2009 ist etwas ganz Besonderes. Die Kritiker und der Handel haben es bestätigt, ja, dieser Jahrgang hat das Zeug zu einem wirklich großen, zum Mythos. Noch nie hatten die Weine dank einer absolut perfekten Vegetationsperiode mit optimaler Versorgung so hohe Tanninwerte, so tolle Frucht und teilweise so enorme Kraft. Selten präsentieren sich Weine mit derart enormen technischen Werten in einem so frühen Stadium so balanciert, finessenreich und harmonisch.

Spekulationen um Preisentwicklung
Chateau Lafite RothschildDie Meinung vom Gebotenen ist unisono sehr hoch, einzig die Vergleiche mit vorangegangenen Spitzenjahrgängen hören sich von Fall zu Fall etwas unterschiedlich an. 2005, so viel lässt sich sagen, war zwar insgesamt noch um einiges homogener, denn beim 2009er gibt es sehr wohl auch einige Ausreißer nach unten, aber man ist geneigt, die Spitzenweine von 2009 höher anzusiedeln, als man dies mit 2000 oder 2005 schon getan hat. Bleibt die Frage nach dem geschäftlichen Teil der Aktion: Wie werden die En-primeur-Weine preislich ausfallen? Für 2005 wurden in einem wirtschaftlich noch recht fröhlichen Jahr 2006 teilweise enorme Preise gestattet. Aber wie ist das im Jahr 2010 unter deutlich veränderten Rahmenbedingungen? In England kann man nicht jeden Preis für die Bluechips von Lafite bis Pétrus zahlen, der britische Handel würde seine Allokationen sofort Richtung China abtreten.

Alles hängt von Parker ab
Ch’ng Poh Tiong, führender Weinkritiker mit Sitz in Singapur, winkt bei diesem Szenario ab. »In China wird auch nicht um jeden Preis gekauft, die Zeiten sind vorbei, jedenfalls bei jenen, die den Wein erwerben, um ihn zu trinken und nicht um ihn zu verschenken.« Dann wären da noch der amerikanische Markt und Mr. Robert Parker. Im Vorjahr hat der Guru aus Maryland mit zum Teil unerklärlich hohen Punkten die ganz passable En-primeur-Kampagne in Europa torpediert: Zunächst waren gute Weine zu sehr günstigen Preisen auf dem Markt, mit den Scores zogen schlagartig die Preise an – mit dem Effekt, dass die Weine nicht gekauft wurden. Und jetzt kommt 2009 mit den Vorschusslorbeeren der versammelten Presse. Sollte Parker, und alles andere ist mehr als unwahrscheinlich, ebenfalls zur 100-Punkte-Kelle greifen, dann werden die Besitzer der Top-Weingüter neue Preismaßstäbe anlegen.

Der Kurs stieg täglich
Hieß es noch zu Beginn der Verkostungswoche, die Preise würden wohl zwischen jenen von 2008 und 2005 liegen, hieß es bereits am Mittwoch, dass sie wohl eher in Richtung des teureren Jahrgangs 2005 tendieren werden. Am Freitag waren die ersten prominenten Erzeuger hinter vorgehaltener Hand bereits mutig genug, von einem Preisszenario zu sprechen, das über jenem von 2005 angesiedelt sein könnte. Der englische Weinhandel ist aufgrund der möglichen hohen Preise irritiert, man hofft dort inständig, dass in Bordeaux die Vernunft die Oberhand über die Gier behält. Das wäre allerdings etwas ganz Neues und erscheint angesichts der drei eher mageren Jahre 2006, 2007 und 2008 recht unwahrscheinlich. Bleibt für die normalen Konsumenten bloß zu hoffen, dass der Preisanstieg die weniger prominenten Produkte nicht immens verteuern wird.

>> Zu den konkreten Falstaff-Tipps von den En-primeur-Verkostungen

von Peter Moser

aus Falstaff 03/10

Bordelaiser Weingärten / Foto: Chateau Lafite 

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