Bordeaux 2010: Die Revision

Mit dem Jahrgang 2010 hatten die ­Preise für die Subskription einen neuen Höchststand erreicht. Wir wollten wissen, was die Weine tatsächlich wert sind.

Die Folgen der extremen En-primeur-Preise waren absehbar. Wie alle Experten aus Presse und Handel vorhergesagt hatten, entwickelte sich das En-primeur-Geschäft äußerst schleppend, die Nachfrage hielt sich sehr in Grenzen. Aber nicht bei den Erst­gewächsen, die mit Preisen jenseits der 1000-Euro-Marke (pro Flasche, versteht sich) herausgekommen waren, sondern bei all jenen, die dachten, mit einigermaßen hohen Parker-Punkten im Windschatten der Klassiker mitsegeln zu können. »Weine wie Latour und Lafite 2010 fanden sogar eine recht gute Nachfrage«, sagt Simon Staples vom bekannten Weinhandelshaus Berry Bros & Rudd, »allerdings stand uns von diesen Weinen nur ein Drittel von dem zur Verfügung, was wir vom 2009er anbieten konnten.« Was also auf eine geschickte Verknappungspolitik seitens der Top-Châteaux schließen lässt. Bei Cheval Blanc hat man den Preis weniger gut erwischt, offensichtlich zu hoch, hier wird von schlechter Nachfrage im Subskriptionshandel berichtet. Es waren wenige Namen, die entweder wegen eines besonders gut besprochenen Weins oder eines stimmigen Preises starke Nachfrage erzielten. Zum Beispiel das Fünftgewächs von Pontet-Canet aus Pauillac oder das Zweitgewächs Montrose aus Saint-Estèphe. Und, wie gesagt, auch die Premiers Grands Crus Classés Mouton Rothschild, Lafite Rothschild, Latour, Margaux und Ausone verzeichneten trotz der Extrempreise im Bereich eines ordentlichen Klein- bis Mittelklassewagens pro Kiste einen guten Absatz.

Die breite Gironde ist Europas größter Flussmündungstrichter und beinflusst das Klima des Médoc sehr positiv / Foto: beigestellt

Wer kauft heute Wein zu solchen Preisen? Vielleicht die Chinesen? Spekulanten? Weinfunds? Es gab Zeiten, da lohnte sich ein Subskriptionskauf noch. Aber in Wahrheit waren es nie mehr als vielleicht dreißig Etiketten, bei denen der Käufer tatsächlich auf eine markante Wertsteigerung hoffen durfte. Das waren noch Zeiten, als sich eine Handvoll Händler über ordentliche Margen freuen konnte. Heute ist die Konkurrenz im Bordeaux-Handel gefährlich angeschwollen, die Aufschläge pro Flasche verlagern das Geschäft hin zu der Frage, wie weit man dem Kunden entgegenkommen kann. Auf dem internationalen Parkett versuchen zudem immer wieder auch unlautere Mitspieler, vor allem im Internet, in trüben Gewässern zu fischen. Kein Wunder, geht es doch bei den Kistenpreisen um ordentliche Beträge.

Verfolgt man die Entwicklung der Preise der Jahrgänge zwischen 2005 und heute, so ist festzustellen, dass hier kaum ein Bordeaux tatsächlich teurer geworden ist. Der Großteil kostet heute keineswegs mehr als einst in der Subskription. Wertsteigerung? Eine Chimäre.

Einkaufspolitik ändern
Wenn dem aber so ist, dann muss man hier neue Wege beschreiten und eine veränderte Einkaufspolitik betreiben. Sollten Sie also völlig ungeachtet der Preisexplosion der Topweine immer noch gern Bordeaux trinken, dann haben Sie zwei sinnvolle Optionen: Sie halten Ausschau nach trinkreifen Weinen, nach solchen, von denen Sie bereits wissen, dass Sie sie mögen, und vergleichen die
Preise mit denen der Jungweine. Sie werden staunen …

Allerdings muss man die Provenienz der gereiften Weine sorgsam prüfen. Kaufen Sie nur bei Quellen, denen Sie vertrauen, das garantiert Ihr Trinkvergnügen.

Verlässlichkeit hat in Bordeaux einen Namen: Château Gruaud Larose in Saint-Julien / Foto: beigestellt

Die zweite Möglichkeit: Die Weine erst dann kaufen, wenn sie tatsächlich auf den Markt gekommen sind, denn auch die Profis können den wahren Wert eines Weines erst dann verlässlich beurteilen, wenn dieser in der Flasche ist. Die En-primeur-Verkostungen finden bereits ein halbes Jahr nach der Ernte statt, sie geben den Experten im besten Fall ein provisorisches Bild des zu erwartenden Weines. Und man darf mit großer Sicherheit annehmen, dass die vorbereiteten Fassproben den jeweiligen Jahrgang des Weinguts von der bestmöglichen Seite zeigen.

Den Wein erneut verkosten, wenn er gefüllt ist
Es reicht daher auch seitens eines Fachmagazins nicht aus, einen Vertreter zu den En-primeur-Proben zu entsenden, um über einen Jahrgang in Bordeaux zu urteilen. Es ist ge­rade angesichts der jüngsten Preisentwicklungen notwendig, auch den abgefüllten Weinen ordentlich auf den Zahn zu fühlen. Fals­taff hat sich bereits die Jahrgänge 2008 und 2009 bei der Arrivage (dieser Begriff bezeichnet die Ankunft der gefüllten Weine auf dem Markt) angesehen und die meisten der wichtigsten Weine einer Neubewertung in blinder Verkostung unterzogen. Erst zu diesem Zeitpunkt bietet sich auch die Gelegenheit, die Zweitweine der Weingüter zu benoten, da diese bei der En-primeur-Verkostung noch nicht zur Verfügung stehen. Die Ausnahmen bilden jene fälschlich als Zweitweine bezeichneten Gewächse wie Les Forts de Latour, Carruades, Pavillon Rouge, Alter Ego, Clos du Marquis & Co., die in Wahrheit eigen­-ständige Weine sind.

Das prächtige Château Beychevelle in Saint-Julien / Foto: beigestellt

Die Neubewertung des jeweiligen Jahrgangs erfolgt aus Zeitgründen in zwei Etappen: im Jänner die klassifizierten Gewächse des Linken Ufers einschließlich der Süßweine, im Juli das Rechte Ufer – wobei immer der Vorjahreswein als Referenzwein ebenfalls verkostet wird. So konnten wir im Jänner die Crus Classés aus 2009 nun bereits zum dritten Mal bewerten: en primeur im April 2010 und jeweils abgefüllt im Jänner 2012 und im Jänner 2013. So ergibt sich ein sehr klares Bild.

Der Wein braucht Zeit
Die 2010er vom Linken Ufer wurden nun erstmals aus der Flasche nachprobiert und bestätigten den Eindruck der Fassproben­verkostung: ein hochklassiger Jahrgang mit festem Tanninkleid und weniger vorder­gründigem Fruchtcharme, frisch strukturiert und mit viel Extrakt ausgestattet. Es sind durchwegs »Vins de Garde«, die je nach ­Terroir und Weingut zunächst einmal ­mindestens fünf bis zehn Jahre heranreifen müssen. Die großen Weine sollten für bis zu zwanzig Jahre in der Vinothek ­verschwinden. Man kauft sie, um sie zu ­lagern.

Haben Sie ein Kind aus dem Jahrgang 2010, dann können Sie nichts falsch machen. Erwachsene müssen sich hingegen über ihr Lebensalter Gedanken machen, wollen sie diese Weine noch auf ihrem Höhepunkt erleben. Da sollte man durchaus nochmals die Angebote aus dem herrlichen Jahr 2009 durchgehen. Denn im Gegensatz zu 2010 lassen sich diese ungemein verführerischen Weine bereits in jungen Jahren sehr gut trinken. Nimmt man den Palmer 2009 als Beispiel, der in seiner Frühphase so unglaublich facettenreich und charmant ist, so fragt man sich, ob dieser Wein wirklich noch zulegen kann, so großartig präsentiert er sich. Man muss ihn tatsächlich wegsperren, sonst stellt sich diese Frage wohl nicht mehr …

Die besten 2010er
2010 sollten Sie aus Margaux nach Weinen wie Château Giscours, du Tertre oder Cantenac Brown Ausschau halten, aus Saint-Julien nach Beychevelle, Langoa-Barton oder Saint-Pierre, wenn Sie ein wirklich ausgezeichnetes klassifiziertes Gewächs zu einem halbwegs bezahlbaren Preis kaufen wollen. Aus Pauillac kommen der feine Clerc-Milon, Batailley oder d’Armailhac auf die Wunschliste, aus Saint-Estèphe der Lafon-Rochet und aus Pessac-Léognan der Wein der Domaine de Chevalier, Malartic-Lagravière oder Bouscaut.

Die hier abgebildeten Flaschen anderer Jahrgänge dienen übrigens als Hinweis auf empfehlenswerte Weingüter. Verkostungsnotizen aller abgefüllten klassifizierten Weine vom Linken Ufer aus 2010 finden Sie im Tasting.

Text von Peter Moser
Aus Falstaff Nr. 02/2013

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